Eine Apotheke zu Gandersheim (Teil 2)

Bestens dokumentierte Geschichte aus der Roswithastadt am Beispiel der Ratsapotheke – Die Zeit von 1736 bis 1802

Auch im Haus Markt 9 – aktuell für Arbeiten eingerüstet –, heute Tierarztpraxis und davor Fleischerei, war die Apotheke zu Gandersheim einmal beheimatet, dies vor allem im 18. Jahrhundert.

Bad Gandersheim. Wie wir schon bei von Beller gehört hatten, war das Verhältnis zwischen dem Stadtphysikus und dem Apotheker oftmals angespannt. Schrader hatte aktenkundig seit mindestens 1736 Probleme mit dem damaligen Stadtphysikus Dr. Blum. Dieser Streit zog sich bis mindestens 1744 dahin und war zuletzt nur noch gegen den jeweiligen Apotheker Gandersheim gerichtet.

Anlass war die Tatsache, dass Schrader anscheinend selten in der Apotheke anwesend war. In diesem Streit blieben sich beide Kontrahenten nichts schuldig. Der Apotheker warf dem Arzt vor, dass er Medikamente aus der Apotheke aus Northeim bezöge, wo sein Vater Apotheker sei, der Stadtphysikus dem Apotheker, dass er bei der Visitation die Apotheke derselbst in großer Unordnung vorgefunden habe. „So wären viele Drogen vorhanden gewesen, vornehmlich auch unter den Radicibus, Herbis und Floribeus, welche doch sicherlich hätten frisch colligiert  werden. Die Arsenica waren auch keineswegs der hochfürstlichen Medicinal-Ordnung gemäß an gehörigen Ort, ja sogar er selbst nicht gewusst, dass Arsenicum rubrum dagewesen“.

Der Blum-Schradersche Streit schlug heftige Wellen, artete in Beleidigungen aus und endete erst 1739 mit dem unerwarteten Tod von Schrader (wird am 28. Mai 1739 begraben). Seine Erben verkauften die Apotheke an den aus Alfeld gebürtigen Christoph Scheller, der zuletzt als Provisor an der Hofapotheke zu Eisenach tätig war.

Scheller erhält am 30. September 1740 das Apothekenprivileg; er muss zehn Thaler Recognition jährlich bezahlen und monatlich 21 Gutegroschen (ggr.) Contribution. Der Stadtphysikus Dr. Blum bekommt für seinen Streit mit der Apotheke einen neuen Kontrahenten.

1739 hatte der Stadtphysikus entgegen der Anordnung eine Visitation der Apotheke ohne den Bürgermeister oder ein anderes Mitglied der Stadtobrigkeit durchgeführt, wie es sonst die Regel war. Über diese Eigenmächtigkeit des Dr. Blum beschwert sich die Stadt in aller Form. Dr. Blum reagiert auf die Anschuldigungen und kritisiert die Vergabe der Apotheke an Scheller.

Scheller verlässt am 8. Januar 1742 Gandersheim, um an der Universität zu Helmstedt Medizin zu studieren. Damit kommt es zum offenen Konflikt zwischen dem Apotheker und dem Stadtphysikus; dieser berichtet „zurückgeblieben sei nur der Provisor und zwei Lehrjungen, die alle Arbeit verrichten müssten“. Der Streit wird vor staatliche Stellen getragen und Dr. Blum bemängelt, dass Scheller nur selten in der Apotheke oder in der Stadt überhaupt anwesend sei, „man wisse nicht mal mehr, wer die Apotheke überhaupt führe“.

Der Aufforderung, seine Tätigkeit als Apotheker vor Ort auszuüben, kommt Scheller nicht nach; er bleibt in Helmstedt, vollendet sein Studium und promoviert zum Doktor. 1743 wird von herzoglicher Seite gefordert, dass wenn Scheller nicht in seiner Apotheke anwesend sei, sein Verwalter die entsprechenden Prüfungen zur Führung einer Apotheke erfolgreich abgelegt haben muss. Der erste Provisor hatte wohl keine entsprechende Ausbildung, denn Scheller stellt einen neuen Provisor ein, Johann Georg Seitz aus Uslar, von dem wir später noch hören werden.

Nach der Promotion kehrt Scheller nach Gandersheim zurück und praktiziert hier als Arzt. Erfolgreich scheint er aber nicht gewesen sein, denn am 2. Februar 1746 bestätigt er gegenüber dem Rat der Stadt, dass er einigen Bürgern Geld schuldet und sagt zu, diese Schulden zu begleichen. Er verkauft die Apotheke an seinen Provisor Seitz und verlässt die Stadt.

Hier widersprechen sich die Akten: Als Kaufdatum werden sowohl 1745 als 1748 angegeben. Seitz erwirbt am 17. Februar 1747 die Bürgerrechte der Stadt, als Berufsbezeichnung werden Apotheker und nunmehr Gastwirt angegeben. Denn Seitz hatte zuvor Clara Dorothea Eicke, die Witwe des Gastwirtes vom Weißen Roß geheiratet. Seitz wird in der Gandersheimer Bürgerrolle vom 23 Dezember 1749 an dritter Stelle aufgeführt.

Insgesamt bestand die Stadt damals aus 188 Haushalten mit 993 Personen, die sich in der Stadt aufgehalten haben. Im Jahre 1748 ersucht Seitz um das herzogliche Privileg nach, denn da er vor dem Kauf der Apotheke nicht um die herrschaftliche Erlaubnis nachgesucht hatte und auch die entsprechenden Prüfungen vor dem Collegium Medicum nicht abgelegt hatte, war die Apothekenübernahme illegitim.

Anfang 1749 legt Seitz die Prüfungen vor dem Collegium Medicum ab, an Ostern erhält er das gewünschte Privileg für sechs Jahre überreicht. Unter der Bedingung, dass sein Privileg um weitere sechs Jahre verlängert wird, wäre er 1753 bereit die Apotheke, die seit den Zeiten Schellers in einem schlechten Zustand sich befindet, neu einzurichten. Die Officin des Apothekers Seitz können wir heute im städtischen Museum anschauen. Das Privileg wird 1754 um sechs Jahre verlängert. Er muss jährlich Recognitions-Geld in Höhe von 25 Thalern zahlen, von 1748 bis 1754 betrug die Höhe des Recognitions-Geldes 20 Thaler.

Auch unter Seitz scheint das Verhältnis des Stadtphysikus Dr. Blum zur Apotheke angespannt gewesen zu sein. So können wir in der „Acta Commisiones des hs. Land- und Stadtphysikus Doctoris Blumen contra dem Apotheker Seitz hieselbst, d. a. 1756 in pkto. Angeb. Widersetzlichkeit und andern übelen Begegnißen“ nachlesen, dass Dr. Blum schriftlich vor die medizinische Commission vorbrachte, die bereiteten Medikamente entsprächen nicht den Vorschriften und dass die verwandten Grund- und Rohstoffe nicht frisch genug oder gar verdorben seien. Des Weiteren wirft er dem Apotheker vor, sich nicht an seine Anweisungen zu halten.

Der Syndicus Henneberg geht diesen Anschuldigungen nach und befragt den Apotheker. Dabei stellt er fest, dass der Streit zwischen Dr. Blum und der Apotheke schon seit 1736 als Schrader Apotheker in Gandersheim war, besteht und er erwähnt hier explizit die Anschuldigung Dr. Blums aus dem Jahre 1746 gegen Seitz. Des Weiteren wird eine Visitation des Dr. Blums, welche von Seitz als Schikane aufgefasst worden sei, da dieser die Visitation an einem Samstagabend durchgeführt hätte, aufgeführt. Auch trete der Dr. Blum gegenüber dem Apotheker höchst aggressiv auf und hätte zu diesem gesagt, dass er sich über die Zustände der Apotheke bei den entsprechenden Stellen beschweren würde.

Henneberg äußert in seinem Bericht, dass das Verhalten des Dr. Blums der Apotheke und der Bevölkerung Schaden anrichten würde; die Anschuldigen des Dr. Blums mögen nicht völlig grundlos sein, aber wohl deutlich übertrieben. Die Konsequenzen, die 1757 aus dem Bericht Hennebergs gezogen wurden, waren folgende: Dem Stadtphysicus wird das Recht zur Visitation entzogen. Die Apotheke zu Gandersheim soll mindestens alle zwei Jahre durch Bevollmächtigte des Collegium Medicium visitiert werden.

Am 18. Mai 1760 verstirbt Johann Georg Seitz, die Witwe lässt die Apotheke verwalten. 1768 ist die Apotheke in einem schlechten Zustand. Damit sich die Investitionen in die Apotheke lohnen, ersucht die Seitzsche Witwe um ein Privileg für ihr restliches Leben. Nach einer Visitation im gleichen Jahr wird der Vorschlag gemacht, die Apotheke zu verstaatlichen und einen Verwalter einzusetzen. Dies wird aber wieder verworfen, da ein wirtschaftliches Führen der Apotheke nicht möglich sei.

Ab 1743 versuchte der Herzog von Braunschweig alle Apotheken des Herzogtums zu verstaatlichten und die Apotheken durch beamtete Verwalter führen zu lassen. Er schuf eine zentrale Apothekenverwaltung, ein Zentrallaboratorium und eine Zentralstelle für den Ankauf aller Drogen und sonstiger Apothekenbedarfsartikel. 20 Jahre später erwirtschafteten die Staatsbetriebe nicht den erhofften Gewinn. Auch zeigte sich, dass staatliche Apotheken nicht besser geführt wurden als private Apotheken, noch verstummten Klagen über schlechte und teure Medikamente. So wurden die Staatsapotheken an private Apotheker verkauft und von diesen mit Privileg betrieben.

Am 7./8. Juni findet eine erneute Visitation statt. Dabei wird der Stadtphysikus Dr. med Eicke zu seiner Stellung bezüglich der Apotheke befragt. Infolge seiner Verwandtschaft, er war der Sohn der Apothekenbesitzerin Seitz, wurde festgelegt, dass nicht der Stadtphysicus, sondern der Physikus von Seesen die Gandersheimer Apotheke visitiert.

Der nächste Apotheker der Gandersheimer Apotheke ist Heinrich Christoph Ramdohr aus Zellerfeld, in anderen Quellen aus Wolfenbüttel. Er bekommt das Privileg der Apotheke von Ostern 1770 bis Ostern 1780. Im Juli 1770 legt er vor dem Collegium Medicum die Prüfung ab. Ramdohr heiratet am 18. November 1770 die Tochter des Vorbesitzers Sophie Christiane Seitz und erwirbt die Apotheke von der Witwe Seitz.

Bereits neun Jahre später stirbt am 14. März 1779 Ramdohr. Die Schwiegermutter von Ramdohr versucht die Apotheke wieder in ihre Hände zu bekommen. So können wir in den Vormundschaftsakten „Acta des Ramdohrschen Curatoris Hr. Gerichts-Verwalter Groscurd contra die verwitwete Frau Apothekerin Seitz“ und Acta manualia in Sachen die Vormundschaft über des verstorbenen Herrn Apothekers Ramdohr Tochter betreffend, Ao. 1779“ nachlesen.

26. Juni 1779: Der Vormund der Tochter des verstorbenen  Apothekers Ramdohr klagt gegen die Witwe Seitz, da diese die 1770 von Ramdohr gekaufte Apotheke als ihr Eigentum behandle und wieder in Besitz nehmen wolle. Ramdohr habe die Apotheke nicht, wie von Clara Dorothea Seitz angeführt, als Provisor geführt, sondern als Eigentümer. Deswegen stehe diese als Nachlass der Tochter zu. Auch bittet der Nachlassverwalter, dass der bisherige Apothekergehilfe zu den Prüfungen vor das Obersanitätskollegium gebeten werde, damit dieser nach bestandener Prüfung die Apotheke als Provisor führen könnte. 

Auf dieses Schreiben gibt die Witwe Seitz am 11. September 1779 vor Gericht zu Protokoll, dass ihr Schwiegersohn zuerst die Apotheke mit ihr zusammen geführt habe, später jedoch die Apotheke für sie alleine geführt habe. Der von Groscurd erwähnte Verkauf wäre damals rückgängig gemacht worden. Als Bestätigung ihrer Aussage führt sie an, dass nicht ihre Tochter gegen sie klagen würde, sondern der Vormund ihres Großkindes. Dies würde zeigen, dass die Tochter die wahren Verhältnisse kenne; das Großkind könne aber nicht wissen, in welchen Verhältnissen die Apotheke geführt würde.

Dieser Ausführung folgen weitere Schriftwechsel, im Oktober wird ein Verzeichnis der vom Verstorbenen hinterlassenen Sachen erstellt.

Im Dezember widerspricht der Vormund Groscurd der Aussage, dass der Verkauf der Apotheke rückgängig gemacht worden sei. Die Witwe Seitz wäre nicht bereit ihre Aussage zu beeiden, was wohl nicht für sie sprechen würde. Des Weiteren fordert er für die Tochter des Apothekers Ramdohr 500 Rth., da der Nachlass des Verstorbenen den Wert von 1000 Rth. übersteigen würde.

Im Februar 1780 führt der Anwalt der Witwe Seitz die Ehefrau des Physikus Eicke als Zeugen auf. Diese könne bezeugen, dass der im Rahmen der Ehestiftung ihrer Tochter vorgenommene Verkauf der Apotheke an ihren Schwiegersohn von beiden in ihrer Gegenwart annulliert worden sei. Nach dieser Aussage wird im April 1780 vereinbart, dass innerhalb einer Woche zwischen beiden Parteien ein Vergleich geschlossen wird.

Dieser am 22. April getätigte Vergleich sagt aus, dass die Witwe des Ramdohrs die Apotheke nebst Inventur von ihrer Mutter für 3.000 Rth. kauft; 1.000 Rth. sind sofort zu bezahlen, die restlichen 2.000 Rth. werden zu einem späteren Zeitraum mit vier Prozent verzinst abgetragen. Bei dieser Gelegenheit wird auch der zukünftige Nachlass der Witwe Seitz geregelt, so dass den weiteren Kindern der Frau Seitz der Zugriff auf die Apotheke verwehrt wird. Dieser Vergleich wird von herrschaftlicher Seite am 6. Juni 1780 genehmigt.

Drei  Jahre nach dem Tod ihres Mannes heiratet die Witwe Ramdohrs den aus Clausthal stammenden Apotheker Johann Georg Julius Höfer, der am 12. April desselben Jahres vor dem Ober-Sanitäts-Collegium sein Examen ablegt. Höfer erhält ein Privileg für zehn Jahre von 1782 bis 1792. Im Jahre 1792 ersucht er um Verlängerung, gewährt werden ihm zehn Jahre, desgleichen 1802. Jetzt erhält er zum Apothekenprivileg auch eine Weinkonzession, die seine Vorgänger auch innehatten. Diese Urkunde können wir heute im städtischen Museum bewundern.

Wie wir schon vorher gehört haben, gehörte zum Apothekensortiment vieles, was wir heute in anderen Bereichen wiederfinden, die obige Weinkonzession zum Beispiel, oder der bis zu Zeiten von Beller 1707 erlaubte Handel mit Tabak. So war früher die Apotheke die Anlaufstelle beim Kauf von Gewürzen oder ähnlichen Materialien; auch heute noch sind Gewürze reinster Qualität in der Apotheke zu erhalten. Zucker, Schokolade oder Konfitüren wird man heute in seiner Apotheke aber nicht mehr vorfinden. In der Gandersheimer Apotheke war dies aber bis 1794 ohne weiteres zu erhalten. Erst damals wurde dem Apotheker Höfer dieses Privileg entzogen, der Gewürzhandel aber erneut bestätigt.

Weshalb Höfer das Privileg des Handels mit Schokolade und Konfitüren verlor, können wir in der „Acta judicratia In Sachen der Apotheker Hoefer Imploraten contra den gnädigst concessionierten Kaufmann von der Wettern Imploraten in puncto Beeinträchtigung einiger Handlungsartikel, 1794“ nachlesen. Dem Kaufmann von der Wettern wird vorgeworfen, dass er unrechtmäßig Branntwein und Liqueure herstellen und verkaufen würde. Außerdem verkaufe er Schokolade und Konfitüren. Höfer führt an, dass das Apothekenartikel seien. Das Monopol dazu sei ihm in einem herzoglichen Privileg gewährt worden, für welches er jährlich 20 Rth bezahle. Der Kaufmann zerstöre seine wirtschaftliche Grundlage, des Weiteren vertreibe dieser auch Medikamente. Lauter Artikel, dessen Vertriebsweg die Apotheke sei.

Für den heutigen Leser mag das etwas befremdlich klingen, aber die meisten Privilege, die zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert verliehen worden waren, enthielten Listen der Artikel, die nur in Apotheken vertrieben werden durften und so finden wir oft Artikel wie Zucker, Gewürze, alkoholische Getränke, Wein, Tabak, Kaffee und Schokolade auf diesen Listen. Viele dieser Artikel fanden wohl in der Medizin Verwendung und waren oft recht kostspielig; der Hintergrund jedoch, um dessentwillen ihr Verkauf den Apotheken vorbehalten blieb, war die Notwendigkeit, diesen ihren Unterhalt zu garantieren.
Diese Monopolrechte wurden im Verlauf der Jahrhunderte nach und nach auf Arzneimittel beschränkt, für die letzten Artikel, die nicht als besonders wirksame Pharmazeutika deklariert waren, wurde in der kaiserlichen Verordnung von 1901 das Apothekenmonopol aufgehoben. Die Aufhebungen der Apothekenkonzessionen waren oftmals schwammig formuliert, so dass Streitigkeiten zwischen Apothekern und nichtpharmazeutischer Konkurrenz wie in diesem Fall zwischen dem Apotheker Höfer und dem Kaufmann von der Wettern nicht ausbleiben konnten.

In diesem Streitfall erwiderte der Kaufmann von der Wettern auf die Anschuldigungen des Apothekers, dass er nur das verkaufe, was auch in Braunschweig und anderen Städten üblich sei und von jedermann verkauft werden dürfe, zum Beispiel Schokolade; auch an Medikamenten verkaufe er nur das, was andere auch verkaufen würden. Mit seinem Handeln beeinträchtige er das Apothekengeschäft nicht. Zum Herstellen von Branntwein sei er außerdem sowieso berechtigt.

In einem weiteren Schriftsatz wiederholen beide Seiten ihre Argumente noch mal, ein Urteil ist in der Akte nicht zu finden, wie das Ganze aber ausgegangen ist, haben wir oben aber schon vernommen: Höfer verliert sein Privileg bezüglich Schokolade, Zucker und Konfitüren.red