Landgericht verhandelt zwei Vorfälle

Derselbe Täter fiel im April und August 2017 auf / Psychische Probleme vermutliche Ursache

Für diesen Einsatz in der Ludolfstraße war der Angeklagte verantwortlich: Er hatte in seiner Wohnung im Bad und Schlafzimmer Feuer gelegt.

Bad Gandersheim/Braunschweig. Zwei Aufsehen erregende Vorkommnisse sind vielen der Beteiligten aus dem vergangenen Jahr in Erinnerung geblieben; sie waren zudem stadtweit Gesprächsthema: Zum einen Flucht und Ergreifung eines Mannes, der am 1. April 2017 Polizisten mit einem Hammer bedroht hatte und nach Flucht zu Fuß und mit einem Taxi in der Marienstraße gestoppt sowie überwältigt wurde, zum anderen ein Brand in einem Mehrfamilienhaus in der Ludolfstraße am 25. August, für den der selbe Täter verantwortlich war. Am Freitagmorgen begann nun gegen den vor wenigen Tagen 28 Jahre alt gewordenen Mann die Verhandlung beider Taten vor dem Braunschweiger Landgericht.

Dass dabei etwas anders war als bei manch anderer Verhandlung, fiel bereits durch die Handfesseln mit Bauchgurt auf, mit denen der großgewachsene, schlanke Mann mit afrikanischen Wurzeln in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurde. Sie durften aber nach Antrag des Verteidigers abgenommen werden, denn Gewalttätigkeit oder Fluchtgefahr waren nach Angaben des Anwalts und Bestätigung der Begleiter, die den Mann aus der Göttinger Einrichtung, in der er behandelt und betreut wird, nicht zu befürchten.

Wie im Ablauf üblich, verlas nach Eröffnung der Verhandlung der zuständige Staatsanwalt die Klagevorwürfe. Danach war Philippe E. am 1. April letzten Jahres frühmorgens gegen 6 Uhr nach Anruf von Nachbarn wegen Ruhestörung von der Polizei aufgesucht worden. Die Beamten trafen auf einen Mann mit Hammer in der Hand, den dieser drohend als Waffe genutzt haben soll.

Aufgrund der gezeigten Aggressivität zogen sich die zwei ersteingesetzten Beamten zurück und forderten Verstärkung an. Bevor die kam, machte sich der Angeklagte mit zwei Taschen auf den Weg zum Netto-Parkplatz, bestieg dort ein bestelltes Taxi. Das stoppten die nun zahlreicheren Beamten der Polizei in der Marienstraße.

Nach dem Aussteigen habe der Angeklagte die Beamten erneut bedroht und sei der Aufforderung den Hammer fallen zu lassen, nicht nachgekommen. Statt dessen forderte er die Polizisten auf, doch zu schießen. Pfefferspray machte der Situation dann ein Ende, der Mann wurde überwältigt und in Gewahrsam genommen. Danach erfolgte eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik bis Mitte Juni.

Aus diesem Aufenthalt zurück ereignete sich dann am 25. August der zweite Vorfall: Der Angeklagte legte in seiner Wohnung, in dem Mehrfamilienhaus in der unteren Ludolfstraße, im Bad und dem Schlafzimmer Feuer. Nach eigenen Angaben, um das ganze Haus abzubrennen. Es entstand Sachschaden, zudem mussten mehrere Personen wegen Raucheinwirkungen behandelt werden. Der damals 27-Jährige kam erneut in die Göttinger Klinik, wo er auch heute noch in Behandlung ist.

Am ersten Verhandlungstag – dem noch zwei weitere folgen sollen – wurde auch die Vita des Angeklagten dargelegt, die allerdings keinen erkennbaren Zusammenhang zu den Taten ausweist. Geboren wurde Philippe E. in Benin, Westafrika, im Februar 1990. Schon im Alter von wenigen Wochen wurde er durch zwei Deutsche, die für den Deutschen Entwicklungsdienst arbeiteten, adoptiert und kam schon bald nach Deutschland, wo er zunächst in Berlin aufwuchs und auch die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ab dem 7. Lebensjahr ging es weiter nach Kamerun und vier Jahre später zurück nach Bonn. Dort absolvierte der junge Mann die Schule mit der mittleren Reife. Es folgten Gelegenheitsarbeiten, aber keine vollständige Ausbildung. In Bad Godesberg praktizierte er ein Jahr in der Gastronomie, bevor eine Ausbildung in einem Sportgeschäft möglich wurde. Die aber endete abrupt nach vier Monaten aufgrund von Depressionen.

Die Diagnose, dass eine psychische Erkrankung bei ihm vorliege, bekam der junge Man im Jahre 2012. Danach erfolgte eine Behandlung mit Tabletten, die der Patient allerdings lange Zeit eher lax sah und es durch Vergessen oder zu geringe Medikation zu psychischen Beeinträchtigungen kam, wie sie auch bei den Gandersheimer Vorfällen eine entscheidende Rolle gespielt haben sollen.

In eine klinische Behandlung musste sich der Angeklagte daher schon nach Abbruch der Ausbildung für drei bis vier Monate begeben. In dieser Zeit war er – wie des öfteren – auf sich allein gestellt, da seine Adoptiveltern weiterhin im Ausland tätig waren.

In die hiesige Region kam er im August 2016. Seine Adoptivmutter hatte wieder eine Wohnung im Gebiet der Altgemeinde Kreiensen bezogen, aus der sie stammt. Der junge Mann war zunächst bei ihr geblieben, bezog im Januar 2017 aber dann in Bad Gandersheim eine eigene Wohnung, da es mit der Mutter zunehmend Streit gegeben habe und er etwas Eigenes haben wollte.

Zu Auseinandersetzungen, so der Angeklagte selbst, sei es unter anderem um die Frage gekommen, dass ihn interessiert habe, wer seine leiblichen Eltern seien. Versuche von Nachforschungen aber habe die Mutter nicht gewollt und abgeblockt. Diese Frage scheint den jungen Mann auch immer noch zu beschäftigen.

Bedeutend entscheidender als die Frage der Herkunft aber ist die der psychischen Erkrankung. Laut Befunden handelt es sich dabei um akute paranoide Schizophrenie. Der Angeklagte selbst sprach davon, dass er sich in den „Episoden“, also Krankeitsschüben, wie in einer Parallelwelt befinde. Selbst die Anklage spricht davon, dass zur Zeit der Vorfälle seine Einsichtsfähigkeit offenbar aufgehoben gewesen sei.

Philippe E. ließ sich am ersten Verhandlungstag auf die Vorwürfe mindestens des ersten Vorfalles am 1. April ein und schilderte diesen Morgen aus seiner Sicht. Er gab an, durch Lärm – keinen selbst verursachten – gegen halb 6 Uhr morgens aufgewacht zu sein. In den Wochen davor habe ihn das Gefühl beschlichen, dass Fremde während seiner Abwesenheit in seiner Wohnung gewesen seien, was er an verschiedenen Spuren meinte erkannt zu haben.
Aus Angst vor einem Einbrecher habe er den Hammer gegriffen, um nicht wehrlos zu sein. Als er vor die Haustür getreten sei, hätten dort bereits die beiden Polizeibeamten gestanden, denen er bedeutet habe, er habe ihnen nichts zu sagen.

Nach einem kurzen Rückzug in die Wohnung machte sich E. dann mit zwei Taschen und einem Rucksack sowie immer noch dem Hammer in der Hand auf den Weg zu einem bestellten Taxi, mit dem er zu seiner Mutter habe fahren wollen. Die ihn verfolgenden Polizisten habe er wahrgenommen, aber nicht auf sie reagiert, weil er sich bedroht gefühlt habe und „nur weg wollte“.
Die Eskalation erfolgte in der Marienstraße. Es habe ihn durchaus empört, dass das Taxi angehalten worden sei. Er habe zwar immer noch den Hammer in der Hand gehabt, aber niemanden verletzten wollen. E. gestand aber zu, den Beamten entgegengeschleudert zu haben „Dann schießt doch“. Es sei auch gut möglich, räumte er auf Nachfragen des Staatsanwaltes ein, dass er aufgrund fehlender Medikamenteneinnahme die Situation nicht richtig eingeschätzt habe.

Mit den Medikamenten habe er es in dieser Zeit nicht so genau genommen, manchmal auch längere Zeit gar keine, weil die Hausärztin keine mehr verschrieben habe und er sich diese immer erst aus der Ambulanz in Göttingen habe besorgen müssen, was ihm irgendwann zu viel geworden sei.
Inzwischen ist E. seit fast einem halben Jahr in der Göttinger Einrichtung und dort gut auf seine Medikamente eingestellt. Damit, so konnte er auf Nachfrage des Staatsanwaltes bestätigen, gehe es im ziemlich gut. Der Angeklagte selbst weiß nach eigenen Worten um die Bedeutung der genauen Einhaltung der Medikationsvorschriften.

Seit Längerem hat er auch einen Betreuer, den er zunächst nicht akzeptieren wollte, weil er glaubte, dadurch zu viel Eigenständigkeit zu verlieren. Inzwischen aber sei er sehr froh darüber, diese Betreuung zu haben, sagte der Angeklagte.

Eine Einlassung zu dem zweiten Vorfall erfolgte auf Bitten des Verteidigers noch nicht, da zwischen dem Angeklagten und ihm dieser Part noch nicht hinreichend besprochen worden sei. Ohnehin hatte die 4. Kammer des Landgerichtes bereits zwei Folgetermine angesetzt. Im Zuge dieser sollen am Freitag, 9. März, dann die ersten Zeugen, vor allem die am Einsatz beteiligten Polizeibeamten gehört werden. Auch der medizinische Gutachter bekommt dann ausreichend Zeit zum Vortrag.

Der wird ohne Zweifel ganz entscheidenden Einfluss auf die Urteilsfindung haben, denn die Staatsanwaltschaft strebt eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Sicherungsverfahren an. Am 9. März und vermutlich abschließend am 15. März wird es also um die Frage gehen, ob der Zustand und die Art der Erkrankung des Angeklagten ein Leben außerhalb von Klinikmauern überhaupt noch möglich machen oder für den Fall immer die latente Gefahr bestünde, dass sich Vorkommnisse, wie die beiden in Bad Gandersheim jederzeit wiederholen könnten.rah