Volkstrauertag 2020: Gedenken in Stadt und Dörfern auch ohne öffentliche Veranstaltungen

Coronabedingt nur Kranzniederlegungen mit bis zu zwei Personen möglich / Die Rede der Bürgermeisterin diesmal als Abdruck

Ohne Publikum und öffentliche Gedenkfeier werden die Kränze am Ehrenmal an der Tummelburg in diesem Jahr in ganz kleinen Gruppen und in aller Stille niedergelegt.

Bad Gandersheim. Die Stadtverwaltung hatte bereits darauf hingewiesen, dass in Kernstadt und Dörfern gemäß der Niedersächsischen Corona-Verordnung geltenden Kontaktbeschränkungen am Sonntag, 15. November, keine öffentlichen Gedenkveranstaltungen zum Volkstrauertag 2020 stattfinden können.
Ersatzweise wird es diesmal im Rahmen des öffentlichen Gedenkens lediglich Kranzniederlegungen mit bis zu zwei Teilnehmern geben. In den Ortsteilen übernehmen die jeweiligen Ortsvorsteherinnen bzw. Ortsvorsteher diese Aufgabe, gegebenenfalls mit einer Begleitperson. In der Kernstadt wird die stellvertretende Bürgermeisterin Karin Albig die Kranzniederlegung am Ehrenmal in der Tummelburg ebenfalls ohne die sonst übliche öffentliche Gedenkveranstaltung vornehmen.

Trotz der coronabedingten Veränderungen sollte das Gedenken zum Volkstrauertag innerhalb der Stadt Bad Gandersheim und vor allen Dingen bei den Menschen in Kernstadt und Ortsteilen wach erhalten bleiben. Daher nachfolgende Betrachtungen der Stadt Bad Gandersheim zum Volkstrauertag 2020:
„Innehalten und ein stilles Zeichen gegen Gewalt und Krieg zu setzten – das sollte unser aller Anliegen sein. Der Volkstrauertag bietet auch in diesem Jahr trotz der Corona-Schutzmaßnahmen einen Anlass dazu. Seine ursprüngliche Bedeutung war es, die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg als einschneidendes und tief greifendes Ereignis der Geschichte wachzuhalten und an die getöteten deutschen Soldaten samt den trauernden Angehörigen zu denken.

Wegen der unzähligen Kriegstoten und Vermisstenschicksale wurde dieser Trauertag ins Leben gerufen. Vieles über diesen leidvollen und sinnlosen Krieg konnten wir erst vor wenigen Wochen durch die Einweihung einer Geschichts- und Erinnerungstafel in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und dem Roswitha-Gymnasium am Gräberfeld auf dem St.-Georgsfriedhof und in diesem Zusammenhang mit einem Vortrag des international bekannten Historikers Prof. Dr. Gerd Krumeich aus Freiburg im Breisgau erfahren.

In der Rückschau muss man leider feststellen, dass zur damaligen Zeit viele junge Kriegsfreiwillige in Unkenntnis der modernen Waffen und deren grausamer Folgen zu Anfang des Ersten Weltkriegs das Geschehen verklärten und es als persönliche Aufopferung für das Vaterland ansahen. Angesichts des gnadenlosen Massensterbens wurde diese romantisierte Verklärung jedoch rasch beendet.

Der Zeitraum des schrecklichen Geschehens gehört für die meisten von uns zu einer fernen Vergangenheit, lebende Zeitzeugen von damals gibt es so gut wie nicht mehr. Umso wichtiger ist es, sich die Geschichte immer wieder vor Augen zu führen und zu erkennen, wie bedeutend es ist, sich konsequent für den Frieden einzusetzen. Werfen wir also kurz einen Blick in die damalige Zeit mit für uns heute unvorstellbarem Leid und einem unglaublichen Ausmaß an Zerstörung. Weite Teile Europas liegen in Trümmern. Millionen Familien beklagen den Tod ihrer Angehörigen.

Nach Kriegsende im Deutschen Reich engagierten sich Politiker und Vereine wie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für das Gedenken an die getöteten Soldaten und Zivilisten. Die Motive reichten damals von der Heldenverehrung bis hin zum Ausdruck der Anteilnahme. Auch weitere am Krieg beteiligte Nationen wie Frankreich oder Großbritannien riefen solche Gedenktage ins Leben. Die Nationalsozialisten ergriffen die Macht und erklärten im Jahr 1934 den Volkstrauertag zum gesetzlichen Feiertag und definierten ihn zum „Heldengedenktag“.

Er wurde in dieser Zeit zu Propagandazwecken missbraucht. In der Nachkriegszeit ab 1945 ist die Erinnerungskultur in Ost- und Westdeutschland dann erstmal unterschiedlich ausgeprägt. Nur die damalige Bundesrepublik knüpft an die Geschichte des Volkstrauertags an. Seit dem Jahr 1952 hat er dort den Status eines gesetzlichen Gedenktags. In der DDR wird stattdessen vornehmlich an die Opfer des Faschismus erinnert. Dazu zählen vor allem die kommunistischen Widerstandskämpfer. Seit der Wiedervereinigung gibt es nun den Volkstrauertag in allen Bundesländern. Zu den Ritualen gehören Gottesdienste und bundesweite Kranzniederlegungen – sieht man einmal von der Ausnahmesituation in diesem Jahr ab.

Erinnert wird am Volkstrauertag nicht nur an die Opfer des Ersten und des Zweiten Weltkriegs, sondern an alle Toten aufgrund von Krieg, Gewaltherrschaft und Terrorismus. Inzwischen wird am Volkstrauertag ebenfalls der bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gefallenen deutschen Soldaten gedacht. Wir denken am Volkstrauertag an die vielen Opfer und menschlichen Schicksale, die in Glaubenskriegen, in Schlachten politischer Ideologien und sinnlosen anderen Krisen und Auseinandersetzungen zu beklagen sind.

Eine schier erdrückende und unglaubliche Zahl von Opfern, die unser aller Vorstellungsvermögen übersteigt – aber nicht nur eine Zahl. Dahinter stehen einzelne Namen, einzelne Schicksale, an die wir erinnern und die wir betrauern. Mit diesem Gedenken verleihen wir der Abkehr von Gewalt und Hass Ausdruck. Er ist ebenfalls der Ausdruck von Anteilnahme mit allen, die Leid tragen und um die Toten trauern.

Trauer ist sehr individuell. Jeder von Ihnen, der schon einen geliebten und vertrauten Menschen verloren hat, kennt das. Es geht vor allem darum, den Verstorbenen durch die liebevolle Erinnerung im Gedächtnis zu behalten. Die Erinnerungen sind es, die uns prägen, und die Erinnerungen beeinflussen unser Handeln und unseren Umgang miteinander. Nur wer sich erinnert, kann aus der Vergangenheit lernen und so eine bessere Zukunft gestalten.

Deshalb müssen wir die Einzelschicksale sehen, im persönlichen Umfeld nach Spuren suchen und die wenigen Zeitzeugen, die es noch gibt, anhören. Es geht aber auch darum, mit dem einhergehenden Schmerz umzugehen und diesen mit anderen zu teilen. Trauer umfasst daher immer auch den Akt der Solidarität. Das schmerzvolle Erinnern und die Trauerarbeit sind in der Gemeinschaft leichter. Es ist ungemein wichtig, diese Erinnerungskultur mit unseren jungen Menschen fortzuführen. Aus der Erinnerung an die bedrückenden Schicksale muss die Botschaft, die an uns alle vom Volkstrauertag auch in 2020 ausgeht, lauten: Nie wieder!

Der Volkstrauertag ruft vor allem dazu auf, Zeichen von Hoffnung und Versöhnung zu setzen, und fordert uns dazu auf, unsere Verantwortung für den Frieden zu übernehmen. Friede beginnt bei jedem von uns. Es geht um unseren inneren Frieden, es geht um den häuslichen Frieden, es geht um den Frieden im Umgang mit unseren Kollegen oder Nachbarn. Der Tag des Gedenkens mahnt uns zum Nachsinnen darüber, was wir alle als Nation, als Kommune und als Einzelner für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit tun können.

Als Erblast der jüngeren Geschichte wird von uns Deutschen erwartet, alle Möglichkeiten zur Förderung eines gerechten Friedens und zur Wahrung der Menschenrechte konsequent auszuschöpfen. Der bekannte Philosoph Karl Jaspers formulierte hierzu einen passenden Satz: „Die Frage des Friedens ist keine Frage an die Welt, sondern eine Frage an jeden selbst.“

Es ist ein Tag des Nachdenkens darüber, wie wir heute auf Krieg und Gewalt reagieren und was wir – ganz persönlich, aber auch als reiches Land in einem freien und zumeist friedlichen Europa – für Freiheit und Menschlichkeit auf der Welt tun können. So gilt es, frühzeitig zu erkennen, wenn Menschenrechte ausgehöhlt und mit Füßen getreten werden. Wir müssen couragiert einschreiten, wo Mitmenschen unsere Hilfe brauchen. Niemals dürfen wir gegenüber menschlichem Leid in Gleichgültigkeit verfallen.

Auch die aktuelle Situation zeigt uns, dass wir keinen Frieden auf der Welt haben. Die Welt kommt nicht zur Ruhe. Denken wir daran, dass Millionen von Menschen auch heute noch im Krieg leben müssen oder davor fliehen. Denken wir also heute auch besonders an die Getöteten der bewaffneten Konflikte und politischen Willkürherrschaften in der Gegenwart. Aber auch an die, die unterdrückt und verfolgt werden, und an die, die aus unmenschlichen Verhältnissen fliehen. Diese schrecklichen Beispiele führen uns vor Augen, wie wenig selbstverständlich Frieden heute ist. Und wie existenziell eine gefestigte, starke Demokratie ist, die extremistische Tendenzen aushält und im Zaum hält.

Die aktuelle Diskussion zeigt, dass Hass und Gewalt schon mit der Wortwahl beginnen. Es startet bereits mit der Verrohung der Sprache und schnell ist die Grenze zu tätlichen Übergriffen bis hin zu Mord überschritten. Es muss unsere Pflicht sein, den Anfängen von Terror und Gewalt zu wehren – im Kleinen wie im Großen. Wir müssen wachsam und wehrhaft sein! Wichtige Eckpfeiler sind dabei das Gedenken, die Rückbesinnung und unsere Erinnerungskultur. Wir hier in Bad Gandersheim verstehen uns als eine weltoffene, vielfältige, tolerante und international ausgerichtete Stadt. Hier ist kein Platz für menschenverachtendes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit. Unser friedliches Zusammenleben ist eines unserer höchsten Ziele.

In Ehrfurcht vor den Toten beider Weltkriege und der Opfer von Gewaltherrschaft sowie vor allen Kriegsopfern und im Dienst gestorbenen Soldaten weltweit legt die Stadt Bad Gandersheim in Kernstadt und Dörfern als Zeichen des Gedenkens jeweils einen Kranz nieder. Wir bleiben ihnen verbunden in der dauerhaften Verpflichtung für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit.“sbg