Starkes Gedenken für einstige Nachbarn

Rund 200 Menschen kamen am Montag zur Verlegung der neun Gandersheimer Stolpersteine

Eine unerwartet große Zahl an Menschen wohnte am Montagmorgen der Verlegung der ersten Gandersheimer Stolpersteine bei.

Bad Gandersheim. Es war ein starkes Zeichen: Bad Gandersheim gedenkt der Mitbürger, die unter der Herrschaft des Dritten Reiches leiden, vielfach Deutschland verlassen und im schlimmsten Fall ihr Leben lassen mussten. Zugleich ein starkes Signal, das Antisemitismus in dieser Stadt keinen Fuß fassen soll. Darauf werden viele Menschen ein Auge haben und gegebenenfalls auch Widerstand leisten. Das ist nach der, lange vorbereiteten, Verlegung der ersten Bad Gandersheimer „Stolpersteine“ klar.

Mit einem solchen Andrang hatten die Organisatoren der Initiativgruppe um Marlene Brandt und Thomas Gelück nicht gerechnet. Am Montagmorgen um 9 Uhr zur vorgesehenen Beginnzeit an der Einmündung der Kellergasse in die Moritzstraße hatten sich rund 200 Teilnehmer eingefunden, um dort am Haus der Verlegung der ersten vier von insgesamt neun Gandersheimer Stolpersteinen beizuwohnen. Es wurde eng, der Verkehr musste mit großer Vorsicht die bis in die Fahrbahn stehende Menge passieren.

Die vier Steine galten an dieser Stelle der Familie Bendix, die 1913 Bad Gandersheim als ihren Lebensmittelpunkt angenommen hatte und in dem Haus an der Ecke Moritzstraße/Kellergasse ein Handelsgeschäft eröffnete. Nach Repressionen durch die braunen Machthaber musste es aufgegeben werden, die Familie lebte offenbar zunächst noch im Hinterhaus, bevor sie über die Zwischenstation Hannover den Weg ins Ausland, in diesem Fall Argentinien antrat. Das bewahrte die beiden Eltern und ihre beiden Kinder vor Bedrohungen des Lebens. Ein Teil der Familie kehrte sogar nach dem Kriege nach Deutschland zurück.

Weniger glücklich verlief das Schicksal der Familie Rosenbaum, die in Bad Gandersheim das Haus an der Ecke Moritzstraße/Neue Straße bewohnte und dort eine Werkstatt betrieb. Der Weg führte einige Familienmitglieder ins Ghetto nach Warschau oder in ein Konzentrationslager nach Riga. Es ist nach den Recherchen der Initiativgruppe davon auszugehen, dass diese Familienmitglieder dort auch ums Leben kamen. Gesicherte Daten liegen darüber aber nicht vor.

Eben diese Recherchen mit den Geschichten der Menschen, die einst ganz normale Nachbarn waren und dann im Dritten Reich zu verfolgten Personengruppen wurden, sind auch in einer Ausstellung aufgegangen, die ebenfalls am Montag in Brunshausen auf der Empore der Klosterkirche eröffnet wurde. Sie läuft dort bis Ende März 2020 als Sonderausstellung unter dem Dach des Portals zur Geschichte. Über diesen Teil erfolgt eine getrennte Berichterstattung im GK.

Vor Ort wurden die wesentlichen Lebensdaten und Schicksalswege der neun Personen von zwei Schülerinnen des Gandersheimer Roswitha-Gymnasiums verlesen. Das war angesichts der unerwartet großen Teilnehmerschar und ohne Mikrofon eine besondere Herausforderung – vor allem an der Neuen Straße, in der es nie mehr als 20 Sekunden Ruhe ohne vorbeifahrende Fahrzeuge gab. Weitere grundlegende Informationen gaben an beiden Verlegestellen auch Marlene Brandt und Thomas Gelück im Namen der Initiative.

Unter den zahlreichen Gästen war auch die frühere Gandersheimer Museumsleiterin Anne-Kathrin Race. Sie war zur Verlegung extra aus Hannover, ihrem heutigen Arbeitsort, angereist. Auf sie geht im Grunde die erste Kenntnis über die Schicksale von Juden im Bad Gandersheim der 30er- und 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts zurück.

Anfang der 90er-Jahre waren im Rahmen eines damals noch über die KVHS angebotenen Kurses unter ihrer Leitung Recherchen von Gandersheimern aufgenommen worden, die später in der Geschichtswerkstatt weiterarbeiteten. Es dauerte nun aber noch einmal fast 30 Jahre, bis diese Erkenntnisse soweit ausrecherchiert waren, dass mit den Stolpersteinen eine angemessene Erinnerungskultur gefunden werden konnte.

Zu guter Letzt stand im Mittelpunkt des Montagmorgens ein Mann, der wortwörtlich mitten in der Menge arbeitete, dies aber wortlos und ohne Aufhebens in Bescheidenheit tat, fast wie ein Arbeiter, dem man aufgetragen hatte, die Steine fachgerecht zu verlegen. Dies tut Gunter Demnig seit vielen Jahren, denn er hat sich den Zweck der Erinnerung über die Stolpersteine, die zudem sein Kunstprojekt sind, zu eigen gemacht und ist inzwischen damit bundesweit das ganze Jahr unterwegs. Inzwischen wird der 72-Jährige sogar schon von einem Team nicht nur bei der Erstellung der Steine, sondern auch den Verlegungen unterstützt, um allen Anfragen nachkommen zu können.

Einen besonderen Schutz musste man den gerade frisch eingesetzten Stolpersteinen zunächst nicht geben, damit sie ungestört im Zementbett aushärten konnten: Direkt nach der Verlegung wurden rund um die Steine Blumen niedergelegt, die ihnen für später den Bereich passierende Menschen genug Aufmerksamkeit verschafften. Dass sie diese auch in Zukunft bekommen, davon ist auszugehen. Nur Menschen, die nicht auf den Weg vor ihren Füßen achten, könnten sie übersehen.rah