„Ich dachte, das Dach hebt ab“

Anwohner der Iberg-Siedlung klagen über lauten Knall und starke Erschütterungen Anfang Januar

Idyllisch unterhalb der Harzhochstraße liegen die Häuser der Iberg-Siedlung. Nur rund 700-Meter-Luftlinie entfernt wird am Iberg durch die Goslarer Felswerke Kalkstein abgebaut.

Bad Grund. Eigentlich ist es ganz idyllisch in der Iberg-Siedlung am oberen Ende der Bergstadt Bad Grund direkt unterhalb der Harzhochstraße B 242. Auch an die regelmäßigen Sprengungen durch die Goslarer Fels Werke (Kalkwerk Münchehof) im Steinbruch am Iberg/Winterberg haben sich die Anwohner wohl gewöhnt.

Dennoch hätten diese teilweise in der Vergangenheit an Heftigkeit zugenommen, wie einige Anwohner in einem Gespräch mit dem „Beobachter“ berichten. Am Donnerstag, 4. Januar, um die Mittagszeit soll es zudem so laut geknallt haben, dass sich diejenigen Anwohner, die zufällig zu dem Zeitpunkt zu Hause waren, sehr erschrocken hätten. Vermutet wurde sofort, dass es sich ebenfalls um eine Sprengung gehandelt haben müsse. Der Knall an dem Tag soll nicht nur deutlich lauter gewesen sein, sondern es sollen auch die Häuser regelrecht in sich gewackelt haben.

Gläser und Tassen in den Schränken hätten geklirrt und eine junge Frau beschrieb das Ereignis so, dass sie eine deutliche Druck-Bewegung an ihren Füßen gespürt habe. Bei einem weiteren Anwohner, der ebenfalls nicht namentlich genannt werden möchte, seien sogar Dachziegel herunter gekommen. „Der Knall war so laut, und die Schwingungen deutlich spürbar“, so der Anwohner, „ich habe gedacht, das Dach hebt ab“.

Auf Nachfrage bei der Fels Vertriebs und Service GmbH in Goslar bestätigte der Leiter Marketing und Kommunikation, Bernd Röwert, dass an dem 4. Januar gar keine Sprengungen stattgefunden hätten. Woher kommen also der laute Knall und die Erschütterungen dann Thomas Finkeldey vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Clausthal-Zellerfeld schließt eine Erdbewegung im stillgelegten Bergwerk in Bad Grund aus. Die Abbaustätte sei zum großen Teil verfüllt worden und zudem habe man in Bad Grund ein relativ standfestes Gebirge. Auf Nachfrage beim Luftfahrtamt der Bundeswehr in Köln teilte man mit, dass an dem Tag auch keinerlei Luftverkehr über dem Ort oder in der unmittelbaren Nähe stattgefunden habe, der möglicherweise durch die Erzeugung von Überschall-Druckwellen zu einem Knall geführt haben könnte.

Beim Niedersächsischen Erdbebendienst des LBEG in Hannover konnten an dem Tag ebenfalls keine seismischen Aktivitäten ab einer Stärke von 2,0 für das Gebiet um Bad Grund festgestellt werden.

Dennoch machen sich die Anwohner Gedanken um ihre Eigenheime. Jürgen Becker, sagt, dass der Riss am Sockel seines Hauses mit der Zeit immer größer werde, vermutlich durch die Sprengungen. Das Fachwerk halte die Schwingungen vielleicht besser aus, aber die Grauwacke des Sockels habe eine höhere Dichte und die Schallwellen würden deswegen länger in dem Gewerk verbleiben. Genau wie auch in den Bodenplatten der Häuser, die dann ebenfalls reißen können. Aber die Anwohner haben nicht nur Angst um ihre Häuser, auch die Kanäle und Leitungen für Gas und Wasser können durch die Erschütterungen natürlich ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Iberg-Siedlung aus dem Jahr 1938 steht in ihrer Gesamtheit unter Denkmalschutz. Nur etwa 700-Meter-Luftlinie entfernt ist die Iberg-Siedlung von dem Steinbruch am Iberg, das Abbaugebiet Winterberg wurde im Jahr 2005 um rund zehn Hektar nach Osten im angrenzenden Ibergvorkommen erweitert.

In einem sprengtechnischen Gutachten aus dem Jahr 2000, das der Redaktion vorliegt, über die geplante Erweiterung des Kalkabbaus am Iberg wird die Lage der damals geplanten Abbauerweiterung wie folgt beschrieben: „Die beantragte Fläche endet im Süden etwa 300 Meter vor dem Iberger Albertturm, die nächsten zu schützenden Objekte befinden sich ebenfalls südlich in Entfernungen zwischen 525 Meter (Trinkwasserbehälter am Iberg) und 600 Meter, darunter die Iberger Tropfsteinhöhle (550 Meter) und die Bundesstraße 242 (500 Meter).“ Mit keinem Wort erwähnt wird jedoch die Iberger Siedlung, wie auch nicht der Magdeburger Stollen, der die Bergstadt mit Trinkwasser versorgt.

In dem Gutachten werden auch die Auswirkungen der Sprengungen beschrieben. Nämlich, dass auch bei genau dimensionierten Bohrlochladungen ein Teil der freiwerdenden ungenutzten Sprengenergie Erschütterungen verursachen werden. Die in den Untergrund eingeleitete Energie breite sich kreisförmig von der Bohrlochladung zu Erschütterungswellen aus, die Intensität dieser Wellen verringere sich mit der Zunahme der Entfernung zwischen Sprengstelle und dem Objekt.

Klüfte und Spalten würden jedoch unterschiedlich auf Sprengungen reagieren, Gesteinskörper seien nunmal nicht homogen, gibt der BUND-Geologe und zweiter Vorstand der Niedersächsischen Höhlenforscher, Dr. Friedhart Knolle, zu bedenken.

Weiter heißt es in dem Gutachten: „Bei Sprengungen zur Materialgewinnung sind die Sprengladungen so zu wählen, dass ein KB-Wert von tagsüber (6 bis 22 Uhr) 6,0 beziehungsweise nachts (22 bis 6 Uhr) von 0,4 in den Bereichen: 1. Waldgaststätte „Iberger Albertturm“, 2. Hotel „Iberger Kaffeehaus“, 3. Trinkwasserstation Bergstadt Bad Grund, 4. Iberger Tropfsteinhöhle sicher eingehalten wird. Auf Verlangen des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes ist die Einhaltung der oben genannten KB-Werte durch Erschütterungsmessungen auf Kosten des Betreibers zu überprüfen.“

Der KB-Wert bewertet in der Norm DIN 4150-2 Erschütterungseinwirkungen auf den Menschen. Bei der Beurteilung der Erschütterungswirkung von seismischen Ereignissen steht meist die Wirkung auf Gebäude im Vordergrund. Die Einwirkungen auf Menschen ist jedoch auch zu beachten, denn während kleine Gebäudeschäden erst ab Schwinggeschwindigkeiten von fünf Millimeter pro Sekunde möglich sind, werden Erschütterungen schon ab 0,3 Millimetern pro Sekunde spürbar wahrgenommen.

Weiter berichten einige Anwohner, dass manchmal bei den Sprengungen Steine in die Siedlung fallen würden.

Die Winterberger- und Iberger-Höhlen entstanden als komplexe Entwässerungs- und Karstwasserspeichersysteme vor vielen Millionen Jahren. Eine der wichtigsten Aufgabe der Höhlen bleibt die Zuführung und Speicherung von Karstwasser. Auch dieses sensible System könnte durch den Gesteinsabbau beeinträchtigt werden. Da stellen sich auch die Fragen, was zum Beispiel bei einem Ölunfall passiert oder wieviel giftige Sprengstoffrückstände im Wasser landen.

Auf Nachfrage beim Leiter der Ver- und Entsorgungsbetriebe der Gemeinde Bad Grund, Dipl.-Ing. Uwe Schiller, erklärte dieser, dass die Untersuchungsfrequenz des Rohwassers in der Gemeinde sich nach der Trinkwasserverordnung richte und in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt Osterode und dem Landkreis Göttingen durch das Untersuchungslabor der Harzwasserwerke, Granetalsperre, durchgeführt werde. Regelmäßig erfolge auch eine Untersuchung auf Sprengstoffrückstände, zuletzt im Jahr 2012, als erhöhte Trübungswerte im Trinkwasser des Magdeburger Stollens auftraten und der Trinkwasserspeicher einen überdurchschnittlichen Füllstand aufwies. Die Untersuchung ergab keinen Hinweis auf Sprengstoffrückstände, die auf eine Verbindung des Trinkwassers im Magdeburger Stollen zum Tagebaubetrieb am Winterberg zuließen, so Schiller. Seitdem seien Marker, die Indiz auf Sprengstoffrückstände sein könnten, nicht auffällig gewesen.

Den Knall am 4. Januar muss es gegeben haben, da dies gleich mehrere Anwohner der Iberg-Siedlung bestätigten. Woher dieser nun wirklich kam, wird aber wohl vermutlich vorerst eine offene Frage bleiben.hn