Kritik von Jens Witzke

Dieser Abend war für Jedermann ein Genuss

Bad Gandersheim. Am vergangenen Freitag fand die Premiere des „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal bei den Gandersheimer Domfestspielen statt. Eben jenes Theaterstück, welches vor 60 Jahren die Geburtsstunde der Festspiele darstellte.

Intendant Achim Lenz hat im Vorfeld, was die Jubiläumsinszenierung betraf, die Erwartungen hoch geschraubt indem er ein Spektakel versprach. Umso gespannter war ich auf die Premiere und wurde nicht enttäuscht. Die Geschwister Laura und Lisa Goldfarb transportieren den 107jährigen Klassiker mit ehrgeizigem, spielfreudigem und körperbetonten Schauspiel, Akrobatik und musikalischer Untermalung das Stück in die Moderne, legen aber, in ihrer guten Regiearbeit, trotzdem Wert auf die blumige und verschachtelte Sprache, an welche man sich aber nach kurzer Zeit sehr schnell gewöhnt.

Sie beginnen mit dem Ende, um dann zu zeigen, wie es zu diesem Abschluss gekommen ist. Die zahlreichen Holzrahmen, die das Bühnenbild prägen, welches von Simone Graßmann kreiert wurde, stellen bildlich die diversen Spielstätten dar. Vom Friedhof mit seinen Särgen, über den Lustgarten bis hin des Weges zur Himmelspforte. Es geht in dem Stück bekanntlich um den reichen Kaufmann Jedermann, welcher vom Tod heim gesucht wird und eine letzte Frist bekommt, um sich einen Gefährten zu suchen, der ihn vor das Gericht Gottes begleitet. Es wird in diesem Stück stark über den Glauben reflektiert, der mit Sicherheit zur damaligen Zeit stärker im Mittelpunkt stand. Aber die Grundthematik ist auch heute noch aktuell. Selbst für jene, die nicht so stark im Glauben verankert sind. Denn das Leben ist nun mal endlich und man stellt sich früher oder später die Frage, habe ich mein Leben zufriedenstellend gelebt? Bin ich stolz auf das erreichte? War ich egoistisch, oder habe ich auch an meine Mitmenschen gedacht?

In der Hauptrolle des Jedermann brilliert Marco Luca Castelli, der schon im Letzen Jahr in „Das Interview“ seine Spielintensität und Leidenschaft zeigen konnte. Er verkörpert jede Facette der Figur des Jedermanns glaubhaft und überzeugend. Ihm zur Seite, seine Partnerin aus „Das Interview“, Felicitas Heyerick als Buhlschaft. Sie fasziniert das Publikum mit ihrer Stimme, aber auch mit ihrer Wandlungsfähigkeit. Mal ist sie verspielt, dann voller Sorge. Auch in diesem Jahr zeigen das Duo Heyerick/Castelli also, dass sie, wenn sie gemeinsam auf der Bühne agieren, Magie erschaffen. Gerne auch im nächsten Jahr wieder. Gleiches gilt für Jan Kämmerer. Vom Gandersheimer Publikum seit Jahren geschätzt, sowohl auf, als auch abseits der Bühne. Nach seinen unvergessenen Rollen als Reporter in „Und es war Sommer“, dem Piccolo im „Weißen Rössl“ oder dem Miller in „Kabale und Liebe“, zeigt er uns in diesem Jahr seine dunkle Seite. Er verkörpert auch den Tod und den Teufel sehr authentisch. Seinen Gegenpart als Gott übernimmt Dinipiri Collins Etebu. Zudem gehören dem fantastischen Ensemble Claudia Artner, Hermann Bedke, Lukas Janisch, Samira Julia Calder, Selly Meier, Ivo Schneider, Daniel Wagner, Julia Waldmayer und Sarah Wilken an. Alle Akteure spielen mit solch einer Intensität und Leidenschaft, dass das gesamte Publikum fasziniert dem Treiben auf der Bühne folgt. Ausdrucksstark in der Mimik, synchron in den Tanzeinlagen, welche das laszive exzessive Leben im Lustgarten darstellen. Eine besondere Erwähnung möchte ich Daniel Wagner widmen. Vielen Dank für den sympathischsten und liebenswertesten Betrunkenen seit Freddie Frinton in “Dinner for one”. Man kommt als Zuschauer nicht umhin, immer wieder einen Blick auf seine Person zu werfen. Unterstützung bekommen die Schauspieler durch das Extra Ensemble der Gandersheimer Domfestspiele. Eine deutliche Sprache sprechen zudem die Kostüme. Alle tragen die gleiche Kleidung, außer der Jedermann und seine Buhlschaft, welche Rote Schuhe tragen. Eine schöne Versinnbildlichung dessen dass die Kernfrage nicht nur den Kaufmann betrifft, sondern eben Jedermann.

Eine weitere Bereicherung ist es, das Stück mit Musik zu unterlegen. Ferdinand von Seebach, welcher die Stücke eigens für diese Produktion komponierte und arrangierte, spielt zusammen mit Frank Conrad und Martin Werner live während des Geschehens fast immer präsent auf der Bühne. Die Musik unterstreicht und unterstützt die Szenarien, steht aber nie im Vordergrund.

Die Schauspielerische Leistung, die Musik und das einfache aber doch multifunktionale Bühnenbild sind schon einer Jubiläumsinszenierung würdig. Ergänzend bekommt dieses Theaterstück durch die akrobatischen Einlagen des Duos Katarzyna Gorczyca und Patryk Durski, welche die Gehilfen des Todes repräsentieren, noch einen weiteren WOW-Effekt oben drauf. Die akrobatischen Leistungen auf der Bühne und an der Fassade der Stiftskirche ließen so manchen Zuschauer vor Staunen den Mund offen stehen. Trotzdem waren auch diese spektakulären Szenen so geschickt in das Stück eingebaut, das man sie bewundernd wahr nahm, sie aber nicht das einzige waren, was man von dieser Inszenierung mit nahm.

Persönlich hat es mich gefreut, das die Premiere des Schauspiels beinah ausverkauft war und es nicht nur vereinzelten Szenenapplaus gab sondern auch Minutenlang stehenden Beifall am Ende der Aufführung. Schauspielklassiker, auch in alter Sprache, aber in modernem Gewand, gehören zu den Domfestspielen, ebenso wie Kinderstück und Musicals.

Besuchen Sie doch einfach eine der noch kommenden Aufführungen des Jedermann und lassen sich von der Atmosphäre, der Stimmung und vor allem dem Schauspiel verzaubern.jw