Von Selbstvertrauen, Mut und Herz

Regentaufe zur Premiere für den „Zauberer von Oz“ auf der Dombühne / Die Rezension von Tina Fibiger

Dorothy und die Vogelscheuche (Felicitas Heyerick) machen den Blechmann (Marco Luca Castelli) flott.

Bad Gandersheim. Offenbar haben auch die guten Geister mit Dorothy auf den Mut, den Verstand und das Herz ihrer Freunde vertraut. Ein Mädchen, das bei einem Wirbelsturm sogar eine böse Hexe außer Kraft setzen kann, lässt sich durch einen Regenschauer nicht von ihrer Rückkehr nach Kansas abhalten. Darin wird sie natürlich von einem starken Löwen ebenso bestärkt wie von der klugen Vogelscheuche und dem großherzigen Blechmann. Nach all den abenteuerlichen Erlebnissen mit fiesen Hexen und seltsamen Zauberern möchte sie wieder nach Hause zu Onkel Henry und Tante Em. Und natürlich prasselt nun der Beifall der Zuschauer zum fröhlichen Finale dieser abenteuerlichen Fantasiereise vor der Stiftskirche auch viel lauter als die dicksten Regentropfen.

Lust auf Abenteuer macht „Der Zauberer von Oz“ als Kinder- und Familienstück von Anfang an, schon wenn Denise Kiesow mit dem Fahrrad über die Bühne tobt, weil ihre Dorothy lieber Spaß haben will, als sich im idyllischen Kansas zu langweilen, wo eigentlich nie was passiert. Doch dann stürmen ein paar sehr umtriebige Windgeister die Bühne. Wie verwandelt scheint das öde Kansas und auch das kleine Holzhaus, aus dem plötzlich zwei Füße mit roten Schuhen lugen. Mitsamt ihrem Sturmversteck sind Dorothy und ihr Plüschgefährte Toto in einer abenteuerlich fremden Welt gelandet und haben dabei die böse Hexe des Westens einfach platt gemacht.

Jetzt wird es richtig spannend und auch ein bisschen gruselig, weil die fiese Westhexe nach den magischen roten Schuhen ihrer Schwester lauert und Fehmi Göklü mit schön schaurigen Grimassen mächtig poltert. Die mutige Heldin kann er trotzdem nicht verschrecken. Ihr zur Seite steht die gute Hexe des Nordens (Katarzyna Gorczyka) mit ihren Munchkins (Sabina Romanczak und Jakub Urbanski), die ihr den Weg zum Zauberer von Oz weisen und bald auch ein sehr umtriebiges Trio, das ebenfalls Hilfe braucht.

Für eine tolle Freundschaft spricht bereits, die Textfassung, die Regisseurin Sarah Speiser und Dramaturgin Jennifer Traum für den Zauberer von Oz und die kleine Reisegesellschaft entworfen haben. Die kann sich unterwegs immer wieder mit frechen Sprüchen freundschaftlich verbünden. „Lass doch das alberne Rumgehänge“ bekommt Felicitas Heyerick als Vogelscheuche zu hören, wenn sie ihren mangelnden Verstand beklagt und später dem furchtsamen Löwen Paroli bietet. Da kann Stephan Luethy noch so großspurig drohen, „Dich fresse ich als erstes, du dummer gelber, zappliger Strohsack“. Den Spruch „Ach, Kleiner, das wird schon wieder“ muss er sich trotzdem gefallen lassen, weil das mit dem groß und stark sein nicht so leicht ist.

„Alles hohl und leer“ sinniert Marco Luca Castelli über seinen Blechmann, der sich auch frisch geölt und vom Rost befreit immer noch nach einem echten Herz sehnt und nun den verzagten Herrscher des Waldes seine Blechbrust drückt.

Dass es zwischen den Beiden immer wieder zu Kabbeleien über die Bedeutung von Mut, Herz oder Verstand kommt, kann ihre Freundschaft nur bestärken. Erst recht, wenn Fehmi Göklü mit weiteren listigen Tricks lauert und mit großer Begeisterung über den „kleinen Dummbratz“ Dorothy lästert, über rostige Blechdosenheinis, trottelige Strohmännchen und feige Miezekatzen. Seinen tollen roten Zauberstab mit der kleinen Rakete wird er trotzdem los und mit einem Eimer Wasser erlischt auch sein höllischer Spuk. Beim sagenhaften Zauberer von Oz hatten die vier Reisenden inzwischen Gehör gefunden, auch wenn er ihre Wünsche nach Mut, Verstand und Herz und einem Rückweg nach Kansas gar nicht erfüllen kann. Das haben sie im Vertrauen aufeinander ganz allein geschafft, die sich mit klugen Ideen, ganz viel herzhafter Zuneigung und Courage in brenzligen Situationen bestärkt haben.

Wie man gemeinsam Selbstvertrauen entwickelt anstatt sich an seine vermeintlichen Schwächen zu klammern, auch davon erzählt die Inszenierung von Sarah Speiser und dass die in einem freundschaftlichen Bündnis sowieso keine Rolle spielen, weil es darauf nicht ankommt.

Natürlich ist an diesem märchenhaft abenteuerlichen Theaternachmittag auch viel Fantasie im Spiel, sogar bei falschen Zauberern, die sich am Ende als Zirkusartisten mit heimlichen Wünschen entpuppen. Sie bezaubern mit Geschenken, einem Diplom für besondere Klugheit, einem Herz am Bande, einer Krone und einem Ballonflug nach Kansas. Sehr zum Vergnügen der großen und der kleinen Zuschauern enttarnt Jan Kämmerer auch die Stimme des Herrschers von Oz, der mit einem Blecheimer noch ein paar magische Echos anklingen lässt.

In den Kostümen von Sandra Becker, die mit den tollen Requisiten im Bühnenbild von Britta Tönne so fantasievoll verwebt sind, begeistert die spielerische Fantasie des Schauspielteams, das die Figuren in diesem Bühnenabenteuer so wunderbar berührbar macht, dass man mit ihnen gerne weitere Abenteuer erleben möchte.red