Hochwasserkonzept für vier Dörfer überzeugt weder Bürger noch Ausschuss

Gesamtvolumen der vorgeschlagenen Maßnahmen von rund fünf Millionen Euro / Kritik am Fehlen von Rückhaltungen

Die gut besuchte Sitzung des Hochwasserschutzausschusses in der Turner-Musik-Akademie.

Altgandersheim. Die Erwartungen waren auf Seiten des Hochwasserschutzausschusses wie der Bürger sicherlich keine ganz kleinen: Da sollte am Dienstag in der jüngsten Sitzung des Ausschusses ein erstes Konzept vorgestellt werden, wie den zuletzt am meisten betroffenen vier Dörfern Helmscherode, Gremsheim, Ackenhausen und Altgandersheim geholfen werden könnte. Rund 30 Zuhörer wollten sich das im großen Musiksaal der Turner-Musik-Akademie nicht entgegen lassen und durften auch mitdiskutieren. Was es dabei zu sagen gab, war vor allem deutliche Kritik am vorgestellten Konzept.

Das renommierte und für Bad Gandersheim auch in der Vergangenheit schon öfter tätige Büro Pabsch & Partner hatte den Auftrag erhalten, die vier Ortschaften zu betrachten und Vorschläge zu unterbreiten, wie man künftig bei Starkregen Schadensereignisse verhindern könne. Ingenieurin Dr. Stefanie Lorke präsentierte das dabei erarbeitete Konzept Ausschuss und Zuhörern.

Dabei ging sie ortschaftsweise vor. Für jedes Dorf waren die bestehenden Abflussverhältnisse, Schadenspotenziale und Verbesserungsmöglichkeiten einzeln betrachtet worden. Im Falle Helmscherodes lautete nach der Analyse die Feststellung, eine Reduzierung des Abflusswassers werde schwer möglich sein. „Umgehungen“ um das Dorf sind aufgrund der Topographie praktisch nicht machbar.

Der Vorschlag für Helmscherode lautete daher – auch zum Erstaunen der Zuhörer – dem anfallenden Sturzregenwasser einen kontrollierten Fließweg mitten durch den Ort über die Straße zu schaffen; ganz so, wie es im vorletzten Sommer ohnehin passiert war. Dabei solle allerdings durch „Ertüchtigung“ der Straße das Abfließen in Häuser oder anliegende Grundstücke erschwert oder verhindert werden. Zum Beispiel durch höhere Bordsteine. Weitere Maßnahmenempfehlungen waren sogenannte Wildholzsperren (damit wird Schwemmgut ein gutes Stück vor verstopfungsgefährdeten Einläufen bereits zurückgehalten), Optimierung von Einlaufrechen sowie die Offenlegung aktueller Verrohrungen zum Beispiel im Bereich des Rüderangers mit zusätzlichem Durchlass. Die Kostenschätzung für Helmscherode lag bei etwa 445.000 Euro.

In Gremsheim sahen die Planer, wie in fast allen Orten, in den Übergängen von offenen Ableitungen in Verrohrungen. Zwei große Ableitungswege wurden in diesem Ortsteil gesehen: durch die Dorfmitte (wieder über die Straße) sowie durch das sogenannte Oberdorf. Vorgeschlagen wurde auch hier, die Gandersheimer Straße als „kontrollierten Fließweg“ zu nutzen und entsprechend auszuformen. Zum Kindergarten hinunter sollten Straßenprofilierungen erfolgen und am Kindergarten ein neues Einlaufbauwerk sowie zusätzlich Durchlässe erstellt werden. Kostenrahmen für Gremsheim: gut über 400.000 Euro.

Ackenhausen bekommt von mehreren Seiten Wasser. Die Übergänge in die Rohrleitungen sind in der Regel zu klein. Für die zentrale Ableitung der Meine durch den Ort wird Offenlegung des in weiten Teilen verrohrten Bachlaufes vorgeschlagen. Südwestlich Ackenhausens könnte auch eine Entlastungsmulde geschaffen werden. Kosten: 500.000 Euro.

Schwieriger ist die Ableitung des Abflussweges „Nord“, der unter anderem den problematischen Zwetschenberg mit einbezieht. Für die hier zur Sicherung der Objekte sinnvollen Maßnahmen wie Umbauten an Einlaufrechen und konkreten Objektschutz fallen allein schon knapp eine Million Euro an. Im Bereich „Süd“ sind es – wieder für einen „kontrollierten Fließweg“ über Straßenzüge, die Offenlegung verrohrter Gewässer und Einzelobjektschutz weitere 505.000 Euro.

In Altgandersheim schließlich läuft all das zusammen, was aus den höher liegenden Ortsteilen Gremsheim und Helmscherode herunterkommt. Das treibt den Durchfluss des Luhebachs im Fall eines hundertjährigen Hochwassers (HQ 100) auf berechnete 15 Kubikmeter pro Sekunde. In diesem Wert spielte die Gande im Übrigen keine Rolle, da das Konzept nur Luhebach, Steinbach und Meine betrachten sollte.

Für die Kampstraße in Altgandersheim empfahl das Konzept für Luhebach und Steinbach den Neubau eines Kanals, im weiteren Verlauf die Gewässeroffenlegung und eine Entlastungsmulde. Kosten: rund 1,5 Millionen Euro. In der Gandersheimer Straße kommt Wasser von Osten vor allem von Äckern. Um die Schlammfracht zu bändigen, sollen Auffangvorrichtungen und ein Sedimentationsbecken gebaut werden. Der Luhebach sollte offen weitergeführt werden. Kosten dieses Bereich: rund 545.000 Euro.

Die Gande kam wie gesagt in dem Konzept nur am Rande vor, und zwar als Determinante, die es bei der Einleitung der Sturzregenfluten zum Beispiel mit dem Entlastungsgraben an der TMA zu berücksichtigen gelte, damit hier eine stauende Gande nicht zu Rückflüssen führe.

Ansonsten waren für die Gandeableitung nur weitere 16.000 Euro im Konzept aufgenommen. Insgesamt kam das Konzept damit auf ein Gesamtinvestitionsvolumen von mehr als fünf Millionen Euro. Das, wie auch die Vielzahl und Breite der vorgeschlagenen Maßnahmen mache deutlich, so Diplom-Ingenieur Dirk Meyer, von Pabsch & Partner,  es werde vielleicht zehn oder 15 Jahre dauern, bis die Stadt das alles hat abarbeiten können. Für manche, die sich schnelle Maßnahmen zum Schutz ihrer Häuser und Grundstücke vorgestellt und gewünscht hätten, sicher an dieser Stelle eine ziemlich desillusionierende Aussage.

Doch daran machte sich die sofort aufbrandende Bürgerkritik in der vom Ausschussvorsitzenden Heinrich Hohls zugelassenen Diskussion nicht fest. Statt dessen wurde sofort scharf kritisiert, das Konzept sage überhaupt nichts über Rückhaltungsbemühungen aus. Für viele Betroffene ist der Versuch, das Wasser vor den Ortschaften durch geeignete Maßnahmen mindestens eine Weile zurückzuhalten, integraler Bestandteil von Hochwasserschutzüberlegungen.
Die Planer des Ingenieurbüros verwiesen zwar darauf, dass derartige Überlegungen geprüft, aber wieder verworfen worden seien. Und zwar wegen nicht ausreichender Effizienz. Rückhaltung sei teuer, wenn die kleinen möglichen Mulden dann aber nur Minuten bräuchten, um vollzulaufen, bringe das keinen wirksamen Hochwasserschutz.

Zu dieser Aussage gab es entschiedenen Widerspruch aus dem Ausschuss. Wilhelm Kühne, Mitersteller der überparteilich erarbeiteten Vorschlagsliste für Schutzmaßnahmen (GK berichtete), sah hier die Möglichkeiten völlig unzureichend ausgeleuchtet. An einem konkreten Beispiel rechnete er für einen möglichen Rückstau am Luhebach vor, dass dort mit einem drei Meter hohen Damm (bei Kosten von rund 180.000 Euro) ein Stauvolumen von rund 7.000 Kubikmetern aufgenommen werden könnte. Im Sturzregenfalle könnten bei einem HQ 100 so 36 Minuten lag die Überschüsse aufgefangen werden.

Setze man den Damm noch einen Meter höher an – wobei sich die Kosten verdoppeln würden – läge das Einstauvolumen schon bei 12.000 Kubikmetern, was ungefähr eineinhalb Stunden Sturzregen eines HQ 100 entsprechen würde, die man dann zwischenpuffern könnte. Solche Zeitspannen spielten bei den Ereignissen, wie man sie in den letzten Jahren habe erleben müssen durchaus eine entscheidende Rolle. Die Vorstellungen für Rückhaltung dürften daher nicht so einfach vom Tisch gewischt werden.

Das unterstützten auch mehrere Bürgerstimmen eindeutig. Zumal aus der Alten Mühle in Ackenhausen der Hinweis kam, das Konzept berücksichtige die Unterlieger anscheinend nicht, denn es suggeriere, dass die Fluten möglichst reibungslos und schnell durch die vier genannten Dörfer geleitet werden sollten. Womit sie schneller und wuchtiger dann Bereiche wie die Mühle träfen, die Wasser aus Ackenhausen wie Gremsheim abbekommt.

Bevor aber die Diskussion darüber breiter geführt werden konnte, gab es ein „Richtungshinweis“ des Leineverbandsgeschäftsführers Jens Schatz. Er sei kein Freund von Rückhaltebecken. Viel wichtiger sei statt dessen die regelmäßige und richtige Gewässerunterhaltung. Im betroffenen Bereich besorgt der Leineverband die für Gande und Meine. Anstatt in aufwändige und teure Rückhaltungen solle die Stadt Mittel lieber in die Unterhaltung stecken. Jährlich 100.000 Euro sollte der Rat seinem Etat dafür gönnen.

Wenn die Gewässer es in der derzeitigen Form schon nicht schafften, würden auch Rückhaltungen das nicht heilen können. Was die Planer vorgelegt hätten, sei zudem auch erstmal ein Konzept, das nicht umsonst zur weiteren Beratung nun in die Fraktionen gehen solle. Die Unterlieger, beruhigte Schatz die Inhaber der Alten Mühle, genössen bei allen Planungen gesetzlichen Schutz. Keine Maßnahme könne ohne genaue Betrachtung der Folge für die Unterlieger Zustimmung finden. Schatz’ abschließender Rat: „Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie als Herr im Haus machen können. Und damit sollten sie sofort anfangen und sich auf alles Lösbare stürzen“.

Das vorgelegte Konzept wurde vom Ausschuss einstimmig in die Fraktionen zur weiteren Beratung verwiesen. Unglücklich auch, dass sich im Verlauf der Sitzung herausstellte, die überparteilich erarbeiteten Vorschläge seien dem Planungsbüro recht kurzfristig erst bekannt geworden. Ein Zusammenfließen und -wirken wird damit nun erst in dem nachfolgenden Prozess möglich.

Über Dinge, die Jens Schatz als Sofortmaßnahmen angesprochenen hatte, machte sich der Ausschuss am Dienstag hingegen keine vertiefenden Gedanken mehr.rah