Die Rezension von Tina Fibiger

„Spatz und Engel“ auf der Dombühne

Gefeiert wird ein Dream Team

Dietrich und Piaf genießen das Leben in New York. Von links Peter Neutzling, Miriam Schwan, Esther Conter, Sylvia Heckendorn und Sven Olaf Denkinger.

Bad Gandersheim. Für dieses „non, je ne regrette rien“ verweigert Edith Piaf wie so oft den Rat ihrer Freundin Marlene Dietrich, sich endlich mal zu schonen. Nein, die Gestalt, die jetzt im Nachthemd auf der Dombühne vor ihr Publikum tritt, bedauert nichts. Da ist keine Spur von Verzweiflung in der Stimme von Sylvia Heckendorn. All die schmerzhaften Tragödien in der Geschichte von Edith Piaf verblassen vor dem Bild dieser Frau, die jetzt alle ihre unbeugsamen Lebensenergien in dieses Chanson legt. Die Freundin wird ihr auch bei den letzten Kräfte zehrenden Konzerten zur Seite stehen und wie immer Haltung wahren, Stolz und Würde, so wie Miriam Schwan ihre Marlene Dietrich erneut als aufrecht wachsame und nur scheinbar unberührbare Zuhörerin erscheinen lässt.

Im Grunde wäre jetzt wieder einer dieser bestärkenden Kommentare fällig. Los, zeig es Ihnen und lass Dich bloß nicht von irgend so einem Wichtigtuer bedrängen. Auch von diesen oftmals ironisch gefärbten Warnsignalen über den musikalischen Erfolgszirkus wird diese Freundschaft zwischen „Spatz und Engel“ belebt, die in der Inszenierung von Sandra Wissmann zum Auftakt der Domfestspiele mit Standing Ovations gefeiert wurde. Belebt wird sie natürlich auch von den Gegensätzen und den Widersprüchen, denen sich zwei der größten Stars des 20.Jahrhunderts in der musikalischen Bühnenfantasie von Daniel Große Boymann und Thomas Kahry mit alle Höhen und Tiefen stellen. Die coole Diva, die ihre Karriere mit ungeheurem Selbstbewusstsein und großer Disziplin meisterte, trifft auf dieses leidenschaftliche und selbstzerstörerische Energiebündel, dass sich um Konventionen wenig scherte und dabei nicht nur impulsiv sein konnte, sondern auch verletzend.

Ob es diese intime Liebesbeziehung zwischen dem „blauen Engel“ und dem „Spatz von Paris“ wirklich so gegeben hat oder damit nur Spekulationen und Gerüchte über das Verhältnis der beiden Frauen ein bisschen dramatischen Auftrieb bekommen haben, spielt für diesen Theaterabend keine Rolle. Er widmet sich vor allem einer ganz besonderen Frauenfreundschaft, Fakt ist, dass sich Marlene Dietrich und Edith Piaf Ende der 40er Jahre nach einem Konzert in New York begegnet sind, das für den Spatz von Paris zum Fiasko wurde. Ihre erste Begegnung hat vermutlich nicht auf einer Damentoilette stattgefunden und nicht den komischen Verlauf genommen, wie jetzt vor dem Portal der Stiftskirche, das mit seinen schwarzen Samtvorhängen, den Raum für die Konzertauftritte markiert. Das Podest mit dem Flügel auf der linken Bühnenseite bildet einen weiteren Spielort neben dem riesigen Bett mit den seidigen Vorhängen am anderen Ende der Spielfläche.

Hinter den schwarz-weißen Raumteilern, die später auch als Garderobennischen und Ankleidezimmer zum Einsatz kommen, schnieft und rotzt es erst mal, bis die Klospülung gurgelt. Die Ansage der souveränen Diva fällt ziemlich eindeutig und unverblümt aus: Über ein dämliches amerikanisches Publikum, für das sich die ganze Heulerei nicht lohnt, dass auch kein Französisch versteht und die musikalische Botschaft noch weniger. Sie wird jetzt mit dem zerzausten Spatz Champagner trinken, ignorante Kellner aufmischen, für den Erfolg dieser kleinen Frau mit der gewaltigen Stimme sorgen und auch ihre intime Nähe suchen. Egal, was die Skandalreporter zusammendichten werden und was die öffentliche Meinung dazu sagt.

Später werden sich beiden Freundinnen in ihrer Gegensätzlichkeit einiges an Verletzungen zumuten und diese besondere Zuneigung, die eben nicht immer zärtlich liebevoll ausfällt. Sie verbirgt sich hinter fürsorglichen Ermahnungen und herrischen Kommandos einer Marlene Dietrich, deren souveräne Haltung Miriam Schwan mit einer feinen Empfindsamkeit verbindet. Nicht nur im maßgeschneiderten Outfit und im Edelpelz wird Ediths Freundin selbstbestimmt auftreten sondern auch mit Küchenschürze und Suppenkelle und ihre Fürsorge immer wieder ironisch temperieren und ohne dabei ihre innerstes Gefühlsleben preiszugeben. Diese impulsive Gestalt im kleinen Schwarzen schert sich kein bisschen nicht um dieses Aufgebot an Lebens- und Gefühlsdisziplin. Sylvia Heckendorn zeichnet sie offenherzig und schutzlos, leidenschaftlich und temperamentvoll und ohne Scheu davor, Ansichten und Konventionen einfach zu torpedieren.

Das freundschaftliche Stationendrama nimmt seinen Lauf, vor allem mit Blick auf die Schicksalsschläge, die Edith Piaf mit ständig wechselnden Liebhabern und Ehemännern, Drogen, Alkohol und vor allem in der Musik zu überstehen glaubte. Jeder Erfolg und jede Katastrophe wird von einem Moderator angekündigt und auch wo sie sich abgespielt hat. Abwechselnd übernehmen Esther Conter, Sven Olaf Denkinger und Peter Neutzling und das nicht nur die Conference. In vielen Szenen werden sie zu Zeitgenossen in den Begegnungen von Spatz und Engel, mischen sich als Konzertveranstalter und Techniker ein, als Rummelplatzbesucher, Krankenschwestern und übereifrige Assistentinnen um sich als Autogrammjäger auch auf Boxchampions Marcel Cerdan (Peter Neutzling) zu stürzen, Edith Piafs ewig betrauerte großer Liebe.

Ferdinand von Seebach am Flügel und Vassili Dück mit seinem Akkordeon sind die musikalischen Gefährten für Miriam Schwan und Sylvia Heckendorn. In den Begegnungen der beiden Künstlerinnen lassen auch sie ihre musikalischen Erfolge in den schönsten Klangfarben und Phrasierungen strahlen. Den berühmtesten Marlene Dietrich-Hit „Sag mir, wo die Blumen sind“ oder dieses charmante Bekenntnis „You’re the cream in my coffee“, Edith Piafs stürmischen Aufruf „Padam Padam“ und dann diese unsäglich schmerzhafte Widmung „Mon Dieu“ in der Trauer um den tödlich verunglückten Geliebten. Immer wieder kommt es an diesem Abend zu diesen Gänsehautmomenten, wo jeder Ton berührt, wenn Miriam Schwan und Sylvia Heckendorn das Portrait dieser Frauenfreundschaft mit weiteren emotionalen Farben vertiefen, die dann in „La vie en Rose“ mit allen Kontrasten im Duett verschmelzen.

In vielen Szenen erinnert „Spatz und Engel“ an ein musikalisches Kammerspiel, bei dem Regisseurin Sandra Wissmann auf die Wirkung von Nahaufnahmen vertraut, die hier so viel mehr erzählen als ein Setting mit großen Showeffekten und das Publikum auch in den komödiantisch heiteren Episoden berühren.

Die Zuschauer feiern auf der Bühne mit Miriam Schwan und Sylvia Heckendorn auch ein Dream Team für „Spatz und Engel“. Es gibt immer wieder Szenenapplaus und einen ganz besonderen für diese Gestalt, wie sie leicht gebückt, die Hände in die Hüften gestemmt vor das Mikrofon tritt und mit ihrer Stimme das Auditorium noch einmal leidenschaftlich umarmt. „Non, je ne regrette rien.“tf