Das Herz sagt NEIN, aber der Verstand führt das Kreuz zum JA

Über das harte Ringen der SPD mit sich selbst über die Entscheidung zur Großen Koalition

Zwei Stunden diskutierten die Mitglieder der Gandersheimer SPD intensiv darüber, ob die GroKo kommen soll oder was gegebenenfalls im Falle der Ablehnung passieren würde.

Bad Gandersheim. Wenn es um schwerwiegende, ja fast existenzielle Fragen geht, dann lassen sich Parteien bei internen Diskussionen selten gern in die Karten schauen. Ganz anders in diesen Tagen die SPD in der Frage, ob sie in eine Große Koalition mit der CDU eintreten und somit endlich eine Regierung auf die Beine stellen sollte. Darüber darf bis zum 2. März die gesamte Mitgliederschaft der Partei abstimmen. Gründlicher geht Basisdemokratie nicht.

Das Thema wird innerhalb der Partei kontrovers diskutiert, das melden die Medien in täglich neuen Facetten. Der Ortsverein Bad Gandersheim – wie zahllose andere auch im Lande – hatte sich entschlossen, einen Diskussionsabend anzubieten, bei dem sich die Mitglieder zum Thema austauschen und weitere Informationen vermittelt werden konnten. Dieser war zudem auch für interessierte Nichtparteimitglieder öffentlich zugänglich in der neuen Geschäftsstelle an der Tummelburg (ehemaliges Eiscafé Venezia).

Trotz dieser seltenen Chance, einmal Parteigeschehen „von innen“ erleben zu können, waren unter den Teilnehmern des Abends am Ende praktisch doch nur SPD-Mitglieder. Und auch in Bad Gandersheim wurde kontrovers über Ja oder Nein zum Groko-Eintritt diskutiert.

Für viele stand fest: Die Große Koalition ist eine grundlegende Frage für die sozialdemokratische Partei. Vor allem vor dem Hintergrund der vergangenen Koalitionsjahre.

Der jetzt ausgehandelte Koalitionsvertrag – den Mitgliedern in Gänze in der parteieigenen Zeitung „Vorwärts“ an die Hand gegeben – beinhalte immerhin Korrekturen von Fehlern der Agenda 2010. Keine Diskussion gab es in der Gandersheimer Runde im Übrigen über die Frage, ob und wo sich die SPD möglicherweise von der CDU „über den Tisch ziehen“ lassen habe.

Statt dessen lag in allen Informationen zum Thema der Schwerpunkt natürlich auf den Erfolgen der Verhandlungen. Die SPD habe bedeutende Forderungen in den Vertrag einbringen können.

Widerstand gegen eine GroKo regte sich bei einem Mitglied, das darauf hinwies, die SPD sei früher die Partei der Friedensbewegung gewesen. Inzwischen sei „Krieg oder Frieden“ zu ihrer schicksalhaften Frage geworden, die seiner Meinung nach nur aus der Opposition heraus angegangen werden könne, denn eine Abgrenzung von der aggressiven Ausrichtung der NATO, der Türkei oder den USA sei aus der Regierung heraus nicht möglich. Ebenfalls werde man als Regierungspartei kaum etwas gegen die Fehlentwicklungen des Finanzwesens unternehmen können.

Diese Position fand teilweise Zustimmung, andere SPD-Mitglieder sahen es aber durchaus auch und gerade als Regierungsmitglied als möglich an, kriegerische Strömungen ein- und sich von anderen abzugrenzen, wobei an Kanzler Schröders Nein zum Eintritt in den Irak-Krieg erinnert wurde.

Ein wesentlicher Teil der Diskussion drehte sich um die Frage, welche Alternativen es denn zur augenblicklichen Lage gebe beziehungsweise was im Falle eines Neins zur GroKo geschehen werde. Eine Frage, die aktuell den Kern der Partei trifft und ohne Übertreibung schon zur existenziellen erklärt wurde. Dies vor dem Hintergrund frischer Umfragen, nach denen die Zustimmung zur SPD auf ein historisches Tief gefallen ist und sie sogar hinter einer AfD zurückzufallen drohe.

Das nagt enorm am Selbstbewusstsein der Partei und ihrer Mitglieder. Zwar waren sich die Teilnehmer der Diskussion bewusst, dass dies nur für die Bundes-SPD Geltung habe – in den Landesparlamenten und erst recht kommunal ist die SPD nach wie vor unbestritten eine der beiden starken Volksparteien –, dennoch fürchten alle im Moment den Fall einer Neuwahl, die nach einem Nein zur GroKo überaus wahrscheinlich ist, weil Angela Merkel den Fall einer Minderheitsregierung für sich ausgeschlossen hat.

Die Sorge, eigentlich schon mehr Angst hat mehrere Gründe. Zum einen natürlich, weil die Umfrageergebnisse zur Zeit so dramatisch schlecht sind. Zum anderen, weil sie darauf verweisen, dass eine Neuwahl keine bessere Ergebnisgrundlage liefern werde. Nur Jamaika hätte danach eine Mehrheit, doch wer glaubt nach dem ersten Scheitern an ein Zustandekommen im zweiten Anlauf?

Ein überzeugendes neues Programm – unter dem Motto der allseits ausgerufenen und geforderten „Erneuerung“ – in wenigen Monaten auf die Beine zu stellen, sei fast unmöglich. Und eine „Lichtgestalt“, wie sie mit Martin Schulz vor der letzten Wahl aufgetaucht sei, werde es absehbar so schnell nicht wieder geben. Die SPD hätte also im Fall eines Neins enorm viel zu verlieren.

Es gehe, so wand der später hinzugekommene Landtagsabgeordnete Uwe Schwarz ein, aber vor allem auch um die demokratische Verantwortung. Der Wähler habe der Partei seine Stimme gegeben, damit sie regiere. Nicht, um eine Regierung zu verhindern. Es sei für ihn in Hannover wie auch auf Bundesebene ein emotionaler Spagat, eine GroKo mitzutragen, selbst erstmal auch in einer zu arbeiten, der Verstand sage aber, es müsse so geschehen. Beim Zusammengehen in einer Koalition sei es dann auch normal, dass man bei vorherigen Wahlaussagen zu Kompromissen bereit sei. „Die SPD hat sich immer dadurch ausgezeichnet, dass sie bereit war, Verantwortung zu übernehmen. Und das sollte auch hier der Fall sein“, sagte Schwarz.

Die Stimmungslage der Gandersheimer Diskussionsrunde bildete sich dabei offenbar als Spiegelbild einer allgemein beschriebenen Lage wieder: Widerspruch gegen die Regierungsbeteiligung schien deutlich in der Minderheit, die meisten teilen die Einschätzung von Uwe Schwarz, dass man schweren Herzens der GroKo zustimmen sollte. Ob es tatsächlich auch so kommt, wird nach der Auszählung der Stimmen am 4. März verkündet.rah