Bäume zum Staunen

Im Stauffenburger Revier (Harz- und Landteil) bei Gittelde können Bäume noch richtig alt werden

„Schönste Harzfichte“ steht auf dem Schild im Gittelder Landteil oberhalb der Köthe am Wasserbassain.

Gittelde. Einen Baum zu umarmen soll ja angeblich gesund sein, Stress und Angst abbauen und den Blutdruck senken. Im Gittelder Wald jedoch könnte man bei diesem Vorhaben, zumindest bei einigen Bäumen, echte Probleme bekommen, denn da reichen teilweise ein oder manchmal sogar zwei Menschen nicht aus, um den gesamten Umfang eines Baumstammes abzudecken.

„Natürlich haben wir hier sehr viele dicke und alte Bäume, aber einige ragen eben deutlich hervor“, sagt der Revierförster Stauffenburg, Rolf Schulz (Niedersächsische Landesforsten, Forstamt Seesen/ Münchehof).

Da ist zum einen eine 43 Meter hohe Weißtanne im Solligeshai (Harzteil). Die Tanne ist 136 Jahre alt und hat einen Brusthöhendurchmesser von 1,13 Metern und rund 22 Festmeter Masse. Mit Brusthöhendurchmesser (BHD) wird der Durchmesser eines stehenden Baumstammes in der Brusthöhe von 1,30 Meter bezeichnet.

Im Gittelder Landteil oberhalb der Domäne Fürstenhagen steht außerdem eine 52 Meter hohe Douglasie, die 93 Jahre alt ist. Diese hat einen BHD von 1,09 Metern und würde 24 Festmeter liefern.

„Schönste“ Harzfichte mit 192 Jahren

Ein ganz besonderes Stück aber ist die 52 Meter hohe Fichte oberhalb der Gittelder Köthe am Wasserbassin (Landteil). Stolze 192 Jahre kann die Fichte vorweisen, mit einem BHD von 1,04 Metern und 22 Festmetern Masse. „Wenn man durch den Wald geht, kann man viele Bäume im Alter zwischen 80 und 100 Jahren sehen, im Vergleich dazu haben die jedoch eher eine Masse von etwa zwei Festmetern“, erklärt Schulz zum Vergleich. Im Niedersächsischen Forstamt Seesen, zu dem die Revierförsterei Stauffenburg gehört, habe man ein Habitats- und Totholz-Konzept festgeschrieben. Das heißt, dass einige bestimmte Bäume, wie auch diese drei, so alt werden dürfen, bis sie zusammenfallen. Auch in der Zerfallsphase bleiben sie an Ort und Stelle, es sei denn, dass dadurch Sicherheitsprobleme entstehen. Dieses sogenannte Totholz spielt eine wichtige Rolle, da sich dort viele Organismen und holzbewohnende Lebewesen einnisten, die ihren Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht leisten.

Über 40 verschiedene Baumarten habe man in der Revierförsterei, was auf den Zielen der naturgemäßen Wasserbewirtschaftung beruhe, wie Gerrit Zimmermann, ehemaliger Förster Stauffenburg/Gittelde, betont. „Monokulturen haben nur Nachteile. Die drei Ziele, nämlich die Nutz-, Schutz- und die Erholungsfunktion werden heute gleichrangig behandelt“, ergänzt Schulz.

Im Gittelder Wald, dem sogenannten Landteil, wird die naturgemäße Waldwirtschaft bereits seit über 70 Jahren erfolgreich betrieben. In Gang gebracht hat das der damalige Forstamtsleiter Stauffenburg/ Bad Gandersheim (heute Seesen) Dr. Willy Wobst. Die deutsche Forst arbeitet zwar seit 1713 nach den Regeln der Nachhaltigkeit, diese sind jedoch mit heutigen ökologischen Maßstäben nicht mehr zu vergleichen. Dr. Wobst erkannte die Wichtigkeit des ökologischen Handelns im Gittelder Landteil (der Name sollte sich abgrenzen von dem Teil, der zum Harz zählt), für ein gesundes Waldgefüge mit Bäumen unterschiedlicher Arten, Höhen und Altersklassen und trieb diese Idee voran.

Das Vorgehen, das konsequent seit 1942 praktiziert wird, hat damals ein totales Umdenken erfordert. Nach und nach wurden erste kleine Erfolge sichtbar und so wurde das rund 800 Hektar große Waldgebiet nach einigen Jahren als Versuchsbetrieb ausgewiesen und seine Entwicklung seit 1950 stichprobenartig dokumentiert. Die über Jahrzehnte gesammelten Ergebnisse gaben Wobst Recht und zeigten Fortschritte, die unter seinen Nachfolgern Walter Unterberger, Dr. Hermann Wobst (Sohn von Dr. Willy Wobst), Walter Hennecke und heute vom Forstamtsleiter Henning Geske konsequent fortgesetzt und weiterentwickelt wurden. Das Ergebnis ist heute deutlich zu sehen: strukturreiche Laubmischwälder.

Letztlich sind hier auch die Grundsätze der praktizierten Waldbewirtschaftung in das Regierungsprogramm LÖWE (Langfristige ökologische Waldentwicklung für die Niedersächsischen Landesforsten) eingeflossen, auf dessen Grundlage seit 1991 alle Niedersächsischen Landesforsten bewirtschaftet werden.
Aber auch die wirtschaftliche Komponente hat ihren Platz: einen angemessenen Baumbestand erhalten und die Erzeugnisse des Waldes wirtschaftlich zu verwerten, bildet einen harmonischen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie.

Vorratsreiche Wälder binden mehr CO2

Zudem binden vorratsreiche Wälder mehr CO2. „Der Hiebsatz bei der Holzernte überschreitet nie die Menge an nachwachsendem Holz“, so Schulz.
Im Jahr 2008 wurde der Gittelder Landteil von Pro Silva Europa als Beispielwald zertifiziert. Pro Silva ist ein europäischer Verband professioneller Forstleute, die sich für die naturnahe Waldbewirtschaftung zum Schutz von Klima, Boden und Ökosystemen einsetzen. Aufgrund dieser besonderen Zertifizierung kommen jedes Jahr Studenten der Uni und der Fachhochschule Göttingen, der Forstlichen Hochschule Tharandt Dresden sowie ausländische Delegationen von Forstleuten nach Gittelde, um sich vor Ort ein Bild von dem Beispielwald zu machen.hn