Gutachter sieht paranoide Schizophrenie

Zweiter Verhandlungstag gegen jungen Mann aus Bad Gandersheim führt in Richtung einer festen Unterbringung

Für diesen Einsatz in der Ludolfstraße war der Angeklagte verantwortlich: Er hatte in seiner Wohnung im Bad und Schlafzimmer Feuer gelegt.

Bad Gandersheim/Braunschweig. Nach rund drei Wochen Pause wurde in der vergangenen Woche die Verhandlung gegen einen Bad Gandersheimer am Landgericht Braunschweig fortgesetzt. Dem 28-Jährigen wurden zwei Taten aus dem Jahr 2017 zur Last gelegt, wobei davon ausgegangen wird, dass er durch eine psychische Erkrankung dabei in seiner Einsichtsfähigkeit stark beeinträchtigt war. Am zweiten Verhandlungstag wurden vor allem Zeugen der Geschehnisse sowie der Gutachter gehört.
Das Vorausgegangene kurz zusammengefasst: Der 28 Jahre alte, im Benin geborene, Mann mit deutscher Staatsangehörigkeit hatte sich am 1. April 2017 eine frühmorgendliche Verfolgung durch Bad Gandersheim geliefert, wobei er Beamte mit einem Zimmermannshammer bedrohte und immer wieder aufforderte, endlich zu schießen. In der Marienstraße konnte er überwältigt werden. Ende August legte er dann in seiner Wohnung in der Ludolfstraße Feuer. Danach wurde er fest in eine Göttinger Einrichtung eingewiesen, da beiden Taten psychotische Schübe zugrunde liegen sollen.

Am ersten Verhandlungstag hatte sich der junge Mann zum ersten Tattag, dem 1. April, ausführlich eingelassen, dabei auch Beweggründe und Krankheitssymptome geschildert. Schon dabei war aufgefallen, dass sich bestimmte Ungereimtheiten ergaben. Die vertieften sich am zweiten Verhandlungstag durch die Abweichungen zwischen Empfinden und Schilderungen des jungen Mannes zu den Zeugenaussagen.

So hatte der junge Mann immer wieder betont, den Hammer nur zur eigenen Absicherung dabei gehabt zu haben. Erhoben habe er ihn gegen andere nicht. Diese Bedrohungsaktionen schilderten die am Einsatz am 1. April beteiligten Polizisten als Zeugen dem Landgericht aber nun übereinstimmend eindrücklich. Immer wieder sei es dazu gekommen, dass der Mann den Hammer erhoben und den Beamten zugerufen habe „Ich schlag euch tot. Schießt doch endlich“.

Dass es dazu um Haaresbreite gekommen wäre, schilderten zwei aus Osterode hinzugerufene Beamte. Sie hatten das Taxi, in das der Beschuldigte seinerzeit auf dem Nettoparkplatz gestiegen war, in der Marienstraße gestoppt und Taxifahrer sowie Beschuldigten zum Aussteigen bewegt. Das anschließende Bedrohungsszenario sei so eskaliert, dass beide Beamte die Waffe im gesicherten Anschlag hatten und es nur noch einer kleinen Provokation bedurft hätte, um einen Schuss fallen zu lassen.

Beide Beamte bestätigten dem Gericht, trotz teilweise jahrzehntelanger Dienstzeit so etwas vorher noch nie erlebt zu haben. Menschlicher Akt am Rande: Bei einem der Beamten entschuldigte sich der Beschuldigte, er habe nie vorgehabt, ihn ernsthaft zu verletzen. Der Beamte nahm die Entschuldigung an.

In den Aussagen weiterer Beamter wurde die Dramatik der Verfolgung, die durch anliegende Gärten führte und schließlich nach Einsatz von Pfefferspray unblutig endete, noch einmal deutlich. Nicht weniger eindringlich das Geschehen am 27. August, als der Beschuldigte Feuer in seiner Wohnung legte. Er wurde – verwirrt und sehr unruhig – noch vor dem Haus festgenommen und später in Göttingen fest in einer psychiatrischen Klinik untergebracht, in der er auch heute noch in Behandlung ist.

Von großer Bedeutung, diese beiden Geschehen zu verstehen und richtig einzuordnen, waren die beiden Gutachter, die am zweiten Verhandlungstag gehört wurden. Der Erste, Dr. Michael Schormann, war aus Bonn aber zuvorderst als Zeuge angereist. Von dort war er am 27. August 2017 schon einmal nach Bad Gandersheim gekommen, um morgens den Beschuldigten zu sprechen. Das Amtsgericht Bonn wollte in einer anderen Klagesache die Schuldfähigkeit von Philippe E. überprüfen lassen.

Das Zusammentreffen, so schilderte Schormann, sei auch in der Wohnung des Aufgesuchten geschehen. Die habe einen verwüsteten, kaum bewohnbaren Eindruck gemacht, umgeworfene Möbel und Glas auf dem Boden, einen Fernseher auf dem Bett liegend fand der Gutachter vor. Der Beschuldigte, der schon in Bonn wegen Schizophrenie beziehungsweise psychotischer Schübe behandelt worden war, habe einen Zustand gehabt, in dem er kaum zu erreichen gewesen sei, verbal kaum ansprechbar, gereizt. Nach nur zehn Minuten war der Besuch dann schnell zu Ende, als der Beschuldigte in einem Wutausbruch ein Kreuz oder einen Rosenkranz an den Arm des Gutachters geworfen habe. Da habe er sich lieber aus der Situation zurückgezogen.

Und wieder ergab sich aus Aussagen eine Diskrepanz, die ein Licht auf Einsichtsfähigkeiten warf: Der junge Mann hatte dem Gericht geschildert, er habe sich über den Besuch des ihm Unbekannten so geärgert, dass er nur etwa eine Stunde später aus Wut und Verstimmung über andere Dinge den Brand an drei Stellen in der Wohnung gelegt habe. Tatsächlich aber lagen zwischen Besuch und Brand gute acht Stunden.

Aus der Zeit, die der Beschuldigte in Bonn verbracht hatte, wo seine Adoptiv-Eltern als Bedienstete des Deutschen Entwicklungsdienstes eine Zeitlang mit ihm lebten, berichtete Gutachter Schormann, dass der Beschuldigte dort unter anderem schon wegen Verfolgungswahns behandelt worden sei. Dabei sei auch ein Zusammenhang mit dem Cannabis-Konsum des Beschuldigten nicht außer Acht zu lassen. Die Droge ist dafür bekannt, psychotische Veranlagungen unter Umständen auszulösen oder zu verstärken.

In Bonn war schon eine Diagnose gestellt worden, die Philippe E. dort bereits eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bescheinigte. Ob Cannabis der Auslöser gewesen sei, habe man aufgrund fehlender Zeitschienen nicht feststellen können. Das vorliegende Krankheitsbild gehöre zu den schwersten Erkrankungsformen. Dabei habe der Patient die meiste Zeit keine Einsicht in seine eigene Erkrankung.

Dr. Schormann wurde in der Braunschweiger Verhandlung nicht als gerichtsbestellter Gutachter gehört, sondern als Zeuge zur Vorgeschichte des Mannes und der Taten, die ihm nun vorgeworfen wurden. Das Gutachten zur Verhandlung erstellte der forensische Psychiater Dr. Christian Riedemann. Er hatte an drei Terminen Gelegenheit, sich ausführlich mit dem Beschuldigten zu befassen und gab nun in einem umfänglichen Bericht seine Erkenntnisse wieder.

Die Geschichte der psychischen Erkrankung des Beschuldigten hat danach von dessen Pubertät – etwa um 2008 – an ihren Anfang genommen. 2010 gab es den ersten Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. 2013 ereignete sich ein Zwischenfall, bei dem schon einmal Feuer eine Rolle spielte: Der Beschuldigte verbrannte sich selbst schwer mit einer hochalkoholischen Flüssigkeit, nachdem er Stimmen gehört hatte.

Anfang 2014 wurde die Behandlung danach in Göttingen fortgesetzt, wobei Selbstverletzungen und psychotische Symptome das Thema waren. Nach guter Einstellung auf Medikamente war es die Entscheidung des Beschuldigten, diese Medikamente nicht mehr zu nehmen, die erneute psychotische Schübe auslöste. So kam es im Juni 2016 zu einer dritten Behandlungsphase mit zwangsweiser Unterbringung nach einem Angriff auf eine Nachbarin in Bonn.
Ende 2016 kam der junge Mann dann in die Region Bad Gandersheim, wo es auch zu einer Behandlung in Göttingen kam. Nach dem gravierenden Vorfall in Bad Gandersheim am 1. April folgte ein zehnwöchiger Aufenthalt in der Göttinger Klinik.

Besonders bemerkenswert daran ist, dass der gesetzlich bestellte Betreuer des Beschuldigten während dieser Zeit einen Antrag auf langfristige Unterbringung seines Mandanten in einer psychiatrischen Einrichtung gestellt hatte. Doch die Göttinger Ärzte hielten das in ihren Entlassungsgutachten trotz allem für nicht notwendig, das Gandersheimer Amtsgericht lehnte auf der Basis dieses Gutachten eine Unterbringung ab. Der Mann kehrte in seine Wohnung zurück, wo es nur Wochen später zu der Brandlegung kam.

Auslöser dafür ist, so die Auffassung des Gutachters, eine inzwischen fest diagnostizierbare paranoide Schizophrenie. Aufgrund des inzwischen mehr als halbjährigen Betrachtungszeitraums sei zudem sicher, dass sie nicht allein durch Cannabis-Konsum ausgelöst werde, sondern immer da sei. Nach Dr. Riedemann liegt ein schweres psychotisches Krankheitsbild vor. Solche entstünden teils genetisch, teils durch Stress und Suchtmittelkonsum.

Für den Beschuldigten heiße dies, es verwische sich die normale Trennung zwischen Realität und Fantasie sowie vor allem den eigenen Ängsten. Medikamente könnten diesen „Filter“ nicht vollständig wiederherstellen. Sie dämpfen die Symptome und machen ein weitgehend normales Leben möglich, wenn sie immer regelmäßig genommen werden. Auch für die Betroffenen entstehe aus dem allem ein hoher Leidensdruck.

Für die Urteilsfindung des Gerichtes waren die folgenden Ausführungen von Bedeutung: Betroffene dieser Krankheit haben eine Störung in der Wahrnehmung von Zeit und Realitäten. Das erkläre auch die Widersprüche zum Brandtag im August. Beschuldigte mit diesem Krankheitsbild müssten Hilfe bekommen, nicht Strafe. So will es auch das Gesetz, dass dafür keine Gefängnisstrafen vorsieht.

Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten sah Dr. Riedemann erheblich eingeschränkt. Zur Steuerungsfähigkeit wollte er aus Gründen der Urteilssicherheit keine Aussagen machen. Nach allem sei in hohem Maße davon auszugehen, dass vom Beschuldigten ein hohes Maß an Risiko ausgehe, ähnliche Taten zu verüben, wenn er kein Hilfesystem und entsprechende Medikation erhalte. Dabei sei in der Verlängerung des bisher Geschehenen von einer Steigerung der Tatenschwere auszugehen.

Im Ergebnis sei eine mehr­phasige, längerfristige Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung in Betracht zu ziehen, die zunächst die medikamentöse Einstellung, dann das Heranführen an die Bewältigung der Tagesstruktur und zu guter Letzt eine Überführung in eine Wohngruppe vorsehe.

Zu welchem Urteil die vierte Kammer des Landgerichteskommt, wird der dritte und letzte Verhandlungstag am morgigen Donnerstag zeigen.rah