Domspitzen – die Benefizgala zum Festspielfinale

Wieder eine gelungene (Ver)Mischung aus allen Produktionen begeistert selbst bei Regen / Tina Fibiger berichtet

Das große Finale: Konfettischlangen aus den Handkanonen über Publikum und Ensemble setzen den Schlusspunkt unter eine grandiose Benefizgala.

Bad Gandersheim. Von Regenschauern lässt sich ein spielwütiges Ensemble natürlich nicht abhalten. Genauso wenig wie Achim Lenz, der das wartende Publikum mit seinen Ansagen bei Laune hält. „Wir werden alle nass“ tönt es munter über die Lautsprecher, mit der Bitte um ein bisschen Geduld bis zum Beginn der Domspitzen Revue, die trotz der störrischen Wetterlage jetzt erst recht über die Bühne gehen soll. Die Theatermacher sind schließlich mit Regenschirmen und Regenhüllen ausgerüstet, so wie auch ihre Zuschauer.

Und wenn dann die Bühnentechnik von Achim Lenz und Thomas Groß noch tatkräftige Unterstützung beim Trockenlegen der Bühne bekommt, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Sicher ist da auch ein bisschen Magie im Spiel, der die Regengötter alsbald besänftigt, wenn der Zauberer von Oz jetzt Dorothy und ihre Freunde lautstark beflügelt, sich auf die Suche nach finsteren Hexen und fiesen Poltergeistern zu begeben.

Wie immer bei den Domspitzen vergnügt die schräge Mischung aus Szenen und Songs der Festspielproduktionen, mit der die Theatermacher ein munteres Chaos anrichten.

Jetzt bekommt die regenfeste Gemeinschaft mit Dorothy und Blechmann, dem Löwen und der Vogelscheuche auch die Geschichte von Notre Dame zu hören. Sie könnte sich ebenso in den Central Park verirren, wo das „Hair“-Ensemble mit „Aquarius“ den Regenschauern und ihnen mit dem Song „Helplessly Hoping“ ein weiteres Mal trotzt. Munter flackern die Flammen in der Feuerschale, auch wenn es nicht so „too darn hot“ ist, wie Fehmi Göklü, Elena Otten, Vera Weichel, Rebecca Stahlhut und Tim Müller verkünden und ihre nassen Handtücher schwingen.

Damit ermuntern sie umso mehr Stephan Luethys Löwen und Felicitas Heyericks Vogelscheuche zu einem zauberhaften Duett, das auch Denise Kiesows Dorothy ganz verträumt auf Marco Luca Castellis Blechmann blicken lässt. Selbst wenn die finstere Zaubergesellschaft erneut ein bisschen Chaos stiften möchte, wird sie von Daniel Eckert, Tim Müller und Lemuel Pitts mit der musikalischen Widmung für Notre Dame de Paris zauberhaft überstimmt. Zauberhaft berührt auch Hermann Betke mit den sehnsüchtig tragischen Bildern in Quasimodos Lied, während sich Jakob Urbanski und Sabina Romanczak noch in artistische Höhenlage begeben und an dem Mauerwerk der Stiftskirche entlang schweben.

Bei „Spatz und Engel“ haben die Geister aus dem Lande Oz offenbar ebenfalls ihre Hand im Spiel, damit das Domspitzenensemble weitere Überraschungseffekte ausspielen kann. Hier ist nicht etwa Edith Piaf trostbedürftig, während die Klospülung gurgelt, sondern vor allem die sonst so souveräne Marlene Dietrich, die den Verlust einer Perücke beklagt. Doch bei den beiden schrägen Gestalten, die jetzt den Song „beste Freundin“ anstimmen, handelt es sich keineswegs um Silvia Heckendorn und Miriam Schwan. Getarnt mit Zauselperücken und wildem Outfit lassen Sven Olaf Denkinger und Patrica Martin die herrlich verrückte Bühnenatmosphäre vom vergangenen Sommer mit der „Addams Family“ wieder aufleben.

Die Regengötter sind endgültig verstummt, wenn Lemuel Pitts mit „Ol man river“ und Silvia Heckendorn mit „rien den rien“ Gänsehautfeeling aufkommen lassen und ihr Publikum erneut so stimmgewaltig begeistern.

Jetzt kann Achim Lenz auch endlich mal seine artistischen Talente vorführen und jongliert mit feurig leuchtenden Keulen, wenn auf der Bühne Jahrmarkstrubel angesagt ist, natürlich mit wilden Achterbahnfahrten und fröhlichem Kreischen. Klar, dass dafür ein Sonderapplaus fällig ist. Aber alte und neue Fans der Festspiele feiern die Theatermacher an diesem Abend nicht nur für ihre unterhaltsam turbulente Bühnenshow, sondern auch für ein klares Statement zur Demokratie.

Miriam Schwans Marlene Dietrich nimmt hier kein Blatt vor den Mund, wenn sie auf die Proteststimmen der „Hair“-Generation verweist und ihre aktuelle Bedeutung. Mit einer klaren Ansage gegen die Verhältnisse, in denen neben der Arktis die Ressourcen brennen, Rassisten den Bundestag kapern, kleingeistige Politiker gegen Minderheiten hetzen und Theaterleuten vorschreiben wollen, wie sie ihre Kunst zu machen haben. In diesem Sinne versteht sich auch der Song „Der Homosexuelle an sich“, mit dem Elena Otten, Verena Weichel und Daniel Eckert ihr Publikum mit einem ironisch nachdenklichen Plädoyer für Offenheit und Toleranz konfrontieren, auch wenn sie dafür den ein oder anderen verstörten Blick riskieren.

Jetzt ist es erst recht an der Zeit für die musikalische Widmung „Giant Heart“, mit der Peter Neutzling und Esther Conter die Zuschauer bestürmen. Carina Shamila rockt die Festspielarena mit einem leidenschaftlich starken Tina Turner Medley – und alle rocken mit. Es bleibt bei der vertrauten standing ovations Atmosphäre wenn Achim Lenz ankündigt, welche Projekte sein Ensemble mit den Erlösen aus der Domspitzen Benefizgala unterstützen möchte, um auch damit ein Zeichen für die Freiheit der Kunst zu setzen, die aufrührt und bewegt. 50 Prozent sind für das Probenzentrum in der neuen Straße vorgesehen. Das Kinder- und Jugendzentrum für Trauerbegleitung des Ambulanten Hospizdienstes Leine-Solling wird mit 25 Prozent der Erlöse in seinem Engagement bestärkt, ebenso wie der „Lokale Aktionsplan“ im Landkreis Northeim mit seinen Projekten gegen Rechtsextremismus und für Demokratie.

Zum Domspitzenfinale regnet es Konfettischlangen und das auch mit den schönsten musikalischen Aussichten auf den nächsten Festspielsommer „Let the sunshine in“.red