„Golden hour of shock“ – Wenn’s schnell gehen muss

Ortsfeuerwehr Helmscherode führt technische Ausbildung zur Optimierung der Einsatzzeit bei Verkehrsunfällen mit verletzten Personen durch

Helmscherode. Bei der Rettung von Verletzten aus Unfallfahrzeugen spielt die Zeit eine wesentliche Rolle. Die Rettungskräfte richten sich dabei nach einer Regel mit der Bezeichnung „golden hour of shock“. Diese Regel besagt, dass eine verletzte Person idealerweise nach einer Stunde nach Eintritt der Verletzung in einem Krankenhaus behandelt werden sollte.

Diese 60 Minuten können natürlich nur einen groben Richtwert darstellen, der aus vielen Studien und Erfahrungswerten abgeleitet wurde. Bei den meisten, vorher gesunden, Menschen kompensiert der Körper Unterversorgung von Organen durch Verletzungen bis zu einer Stunde, bevor es zum Versagen dieser Organe oder weiterer Körperfunktionen kommt. Daher kann man diese Regel bei einem durchschnittlichen Verletzungsmuster recht präzise anwenden. Um die Patientenrettung innerhalb einer Stunde gewährleisten zu können, ist eine Optimierung der Einsatzzeit durch Ausbildung und Übungsdienste ein nicht zu vernachlässigendes Ziel der Rettungsorganisationen.

Sicherlich ist die Rettung von Verletzten aus Unfallfahrzeugen nicht die „Kernaufgabe“ kleiner Feuerwehren mit Grundausstattung, zumal diesen teils auch wichtige Ausrüstung für die Abarbeitung eines solchen Einsatzszenarios fehlt. Dennoch können kleine Feuerwehren einen wichtigen Teil zur Einhaltung der „golden hour of shock“ beitragen. Und genau dieses Einsatzszenario wurde beim Übungsdienst der Feuerwehr Helmscherode trainiert.

Die angenommene Lage mit der die Einsatzkräfte der Ortsfeuerwehr Helmscherode bei dieser Übung konfrontiert wurden, war ein Verkehrsunfall im eigenen Ortsgebiet mit einer im Fahrzeug eingesperrten und verletzten Person. Da im Ernstfall damit zu rechnen ist, dass Rettungskräfte, die auf die Abarbeitung von Verkehrsunfällen spezialisiert sind, längere Anfahrzeiten zur Unfallstelle haben als die Feuerwehr vor Ort, ist es sinnvoll, diese Zeit effektiv zu nutzen und vorbereitende Maßnahmen am Unfallfahrzeug sowie Erste-Hilfe-Maßnahmen am Verletzten einzuleiten.

Der Übungsdienst, der von Fabian Hesse durchgeführt wurde, gliederte sich in drei Teilabschnitte. Am Anfang standen eine theoretische Einweisung in die Abläufe und Aufgaben bei so einem Einsatzszenario sowie die Ordnung der Einsatzstelle und der Eigenschutz der Retter.

Teil zwei behandelte das Thema praktisch, beginnend mit der verkehrs- und brandtechnischen Absicherung des Unfallfahrzeugs, der Erkundung der Unfallstelle und des Pkw sowie der ersten Kontaktaufnahme zur verletzten Person im Fahrzeug. Zeitnah wurden Maßnahmen eingeleitet, das Unfallfahrzeug zu stabilisieren. Hierzu wurden „bordeigene“ Mittel und Ausrüstungsgegenstände aus dem Einsatzfahrzeug verwendet. Zu nennen sind hier unter anderem aufgerollte Schläuche und Schlauchbrücken, mit denen das Fahrzeug unterbaut wurde, um es zum Schutz der Retter und der verletzten Person zu stabilisieren. Weiterhin wurde das Fahrzeug auf austretende Flüssigkeiten untersucht, optionale Schutzeinrichtungen wie Airbags erkundet und markiert sowie die Fahrzeugbatterie abgeklemmt.

Nachdem die Maßnahmen zur Absicherung durchgeführt waren, wurde damit begonnen einen Zugang ins Fahrzeuginnere zu schaffen, um den Verletzten im Fahrzeug versorgen zu können und dem nachfolgenden Rettungsdienst einen Weg ins Fahrzeuginnere oder einen Rettungsweg für den Verletzten aus dem Fahrzeug zu schaffen.

Hierbei wurde kein spezielles Rettungsgerät eingesetzt, sondern bewusst mit „normalen“ Werkzeugen und Materialien gearbeitet, die im Regelfall schnell verfügbar sind oder im Werkzeugsatz des Einsatzfahrzeuges mitgeführt werden. Um die Splitterwirkung beim Zerstören der Seitenscheiben zu minimieren, wurde die Scheibe zunächst systematisch mit Klebeband verklebt, bevor sie mit einem handelsüblichen Rettungs- oder Notfallhammer zerstört wurde. Hierbei konnte Fabian Hesse wertvolle Tipps aus der Praxis an die Teilnehmer weitergeben.

Die Übungslage sah ein verzögertes Eintreffen der nachgeforderten „Spezialkräfte“ vor, sodass nun die Ortsfeuerwehr Helmscherode eigenständig weiter mit der Versorgung der verletzten Person im Fahrzeug fortfahren musste. Daher wurde ein „innerer Retter“ eingesetzt, der die verletzte Person im Fahrzeug betreute sowie erste Hilfe Maßnahmen durchgeführt hat, während der außen eingesetzte Trupp die weiteren Seitenscheiben öffnete. Hierbei hatte jeder Übungsteilnehmer die Möglichkeit selbst einmal „Hand anzulegen“. Durch die kürzlich durch die Stadt Bad Gandersheim angeschafften neuen Einsatzhelme, konnten alle Übungsteilnehmer am Fahrzeug eingesetzt werden, da die Helme über ein serienmäßiges Schutzvisier verfügen.

Nachdem die Übungsziele – Sicherung der Unfallstelle, Stabilisierung des Unfallfahrzeugs, Zugang ins Fahrzeug herstellen sowie die Erstversorgung der verletzten Person erreicht waren, wurde die Übung unterbrochen und der dritte Teil mit geringfügigen Ausbaumaßnahmen vorbereitet. Hier sah die Übungslage dann ein auf die Seite gekippten Pkw mit gleicher Verletztensituation vor. Neue Übungsziele waren hier wieder die Stabilisierung des Fahrzeugs mit anderen Mitteln, einen Zugang über die Heckscheibe zu schaffen, um hierdurch einen inneren Retter ins Fahrzeug zu verbringen oder einen Rettungsweg aus dem Fahrzeug zu schaffen.

Eine weitere Besonderheit dieses Übungsteils war die schonende Lagerung/Stabilisierung der verletzten Person im Fahrzeug. Bedingt durch die Seitenlage des Fahrzeugs wurde die verletzte Person extrem stark in den serienmäßigen Sicherheitsgurt des Fahrzeugs gepresst. Bedingt durch die Schwerkraft, die im 90 Grad Winkel auf den Körper einwirkte, wurden Kopf und Oberkörper stark überdehnt. Zur Stabilisierung der Person wurde ein B-Schlauch unter der Person verspannt, um so dem Oberkörper eine zusätzliche Fixierung zu geben. Was in diesem Fall auch dankend vom Rollenspieler der „Verletzten“, Jana Schumann quittiert wurde. Nachdem dieser Ausbildungsblock beendet war, gab es noch einen umfangreichen Dialog zur Optimierung der Einsatzzeit bei Verkehrsunfällen.

Natürlich wurde der Übungsdienst unter Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften sowie materialschonendem und nicht zweckentfremdendem Einsatz von Feuerwehrgerätschaften durchgeführt.

Ergänzend wurde noch angemerkt, dass die „golden hour of shock“ nur bei „Standardfällen“ angewandt werden kann! Bei einer nötigen Crash-Rettung aufgrund von starken Blutungen oder eines Herzstillstandes ist diese Zeitvorgabe deutlich viel zu lang.

Bei einer alleinigen Verletzung der Wirbelsäule darf und sollte die Rettung einer Person so schonend und achsengerecht wie möglich erfolgen. In diesem Fall ist eine enge Absprache mit dem Notarzt zwingend erforderlich. Hier können die Rettungsarbeiten auch durchaus wesentlich länger dauern, um den Patienten aus dem Fahrzeug zu bekommen.

Am Ende des Ausbildungsdienstes, waren alle Teilnehmer beeindruckt, mit welchen einfachen Mitteln wertvolle Zeit bei der Rettung von Personen gewonnen werden kann. Auch wurden wertvolle Erkenntnisse in Bezug auf ein solches Einsatzszenario gewonnen.

Thomas Bobrowskired