Ohne ihn steht die Zeit still

Der Berliner Hans-Jörg Drake fand in Bockenem seine große Liebe – seit 2017 leitet er das Museum der Zeit

Museumsleiter Hans-Jörg Drake in seinem Element: Beim Erklären der Funktionsweise der Turmuhren im Bockenemer „Museum der Zeit.“

Bockenem. Ohne Jörg Drake würde im  „Museum der Zeit“ in Bockenem Stillstand herrschen – nicht nur wie jetzt wegen Corona. Der 80-jährige Techniker kann nämlich im Turmuhren-Museum seine Leidenschaft für Mechanik und Maschinen ausleben. Besonders die großen Uhrwerke haben es ihm angetan.

Doch bis er vor drei Jahren die Leitung übernahm, ist viel passiert.  Das Ehepaar Drake erinnert sich. „Kartoffeln rein – Kinder raus“: So heißt 1948 während der Berliner Blockade eine Aktion des Deutschen Roten Kreuz. Die Piloten der Luftbrücke nehmen beim Rückflug in den Westen Tausende von Stadtkindern mit. Sie werden Gastfamilien übergeben, die dafür sorgen, dass sich die Kinder erholen können.

Auf diesem Weg kommt auch der neunjährige Hans-Jörg Drake nach Bockenem in die Arzt-Familie Kempe. „Ich schlief in der Küche auf einem Seifenkisten-Bett. War trotzdem gemütlich, und ich habe die Zeit in Bockenem genossen“, erinnert sich der heute 80-Jährige. Auch in Bockenem muss er natürlich zur Schule gehen. Dort freundet er sich mit Erika Trüe an. Ihr Vater gilt als vermisst im Krieg.

Die Mutter bewohnt mit ihren drei Kindern nur zwei kleine Zimmer bei einer anderen Familie. Dort waren sie eingewiesen worden. „Es war bedrückend eng. Bockenem war damals voll mit Flüchtlingen“, erinnert sich Drake. Zwei Jahre später kommt der Berliner Junge nochmals nach Bockenem zu den Kempes, die mittlerweile seine Vizefamilie geworden ist. Seine frühere Freundin Erika, inzwischen zwölf Jahre alt, bewegt sich zu der Zeit aber schon in ganz eigenen Kreisen: „Die Kantoren Hacke und Falkenberg, die ja auch Diakone waren, machten eine tolle Jugendarbeit einschließlich der Kurrende, dem Kinderchor und der Kantorei. Überall war ich dabei.

So habe ich seit meiner Kindheit immer gesungen“, erzählt Erika Drake. Später lernt sie Großhandelskauffrau, Stenografie und Schreibmaschine. Zur Freizeit gehören Chorfahrten, der evangelische Jugendkreis und viele andere Aktivitäten. „Meine Mutter ermutigte mich dazu. Sie war bei aller Trauer um ihren Mann immer lebensfroh und hatte viel Humor“. Eines Tages, es ist das Jahr 1959, schaut ein junger Mann durchs Fenster herein.

„Kennst du den nicht mehr?“, fragt sie die Schwester. „Keine Ahnung“, so die 20-Jährige. „Mensch, das ist Hans-Jörg aus Berlin!“ Wiedererkennen und sich verlieben sind eins. „Es hat bei uns beiden sofort Zack gemacht“, erinnert Erika Drake sich lachend. Der junge Mann ist jetzt Werkzeugmacher und will seinen Vize-Eltern einen kurzen Besuch abstatten. Zwei Jahre später ist Verlobung. „Wenn du ihn heiraten willst, musst du jetzt nach Berlin ziehen“, ermuntert die für ihre Zeit fortschrittliche Mutter die Tochter.

Und so geschieht es. 1963 wird in Berlin geheiratet, später der Sohn geboren. Bald gehört das Ehepaar Drake zur Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Es folgt das volle Programm: Beide sind im Elternkreis, sie wird Kindergottesdiensthelferin, er sitzt im Gemeindekirchenrat. Dabei schafft Hans-Jörg im Abendstudium das Technikerstudium und wird Abteilungsleiter bei der Firma Solex-Vergaser.

Jahre später macht er sich selbstständig – mit Erfolg. Erika Drake hat sich zur Religionslehrerin für das 1. bis 10. Schuljahr ausbilden lassen. Sie unterrichtet vorwiegend an der Grundschule und dort auch vertretungsweise alle Fächer. „Das habe ich wahnsinnig gerne gemacht. Ich liebe Kinder“, schwärmt die 81-Jährige heute noch. Und natürlich singt sie auch in Berlin in der Kantorei der Gedächtniskirche.

„Ich kenne alle Oratorien von Bach, Händel und Haydn. War eine gute Zeit“. 2002 gehen beide in Rente und ziehen zurück nach Bockenem in das eigene Haus mit großem Garten. Sehr bald singt Erika wieder im Chor, jetzt in der St.-Pankratius-Kantorei. Und weil sie gerne malt,  lässt sich im Bockenemer Arbeitskreis Kunst und Kultur ihr Talent weiter schulen. Derweil sorgt ihr Mann im Turmuhren-Museum für Bewegung.

Besonders die großen Uhrwerke haben es ihm angetan. Die stammen von der Bockenemer Firma J. F. Weule, die zwischen 1848 und 1953 annähernd 14 .000 Turmuhren in die ganze Welt geliefert hat. „Wenn ich eine Maschine sehe, gibt’s für mich kein Halten mehr“, schwärmt Drake mit Berliner Stimmfärbung.

So manches Uhrwerk hat er mit den Jahren zu einem Glanzstück herausgeputzt. 2017 übernimmt er dann auch die Leitung des Museums. Dort kann man zwar auch liebevoll präsentierte Dinge zur Geschichte der Stadt und ihrer Region sehen. Aber wegen der überregionalen Bedeutung der historischen Uhrwerke wird das große Fachwerkhaus am Buchholzmarkt nun „Museum der Zeit“ genannt.

Eins der mechanischen Wunderwerke wurde sogar zur stilvollen Requisite im Spielfilm „Das kleine Gespenst“. Drake meint: „Zeit ist generell ein spannendes Thema. Könnte gut zur Kulturhauptstadt 2025 passen“. Gemeinsam mit dem Ehepaar Günther und Doris Haars aus Groß-Ilde haben die Drakes das Museum zu einem Ort der kulturellen Begegnung gemacht. Sie organisieren regelmäßig Kunstausstellungen und Vorträge.

Ein Film zur Geschichte des Museums ist auch im Angebot. „Über 1000 Menschen besuchen jährlich das Museum. Ich hoffe, dass es bald wieder so sein wird“, sagt der engagierte Museumsleiter. Und das nicht ohne Stolz.Heinke

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