Die Flachsröste – ein Großbetrieb in dunkler Zeit

Ehemalige Mitarbeiterin der Flachsröste lässt alte Wirkungsstätte wieder auferstehen / Neuer Stromkasten erinnert an Fabrik

Ingeborg Böhm und Frau Habenicht am frisch beklebten Kasten in der Neuen Straße mit dem Bild der alten Flachsröste.

Bad Gandersheim. Als anstelle der Carl Bruns Werkzeugfabrik GmbH am 1. Mai 1935 die Flachsröste Gandersheim GmbH in die still gewordene Fabrik in der Karl DincklageStraße (heute Neue Straße) einzog, bedeutete das für die Stadt und ihre Bewohner einen wirtschaftlichen Aufschwung. Denn nicht nur die Errichtung der Flachsröste mit ihren Maschinen, sondern auch für das Bauhandwerk versprach es hohen Umsatz, denn die Infrastruktur, unter anderem die erforderliche Kanalisation, ein eigener Gleisanschluss und die Errichtung der Betriebsvorrichtungen wurden durch heimische Betriebe ausgeführt.

Wie bereits die Schaffung des Osterbergsees und die Errichtung der Reichsmotorsportschule stellte die Ansiedlung der Flachsröste ein weiteres Konjunkturprogramm für Gandersheim dar. In einem Zeitungsartikel vom 8. April 1938 im Gandersheimer Kreisblatt wird berichtet: „Nur im Rahmen des Aufbauwerks des Nationalsozialismus ist solch ein Werk denkbar, tatsächlich ist ja auch unsere Flachsröste eine Schöpfung des Dritten Reiches, die als ein wahrer Musterbetrieb angesprochen werden darf“.

Bereits in den Jahren der Gründung wurde das Ziel verfolgt, dass das Deutsche Reich sich mit lebensnotwendigen Rohstoffen selbst versorgen konnte. Aus den Versorgungsengpässen des 1. Weltkriegs hatte man seine Lehren gezogen. Da Baumwolle im Reichsgebiet nicht angebaut werden konnte, wurde die Produktion von Flachs als Grundstoff für Leinen gefördert. Die gute Flachsernte im Jahr 1936 und die vorhandenen Bestände des Vorjahres führte dazu, dass die Zahl der Beschäftigten von anfänglich 20 bis 60 auf 140 im Jahr 1938 anstieg. So mussten während der Hochkonjunktur rund 40.000 Doppelzentner verarbeitet werden. Das entspricht einer Menge von etwa 800 vollbeladenen Eisenbahnwagen. In den Erntemonaten August und September 1936 mussten täglich 80 Waggons mit Rohmaterial entladen werden.

Ein Großbrand am 16. Oktober 1938 auf dem Betriebsgelände der Flachsröste vernichtete die Flachsernte des Landes Braunschweig und einiger südhannoverscher Kreise. Die Gewalt der Flammen war so groß, dass es aussichtslos erschien, den größten Teil der Röste zu retten. Durch den Funkenflug und extreme Hitze brannten die Telegraphenmasten im Bereich des Bahnhofs und über die Bahngleise hinweg war die Hitze noch so groß, dass die dort befindlichen Lagerräume der Ländlichen Hauptgenossenschaft, die große Getreidemengen enthielt, zu dampfen begannen. Der entstandene Schaden umfasste annähernd 800 Waggonladungen Flachs und sämtliche Scheunen und Fabrikgebäude.

Der Wiederaufbau des kriegswichtigen Unternehmens erfolgte zügig. Die größte Schwierigkeit ergab sich für die Gandersheimer Röste nach dem Zusammenbruch im Jahr 1945. Die fehlenden Facharbeiter wurden zunächst durch entlassene Wehrmachtsangehörige und Vertriebene ersetzt.
Nach Kriegsende begann die Produktion mit 35 Mitarbeiten und entwickelte sich in kürzester Zeit zum größten Flachsaufbereitungsbetrieb in der britischen Zone. 1948 bestand die Stammbelegschaft wieder aus 220 Mitarbeitern. Die Produktion erfolgte in drei Schichten. Teilweise wurden Baracken für Mitarbeiter errichtet und die Verpflegung wurde aus einer gut eingerichteten Werksküche sichergestellt.

Anfang der 50 er Jahre musste die Produktion von deutschem Flachs aus Mitteln des Ernährungsministeriums subventioniert werden, da der Import von Flachs aus dem benachbarten Ausland wesentlich billiger war.

Das endgültige Aus für die Flachsröste kam im Sommer 1957. 125 Arbeitskräfte verloren ihren Arbeitsplatz. Nach 22 Jahren ein trauriges Ende. Ingeborg Böhm als langjährige Mitarbeiterin von 1947 bis 1957 möchte im Rahmen der Stromkastenaktion des Kur- und Verkehrsvereins an diesen für Gandersheim wichtigen Betrieb erinnern. Trotz ihres hohen Alters kann sie interessante Geschichten über die Flachsröste erzählen und gehört zu den wenigen noch lebenden Zeitzeugen. Ingeborg Böhm und Familie Habenicht aus Opperhausen gilt der Dank des Kur- und Verkehrsverein.red