Von Tina Fibiger

Ein Schauspiel im Grünen

Der Intendant der Gandersheimer Domfestspiele Achim Lenz flaniert durch Goethes Faust

Gute Stimmung bei sommerlichen Temperaturen im Café-Garten des Klosterhofs Brunshausen: Etwa 150 Gäste lauschten Achim Lenz.

Bad Gandersheim. Noch immer werden Stühle herbeigeholt. Weitere erwartungsvolle Besucher haben sich angekündigt, die endlich wieder Theater erleben möchten und schon gespannt sind auf das Schauspiel im Grünen. Da kommt sogar ein bisschen Premierenstimmung auf, auch wenn Achim Lenz sein Publikum in diesem Theatersommer ohne Domfestspiele auf das nächste Jahr vertröstet.

„Bis dahin“, sagt er, „muss der Intendant halt selber sprechen“ und wirft noch einen aufmunternden Blick in die Runde, bevor er sich mit Goethes „Faust“ einer ganz besonderen Herausforderung stellt. Dass er für das ganze Stück nur eine gute Stunde vorgesehen hat, klingt zwar abenteuerlich – aber Theatermenschen sind eben auch Magier, die Goethes Meisterwerk in eine kurzweilige dramatische Begegnung mit seinen Bühnenfiguren verwandeln.

Für seine Lesung im Café-Garten des Klosterhof Brunshausen hat Achim Lenz natürlich eine formidable Strichfassung im Gepäck, um dann auch über einzelne Szenen zu philosophieren oder nach besonderen Lesarten zu forschen. Zunächst ist allerdings auch ein bisschen Wehmut im Spiel, nachdem der Coronavirus alle Vorstellungen über den Pakt mit Mephisto, die Gretchen-Tragödie und die teuflische Party auf dem Brocken abgeblockt hat. Umso lieber macht sich jetzt der Regisseur mit seinen Gedanken zur Inszenierung ans Werk, rezitiert dazu eine Fülle dramatischer Verse und gönnt diesem lebens- und wissbegierigen Faust auch mal eine kräftige Dosis original Schweizer Humor. Gelegentlich wackelt dabei sogar der Sockel des Weimarer Dichterfürsten.

Zunächst hat jetzt der frustrierte Gelehrte das Wort, der nur noch Visionen herbeisehen kann, um seinen Erkenntnisdrang zu stillen, und dabei ganz unakademisch abdriftet. „Heute würden wir sagen, er gerät in die Esoterik“, umschreibt Achim Lenz den Streber nach magischen Formeln und was sonst noch so die Welt im Innersten zusammenhält. „Gute Karten“ gibt er wiederum Mephisto, der sich auf das gelehrte Elend seinen tückischen Reim macht: Mit Genuss betrügen, nichts leichter als das.

Die berühmte Gretchenfrage um Gott und Glauben bleibt an diesem Vormittag ebenfalls nicht unkommentiert. Auch wenn Achim Lenz den schwärmerischen Faust zitiert, der sich in die unschuldige Schöne verguckt und sie wie einen Lottogewinn in Besitz nehmen will, macht er sich seinen eigenen nachdenklichen Reim, bevor er Gretchen mit Hingabe seufzen lässt. Dabei muss sich Goethe ebenfalls ein paar undramatische Anmerkungen gefallen lassen, weil er sich offenbar schwer tat mit dem Schreiben von Frauenrollen, und Gretchen-Darstellerinnen bis heute ein Lied davon singen können, wenn sie sich an ihrer Figur abarbeiten.

Doch bevor sich das Drama in Gretchens Kammer mit dem schmachtenden Verführer zuspitzt, kündigt Lenz die große Party auf dem Brocken an, auf der alle Monster aus den Tiefen der Erde zu Hochform auflaufen. Die Szene „Auerbachs Keller“ habe er gestrichen, sagt er, weil in dem Fall der Harz mehr zu bieten habe als das beschauliche Leipzig. Dafür zitierte er umso genüsslicher aus dem „Hexensabbat“ und dem satanischen Aufruf, den Goethe mehrfach aus seinem „Faust“ gestrichen hatte und der auch für zeitgenössische Ohren wenig dichterfürstlich klingt. „Vor euch sind zwei Dinge von köstlichem Glanz, das leuchtende Gold und ein glänzender Schwanz“.

„Bei den Domfestspielen machen wir diese Szene“, verkündet Lenz mit einem Augenzwinkern. Schließlich habe das Publikum ein Anrecht auf das ganze Werk. Die verführerische Wirkung des Stückes stellt sich für die 150 Zuschauer und Zuhörer schon jetzt bei sonnigem Sonntagswetter im Grünen ein. Auch mit den vielen nachdenklichen Anmerkungen zur Figur dieses macht- und erfolgshungrigen Faust und seiner zerstörerischen Energie, die in den Szenen immer wieder anklingt. Vermutlich kommen einige Besucher nach dieser kurzweiligen Faust-Betrachtung auch dem Wunsch des Intendanten nach und nehmen auch sich den kleinen gelben Reclam noch einmal vor. Seiner Bitte, die drei polnischen Artisten zu unterstützen, die die Zeit der Pandemie ohne soziale Absicherung meistern müssen, kommen sie alle gerne nach und spenden 1280 Euro nach einer inspirierenden Faust-Odyssee im Grünen.red