145 Jahre Firmengeschichte enden

Burgdorff & Schlange schließt am 31. Dezember letztmalig seine Pforte / Fehlende Nachfolge und Veränderungen in der Wirtschaft

Regine und Hans-Jürgen Schlange: Am 31. Dezember schließen sie eine 145-jährige Familien-Firmengenschichte ab.

Bad Gandersheim. Dinge entstehen, andere vergehen. Das ist normal. Und doch macht es einen Unterschied, ob etwas nur kurz währte, oder ob etwas Langes, Traditionelles verschwindet. In letzterem Fall ist nicht selten eine gute Portion an Emotionen dabei. Das ist im Falle der bevorstehenden Schließung des Familienbetriebes Burgdorff & Schlange nicht anders. Mit Ablauf dieses Jahres endet eine immerhin 145 Jahre währende Geschäftsgeschichte.

Sie nahm ihren Ursprung im Jahre 1875, als Mitte Dezember jenen Jahres Hermann Burgdorff die Buchbinderei Knipping im Barfüßerkloster übernahm. Ein paar Jahre später erwarb er das Haus Moritzstraße 9 und verlegte sein Geschäft dorthin. Nach dem Tode Burgdorffs 1904 führte seine Witwe das Geschäft weiter, bis es Sohn Hermann nach dem 1. Weltkrieg übernehmen konnte.

1933 gab es einen Geschäftsumbau. Aus dem bisherigen „Stubenladen“ wurde durch Entfernung einiger Wände eine größere zusammenhängende Geschäftsfläche geschaffen. Ein großes Schaufenster gab es schon seit der Jahrhundertwende. Der 2. Weltkrieg unterbrach ab 1939 die Aufwärtsentwicklung des Geschäftes. Hermann Burgdorff wurde zum zweiten Mal in den Krieg geschickt, seine Frau musste das Geschäft allein weiterführen. Nach der Währungsreform 1948 ging die Aufwärtsentwicklung weiter. Burgdorffs Neffe Hans-Georg Schlange erlernte den Beruf des Einzelhandelskaufmanns und stieg in das Geschäft ein.

1959 konnte das benachbarte Haus Wöhrmann dazugekauft werden, ein Jahr später erfolgte einen Ausweitung der Geschäftsfläche. Schlange wurde Firmenteilhaber, die Firma in eine OHG umgewandelt. Nach dem Tode Hermann Burgdorffs 1963 führte Hans-Georg Schlange das Geschäft allein weiter. Burgdorffs Anteil ging auf die Witwe über.

Zehn Jahre später, 1973, bestand Hans-Joachim Schlange seine Prüfung zum Einzelhandelkaufmann. Die vierte Generation stand bereit, die Geschäfte fortzuführen. Selbst in die volle Verantwortung als Inhaber kamen Regine und Hans-Joachim Schlange im Herbst 1991. Vorangegangen waren Renovierungen und Umbauten. Es sollten nicht die letzten bleiben. So bestand 1997 die Gelegenheit, durch Zukauf eines benachbarten Gebäudeteiles von der Firma Prahmann den Bücherbereich noch einmal deutlich auszuweiten, das Geschäft bekam mehr „Tiefe“ in den hinteren Gebäudebereich. Im Privatbereich über dem Geschäft konnten die Wohnungen miteinander verbunden werden, dort lebt das heutige Inhaberpaar nach wie vor.

Ihm fällt nun die Aufgabe zu, am 31. Dezember den Schlüssel zum letzten Mal herumzudrehen, und dann endet die 145-jährige Firmengeschichte. Die Frage liegt an einer solchen Stelle immer nahe, warum es keine Geschäftsnachfolge gibt. Eine natürliche stand nicht zur Nachfolge an. Und eine Fortführung durch einen interessierten Übernehmer stößt gleich auf eine Reihe von Hindernissen, wie Regine und Hans-Jürgen Schlange gegenüber dem GK erklärten.

Zum Beispiel Veränderungen in der Geschäftswelt. Deren Auswirkungen haben die beiden Inhaber in den letzten Jahren selbst zu spüren bekommen: „Der Zeitschriftenhandel entwickelt sich eher unerfreulich“, formuliert es Hans-Jürgen Schlange. Das Vertriebswesen der Verlage ziele auf immer größere Strukturen ab, kleinere Verkaufsstellen fallen da beim Service ganz schnell durchs Raster. Mal eben Nachlieferungen zu ordern, stoße auf Probleme. Das alles verursache viel Aufwand bei wenig Effekt. Ähnliche Verschlechterungen gebe es beim Buchhandel. In beiden Fällen forciere zudem die Onlinestruktur die Entwicklungen.

Auch im Bereich der Schreibwaren, der immer noch einen hohen Geschäftsanteil bei Burgdorff & Schlange hatte, seien die Zukunftsperspektiven eher unsicher. In der Summe seien das alles zusammen mit schrumpfenden Gewinnmargen gute Gründe gewesen, sich jetzt wirklich ins Rentenalter zu verabschieden.
Für einen Übernehmer wäre ein solches Unterfangen mit zahlreichen Investitionen versehen. Dafür sei kaum noch jemand zu finden, der in einer Kleinstadt wie Bad Gandersheim den Mut dazu aufbringe. Erschwerend komme dazu, dass die bisherigen Inhaber in ihrer Immobilie wohnen bleiben und bei Fremdbetreibung des Geschäftes umfangreiche Schritte zur Trennung von Geschäfts- und Privatbereichen sowie Baumaßnahmen zum Beispiel aus Brandschutzgründen nötig wären. Das alles bietet kaum Nährboden für erfolgreiche Weiterbetriebsansätze.

So werden die Schaufenster nach Ende des Jahres eine andere Ausgestaltung bekommen. „Wir werden uns da etwas Bildhaftes und Schönes ausdenken, es sollen keine ‘schwarzen Löcher’ werden“, versprachen die Schlanges, nicht zuletzt mit Blick auf die Landesgartenschau in zwei Jahren. Was irgendwann vielleicht einmal mit der Geschäftsfläche geschehen kann oder soll, steht derzeit noch völlig in den Sternen.

Noch aber ist das Geschäft in Betrieb. „Und wir sind bis zum Schluss auch wie gewohnt voll für unsere Kunden da“, legen beide Schlanges Wert auf Service bis zum letzten Tag. Selbst Bestellungen werden noch ausgeführt. Gleichzeitig findet im Ladensortiment aber auch schon der Abverkauf statt. Wer noch Gutscheine für das Geschäft hat, sollte sich beeilen, diese noch rechtzeitig einzulösen.

Und wie geht es für die Inhaber ab dem 1. Januar 2021 weiter? „Mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Regine Schlange. Natürlich hänge, wenn man so lange etwas selbständig geführt habe, das Herz am Geschäft. Aber, da gibt es ja auch noch ein Leben neben dem Beruf, und das musste über viele Jahrzehnte auf die Abendstunden oder Sonnabendnachmittag und Sonntag verschoben werden.

Darauf freuen sich die beiden Moritzsträßer besonders: Endlich fast immer Zeit für Dinge zu haben, die lange zurückstehen mussten. Motorradfahren zum Beispiel. „Hab ich bestimmt fünf Jahre nicht mehr gemacht“, sagt Regine Schlange. Jetzt kommt die Zeit dafür und vieles andere mehr. „Langeweile in der Rente werden wir nicht haben, dazu haben wir beide zu viele Hobbys“.rah