„Eine geregelte Tagesstruktur gibt Halt und Sicherheit“

Betreuung in den eigenen vier Wänden in Coronazeiten: Beratungsstellenleiterin Claudia Brümmer gibt Tipps

Diplom-Psychologin Claudia Brümmer leitet die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche (BEKJ) beim Landkreis Goslar. Sie sagt, dass in diesen schweren Zeiten „eine geregelte Struktur Sicherheit und Halt gibt“.

Region. Seit Anfang vergangener Woche sind Kindergärten und Schulen zu. Ein Großteil der Betreuung erfolgt daheim in den eigenen vier Wänden. Doch so schön die Zeit mit den Liebsten auch sein mag, droht natürlich auch Konfliktpotential, denn welche Familie ist es abgesehen von den Ferien und Wochenenden gewöhnt, täglich und ohne Unterbrechung zusammen zu sein?

Diplom-Psychologin Claudia Brümmer, Leiterin der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche (BEKJ) beim Landkreis Goslar, gibt Tipps, wie der ungewohnte Alltag gemeistert werden kann, und wo im nicht immer vermeidbaren Konfliktfall telefonische Beratung zu bekommen ist.

Frau Brümmer, Deutschland soll zu Hause bleiben. Mit Ferien ist die aktuelle Zeit aber nicht zu verwechseln. Was empfehlen Sie vor allem Familien mit Kindern in der gegenwärtigen Situation?

Eine geregelte Tagesstruktur mit festen Zeiten für Essen, Schlafen, Aufgaben und Freizeit gibt Halt und Sicherheit. Das kann beispielsweise anhand einer To-Do-Liste erfolgen, die sowohl Pflichten und schöne Aktivitäten enthält.

Für Schulkinder ist es wichtig, auch schulische Aufgaben zu erledigen oder sich im ARD-Bildungsfernsehen etwas schulischen Alltag nach Hause holen zu können. Möglicherweise stellt die Schule auch Lern- und Arbeitsmaterial für zu Hause zur Verfügung. Auch spielerisch können zu Hause Kopfrechenaufgaben oder Lese- und Rechtschreibübungen durchgeführt werden.

Für die Familienmitglieder erarbeitete Kurzreferate können Spaß machen und fördern das Interesse und Miteinander. Wenn es Lernphasen gibt, dann schafft es auch die Mutter oder der Vater im Homeoffice die Arbeit zu erledigen, ohne in den Keller zu flüchten.

Schulkinder sind die eine Sache, die aufgrund ihres Alters in der Regel ja schon viel selbständiger sind. Was für Tipps haben Sie für Kinder im Kindergartenalter?

Für Kitakinder ist es hilfreich, eine kindergartennahe Tagesstruktur zu haben – Zeiten zum Spielen, Malen, Singen, Tanzen, Bücher anschauen und Ausruhen.

Welche Rolle spielt die Ernährung in derart ungewöhnlichen, ja mitunter schweren Zeiten?

Gesunde Ernährung ist ohnehin sehr wichtig, jetzt aber ganz besonders. Das gemeinsame Essen kann gerade in der aktuellen Zeit wieder mehr Bedeutsamkeit erlangen. Einer hilft beim Kochen, der Andere beim Tisch abräumen. Wie lange ist es her, dass man unter der Woche gemeinsam zu Mittag gegessen hat? Auch kreative Ideen sind gefragt, beispielsweise ein Picknick im Wohnzimmer oder eine Teestunde im Kinderzimmer, wo die Kleinen den Gastgeber mimen können. Die Zeit kann jetzt genutzt werden, für Gespräche, für einen gemütlichen Lesenachmittag oder einen lustigen Spieleabend.

Wie steht es um die Bewegung?

Bewegung ist gut für Körper, Geist und Seele. Anspannung und Stress werden abgebaut. Wenn körperliche Aktivität aus Sicherheitsgründen an der frischen Luft zunehmend weniger möglich ist, sind Bewegungsübungen zu Hause, auf dem Balkon oder der Terrasse eine Option. Yoga bietet sich an, oder man lässt sich von den Kindern Körperübungen aus dem Sportunterricht, dem Verein zeigen oder es wird zusammen getanzt. Je nach persönlicher Ausstattung und Platz können natürlich auch Fitnessgeräte und Ballspiele genutzt werden.

Die Beschäftigung von Kindern kann auch sehr anstrengend sein. Welchen Rat geben Sie Eltern mit auf den Weg?

Eltern sollten fürsorglich und achtsam miteinander umgehen. Gegenseitige Unterstützung, die Schaffung von persönlichen Freiräumen zum Krafttanken ist jetzt ganz wichtig. Und diese Zeit, so unwirklich sie uns mitunter auch erscheinen mag, bietet auch die Möglichkeit der Entschleunigung, die Möglichkeit inne zu halten. Und das „Mittagsschläfchen“ ist ja auch aus der Mode gekommen. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit es wieder ins Leben zu rufen.

Aber was ist, wenn es einem nicht gelingt zu entschleunigen und inne zu halten, da einen Existenzängste und andere, wahrscheinlich berechtigte Sorgen plagen?

Diese Sorgen sind natürlich oft berechtigt. Man sollte sie ernst nehmen und über sie sprechen, sich über Hilfsangebote informieren. Man sollte sich aber auch ablenken und den nicht hilfreichen Gedanken einen „Stopp“ verpassen.

Auch Kinder reagieren sehr unterschiedlich auf Veränderungen und Belastungen. Einige werden ängstlich, traurig, unruhig und nervös, andere wiederum aggressiver oder bekommen psychosomatische Beschwerden. Auch Reaktionen von regressivem Verhalten, wie beispielsweise Bettnässen, Daumenlutschen oder das Verfallen in eine Babysprache, können auftreten. Hier ist Verständnis, Zuneigung und Unterstützung gefragt. Viele Reaktionen sind vorübergehend und verschwinden auch wieder.

Und was tun, wenn die Belastung für die Familie immer größer wird?

Ruhe bewahren, gelassen bleiben, sich vor dem Schlafengehen versöhnen. Den Kleinen und Großen klare Anweisungen geben, konsequent sein und nicht den „Nörglern“ noch mehr Zeit an Tablet oder Spielkonsole einräumen. Wenn frische Luft und Bewegung weniger werden oder sogar fehlen, dann ist es für alle im Haushalt wenig hilfreich, einen Mitbewohner zu haben, der sich nach ein paar Tagen als Computerzombie entpuppt. Wichtig ist, wie bei allen Dingen, das richtige Maß – ein gutes Gleichgewicht schaffen zwischen Medienzeit und medienfreier Zeit. Eine unserer wichtigsten Arten zu lernen, ist vom Modell. Also sollten vor allem die Älteren ein gutes Modell sein – Tablet weg, Handy weg, Konsole weg – Familienzeit und wenn mal Langeweile aufkommt, dann ist es in Corona-Zeiten das kleinere Übel. Hauptsache wir und unsere Lieben bleiben gesund.

Und welche Möglichkeiten der Beratung gibt es aktuell, wenn alles nicht mehr zu helfen scheint?

Wenn die Belastungen und Sorgen zunehmen, es dann zu Hause doch eskaliert und man nicht mehr weiß, wie die Konflikte zwischen den Familienmitgliedern ausgeräumt werden können, ist fachlicher Rat gefragt. Die Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche des Landkreises Goslar bieten derzeit telefonische Beratung unter folgenden Rufnummern an: BEKJ Goslar: (05321) 76-482, BEKJ Bad Harzburg: (05322) 8453 und BEKJ Clausthal-Zellerfeld: (05323) 83635. Darüber hinaus bietet die bke (Bundeskonferenz für Erziehungsberatung) für Jugendliche und Eltern Onlineberatung an: www.bke-jugendberatung.de und www.bke-elternberatung.de. Dort beraten Fachkräfte, auch aus dem Homeoffice, rund um die Uhr, anonym per Mail, in Einzel- und Gruppenchats sowie im fachlich moderierten Forum.red