„Der Kontakt zu den Kunden wird mir fehlen“

Nach 174 Jahren schließt Firma H. Drucklieb am 31. Dezember / Viele Gründe führten zu der Entscheidung

Ulrike und Bodo Weize in ihrem Geschäft in Bad Gandersheim.

Bad Gandersheim. Ende einer Ära: Nach 174 Jahren, fünf Monaten und ein paar Tagen schließt am 31. Dezember die Firma H. Drucklieb. Altersgründe, der wachsende Einfluss des Internets und parallel dazu eine immer geringere Nachfrage nach Buchbindeleistungen, ein verändertes Einkaufs- und Leseverhalten, der Rückgang der Schülerzahlen und in Summe dieser Entwicklungen fallende Kundenzahlen führten zu der Entscheidung, sagt Inhaber Bodo Weize. „Außerdem gibt es unsere Artikel inzwischen an jeder Ecke und Kante“ benennt er einen weiteren Grund.

„Der Kontakt zu den Kunden wird mir fehlen“, betont der 70-Jährige, der Buchbinder gelernt und dann einige Jahre beim Gandersheimer Kreisblatt in der Fertigmacherei gearbeitet hatte, in der gedruckte Sachen weiterverarbeitet werden mussten. In Braunschweig absolvierte er 1973 seine Meisterprüfung, um sich anschließend im Geschäft hauptsächlich um die Buchdruckerei zu kümmern.

Den Boden aufräumen und das Haus wieder auf Trab bringen sind die ersten Ziele, die der gebürtige Bad Gandersheimer für den Ruhestand hat. Ansonsten will er „alles auf sich zukommen lassen“.

In seiner Heimatstadt hat er sich stets wohl gefühlt. Deren Reiz liege daran, dass alles überschaubar ist. „Lieber eine Kleinstadt als eine Großstadt“, lautet sein Motto. Die Landschaft sei sehr schön, „nicht zu steil und bergig, sondern schön hügelig“. Zusammen mit seiner Frau Ulrike, die als Angestellte in dem Geschäft arbeitet, plant er auch Reisen.

Mit einer Anzeige im Gandersheimer Kreisblatt vom 27. Mai 1845 wurde die Firma H. Drucklieb am heutigen Standort der Druckerei Pinne gegründet. Heinrich Andreas Drucklieb, Sohn des Schneidermeisters Georg Drucklieb, war erst am 10. März desselben Jahres als Buchbindermeister zugelassen worden.
In seiner kleinen Werkstatt band er Bücher nach individuellen Kundenwünschen. Daneben verkaufte er auch fertig gebundene Bücher.

Die Fortentwicklung der Maschinen für die Papierherstellung und der Buchdruck ermöglichten immer größere Auflagen. Auch für die Buchbinderei wurden Maschinen entwickelt, mit denen verschiedene Arbeitsgänge parallel zueinander durchgeführt werden konnten. Es entstanden Großbuchbindereien, in denen ganze Auflagen eines Titels mit einem einheitlichen Einband versehen wurden, so wie dies heute bei der Buchherstellung üblich ist, heißt es in der Firmenchronik.

Die Buchbinderei für private Kunden war dadurch rückläufig, der Hauptanteil der Aufträge kam von Behörden und gewerblichen Kunden. Für sie wurden die Loseblattsammlungen von Gesetzestexten, Registerbücher, Geschäftsbücher und verschiedene Akten eingebunden.

Heinrich Andreas Drucklieb verstarb im Jahre 1858 und seine Frau führte für neun Jahre das Geschäft weiter, bis ihr Sohn Karl sie tatkräftig unterstützte. Dorette Drucklieb erwarb 1874 das Haus Nr. 267 auf der heutigen Stiftsfreiheit, wo die Firma ihren endgültigen Sitz fand.

1878 übernahm Karl das Geschäft in eigener Regie. Er heiratete am 26. Juli 1881 Marie Sophie Gleser. In seine Schaffenszeit fallen auch erste Umbaumaßnahmen am Geschäftshaus. So wurde der Dachstuhl verändert, um dort Leisten für die Herstellung von Bilderrahmen lagern zu können. Wegen des frühen Todes von Karl Drucklieb musste seine Frau für einige Jahre das Geschäft alleine führen.

Im Jahre 1907 übernahm es dann Sohn Heinrich im Alter von 25 Jahren. Mit viel Fleiß verhalf er ihm zu einem großen Aufschwung. Von seinem künstlerischen Einfühlungsvermögen zeugen noch heute Bücher, die von seinen Händen gebunden worden sind. Für die vielen Aufträge konnte neben zwei weiteren Buchbindergesellen 1919 Walter Zauske eingestellt werden.

In der Firma gewann das Ladengeschäft mit seinen vielfältigen Artikeln an Schreibwaren und Papierwaren an Bedeutung. Als weiteres Standbein entstand eine Kartonagenfabrikation. In dieser wurden während des Ersten Weltkrieges rund eine Million Feldpostkartons hergestellt.

Bei dieser großen Stückzahl bereitete es, wie aus Feldpostbriefen seiner Frau an Heinrich Drucklieb hervorgeht, immer wieder Probleme, die benötigten Mengen Pappe zu besorgen.

Heinrich hatte am 2. September 1917 Marie Oeltzen geheiratet. Er verstarb bereits am 12. Mai 1923 und hinterließ seiner Frau und seiner vierjährigen Tochter Marie-Elisabeth ein gutgehendes Geschäft.

Da für die Buchbinderei nun kein Meister mehr bereit stand, griff hier die sogenannte Witwenregelung. Diese besagte, und das gilt auch heute noch, dass für eine Übergangszeit die Werkstatt auch ohne Meister weitergeführt werden kann. Für die Ausführung der Buchbinderarbeiten war Walter Zauske zuständig. Während seiner 46-jährigen Tätigkeit wurde er durch sein Können und seinen Fleiß die Seele des Geschäftes.

Von 1938, nach der Ausbildung von Marie-Elisabeth, bis zum Tod von Marie Drucklieb führten Mutter und Tochter das Geschäft als offene Handelsgesellschaft gemeinsam weiter. So lernte Marie-Elisabeth Drucklieb früh das harte Geschäftsleben kennen. Viele Kunden konnten ihre Schulden nicht bar bezahlen. Sie zahlten dann oft mit Naturalien oder kleinen Arbeiten am Haus. So erhielt der Dachboden elektrische Beleuchtung.

Wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse während des Krieges und auch bis zur Währungsreform wurden die Kartonfabrikation und das Einrahmen von Bildern aufgegeben.

1943 heiratete Marie-Elisabeth den Automechaniker Richard Weize aus Stroit. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1945 führte sie das Geschäft gemeinsam mit ihrem Ehemann weiter. Er hatte sich bald eingearbeitet und konnte so seine Frau tatkräftig unterstützen. 1945 und 1949 wurden die beiden Söhne Heinz-Richard und Bodo geboren.

Nach dem Krieg wurde die Firma H. Drucklieb hauptsächlich als Einzelhandelsgeschäft für Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Papier- und Bürowaren weitergeführt. Wegen des Mangels an Waren war dies nicht immer ganz einfach. So wurden auch Artikel verkauft, die nicht zum üblichen Sortiment eines Zeitschriften-, Papier- und Buchhandels gehörten, die Buchdruckerei wurde zum Nebenerwerb.

In den fünfziger Jahren wurde der Laden in mehreren Etappen erweitert. 1959 verstarb Richard Weize nach einem Dienstunfall und wieder musste eine Frau alleine das Geschäft führen. Ihre große Stütze war dabei Walter Zauske, der im gleichen Jahr sein 40-jähriges Arbeitsjubiläum feierte. Als mittlerweile einzig aktiver Buchbinder in Bad Gandersheim war er es, der Bodo Weize die ersten Buchbindereitechniken, Kniffe und Tricks verriet. 1965 verstarb Zauske.

Marie-Elisabeth Weize heiratete 1967 Johann Kainmüller, der für viele Jahre bis zu seinem Tod 1983 im Geschäft tätig war. 1985 übernahm Bodo Weize das Geschäft von seiner Mutter. Im Mai 1986 heiratete er Ulrike Martini, die sich als gelernte Buchhändlerin mit einer Vorliebe für Schreibartikel schnell in dem Geschäft zurechtfand. „PBS“ beschreibt sie das heutige Programm, kurz Papierwaren, Bürobedarf, Schreibwaren.

So wie sich das Sortiment geänderter Nachfrage anpasste, veränderte sich auch das Erscheinungsbild des Geschäftshauses. Im Frühjahr 1991 begannen Umbauarbeiten und im August desselben Jahres konnte der neugestaltete Laden bezogen werden. Im Mai 1994 kam eine Verkaufsstelle für Toto/Lotto hinzu. Zwischenzeitlich war die Firma auch in Kreiensen vertreten. Nach der Feier zum 150-jährigen Bestehen wurde den Betreibern die Buchhandlung Meyer zum Kauf angeboten. Nach kurzen Verhandlungen eröffnete Anfang 1995 die Filiale in dem Ort.

Geleitet wurde sie von Ulrike Weize, die zusammen mit ein paar Angestellten das Sortiment der Buchhandlung Meyer übernahm und durch einige Bereiche erweiterte. Rückgängige Kundenzahlen führten Ende September 2011 zur Schließung.art