„Wir stehen täglich vor neuen Herausforderungen“

Homeschooling wird an Schulen unterschiedlich vorgenommen / Direkter Kontakt fehlt / Lehrkräfte an den Belastungsgrenzen

Homeschooling in Form von Videokonferenzen anstatt Unterrichtsstunde: In vielen Schulen ist das derzeit nicht Standard, sondern Ausnahme. Was Lehrer anstatt dessen anstellen müssen, um ihre Schüler noch zu erreichen oder bei der Stange halten zu können, mit welchen Rahmenbedingungen, Belastungen und Ängsten sie dabei zu kämpfen haben, beschreibt unser Bericht.

Bad Gandersheim. Es könnte uns noch eine geraume Zeit erhalten bleiben, das Homeschooling. Die Aussichten, dass in den Schulen wieder Präsenzunterricht stattfindet – und sei es nur im Szenario B mit wechselnden Klassen – ist für die meisten Schüler derzeit nicht greifbar. Von Abiturjahrgängen und Abschlussklassen einmal abgesehen, bei denen es mindestens zeitweilige Präsenzpflichten gibt.

Es bleibt kompliziert. Kein Schüler- oder Lehrerjahrgang zuvor hat eine solch lange Phase ohne Schüler in der Schule erlebt. Und, da wir uns ja in einer Phase der fortschreitenden Digitalisierung befinden: Keine Lehrergeneration musste in so kurzer Zeit so viele Veränderungen stemmen. Wie geht es Schule und Lehrern damit nach einem Jahr Corona? Das Gandersheimer Kreisblatt hat sich umgehört und mit Betroffenen gesprochen.

Petra Dröge, Leiterin der Oberschule in Bad Gandersheim, bestätigte aus ihrer Sicht, das Homeschooling habe eine gute Struktur. Das entspräche auch der großen Mehrzahl an Rückmeldungen aus der Elternschaft. Mit den zur Verfügung stehenden digitalen Möglichkeiten erreiche die Schule viele Schüler, wenngleich sicher nicht alle. In dieser kleinen Gruppe fänden sich dann auch die Schüler, die wie jüngst im GK berichtet kinder- und jugendpsychiatrische Hilfe benötigten.

Die technischen Voraussetzungen, die immer wieder im Mittelpunkt von Kritik am Homeschooling stünden, seien nicht der Kern, so Dröge weiter. Natürlich gebe es Schüler, die mit einem schlechten Internetanschluss zu kämpfen hätten oder wo der Laptop mit Geschwistern geteilt werden müsse. Doch die Schule bietet neben dem digitalen Draht auch die direkte Möglichkeit, sich mit den Aufgabenzetteln direkt in der Schule zu versorgen. Von dieser Abholmöglichkeit werde auch Gebrauch gemacht, wusste Dröge zu berichten.

Lars Sommerfeld stellte einen typischen Wochenplan für das Distanzlernen zur Verfügung. Er startet täglich mit Sport-Übungen. Danach wechseln sich Aufgaben aller Fachbereiche ab. Die Aufgabenblätter werden den Schülern entweder über IServ digital oder eben zur Abholung bereitgestellt. Dabei, gestand Sommerfeld zu, habe es anfangs technische Probleme gegeben, die aber inzwischen gelöst seien.

Direkter Videounterricht, wie er an manchen Bildungsstätten als Ersatz des Präsenzunterrichtes üblich ist, findet an den Gandersheimer Schulen nur sehr vereinzelt statt. Das ließe sich, so Sommerfeld, auch organisatorisch nur sehr schwer umsetzen. Viele Lehrkräfte haben derzeit die Abschlussklassen im wechselnden Präsenzunterricht in der Schule, müssen also diese Klassen vor Ort betreuen. Dann noch Videounterrichtsstunden vorzubereiten und geben zu können, werde schnell zur Überforderung.

Zudem sei es ein Unterschied, ob man eine 9. Klasse so unterrichte, oder eine 5. Klasse an den Bildschirmen sitze. In den unteren Jahrgänge funktioniere das einfach so nicht, zumal daheim unterschiedlichste Voraussetzungen bewältigt werden müssten.

Drei Blöcke Aufgaben sind im gegenwärtigen Modell des Distanzlernens täglich vorgesehen. Diesen Plan bekommen die Schüler am Sonntag für die Woche zugeschickt und haben danach die Möglichkeit, ihn flexibel abzuarbeiten. Hilfe von den Eltern sei dabei in der Regel allenfalls nachmittags zu erhoffen.
Gerade darin liegt aber auch eine gewisse Gefahr, denn die gewohnten Strukturen des Unterrichtstages – frühes Aufstehen, um 7.40 Uhr in der Schule sein, Unterrichtsstunden bis zum Mittag und dann Hausaufgaben am Nachmittag, das alles ist seit Monaten aufgelöst. Viele Schüler, so Sommerfelds Erfahrungen, kommen damit gut klar, ein Teil allerdings, das sei unbestreitbar, erliege der Versuchung, den Tagesrhythmus auf den Kopf zu stellen.

Schwerer als im Präsenzunterricht umsetzbar sei der hohe Anspruch, niemanden zurückzulassen. Zudem werde das Arbeitsverhalten zum Problem, wenn die Aufgaben unregelmäßig oder gar nicht abgeliefert würden. Das sei bei rund zehn Prozent der Schüler derzeit der Fall. Das alles werde ohne Zweifel Einfluss auf die Leistungsniveaus der Klassen haben, so Sommerfeld. Die Schule richtet sich darauf ein, bei den Abschlussleistungen Abstriche machen zu müssen.

Neben dem allgemeinen Rahmen von Schule für Schüler wie Lehrer geht es auf der anderen Seite auch um die Frage, wie kommen die Pädagogen mit den überaus herausfordernden Umständen dieser Pandemie klar. Petra Dröge verwies hier zunächst darauf, dass die Lehrkräfte derzeit drei Schienen zu bespielen hätten: Die Versorgung der Abschlussklassen im Schulgebäude, das Homeschooling und – was viele aus dem Blick verloren haben – die weiter existierende Notbetreuung. In der Summe sei das sehr anstrengend.

Für die Notbetreuung ist daher nun auch externe Hilfe zugebilligt worden. Das Land habe die Möglichkeit geschaffen, dafür Minijobber einzustellen, und davon mache die Oberschule bereits Gebrauch. Das entlaste das Kollegium mindestens in diesem Part schon spürbar.

Die notwendigen innerstrukturellen Verlagerungen seien aber nur mit dem vorhandenen, großen Teamgeist zu stemmen gewesen. Und sie stellen die Lehrerschaft täglich immer wieder vor Herausforderungen, so Petra Dröge.

Mit den technischen Problemen kämpft auch Imke König. Die Gandersheimerin ist Lehrerin an einer weiterführenden Schule in der Region. Dort habe man sich dafür entschieden, das Distanzlernen in der normalen Schulstruktur zu gestalten. Das biete Vorteile, berge aber auch viele Herausforderungen, sagt sie dem GK.

Die Schule bietet die Möglichkeit, iPads dafür auszuleihen, um allen die technischen Grundanforderungen zu bieten. Leider nähmen schon das nicht alle Schüler an, sondern arbeiteten lieber auf ihren Smartphones. Damit aber sind Videokonferenzen nur sehr eingeschränkt möglich. Auch bei Familien mit sehr langsamen Internetanschlüssen funktioniert dies in der Regel nicht. So leide der Kontakt und in einigen Fällen sei der Anschluss sogar so schlecht, dass die Schüler auf die Abholmöglichkeit für ausgedruckte Aufgaben zurückgreifen müssen.

Vor allem aber, so König weiter, fehle ihr der direkte Kontakt mit den Schülern. Dies auch trotz der Möglichkeit, sich in den Videokonferenzen zu sehen. Ihrer Ansicht nach mache dies den schwächeren Schülern deutlich größere Probleme als den stärkeren. Als Lehrkraft passe sie die Aufgaben dem Leistungsstand an.

Trotzdem bemerke sie immer wieder, wie gerade den schwächeren Schülern der direkte Kontakt in der Schule fehle.
Wichtig sei ihr außerdem nach jeder Stunde, den Schülern Rückmeldung über ihre Arbeit zu geben, um sie motiviert zu halten. Sie erlebe dabei viel Dankbarkeit seitens der Schüler für eine solche Form der Wertschätzung. Andererseits sei das aber eben auch sehr zeitaufwändig.

Das spüre sie als Lehrkraft dann sehr in ihrer zweiten Aufgabe als Mutter von zwei Kindern im Kindergarten- und Krippenalter. Die Kinder mussten in den letzten Wochen aufgrund der Schließung der Kindertagesstätten daheim betreut werden. Eine sehr herausfordernde Doppelbelastung für Kinder wie Eltern, so Imke König. Am liebsten hätte sie sich manchmal zwischen Kinderbetreuung, Videokonferenzen, Absprachen, Rückmeldungen und anderen Aufgaben mehrfach geteilt.

Es sei eben nicht so einfach, wie es gern dargestellt werde: DIE Schule und DIE Lehrer kümmerten sich zu wenig. Als Lehrkraft kämpfe sie auf verlorenem Posten, wenn die Aufgabe, den Lockdown zu bewältigen, den Lehrkräften allein überlassen bleiben sollte, so König abschließend.

Natürlich würden sich alle Lehrer wünschen, endlich wieder einen geordneten Präsenzunterricht durchführen zu könne. Doch den Wunsch begleite untrennbar auch die Angst vor möglichen Infektionsgefahren, sagten Dröge und Sommerfeld in der Gandersheimer Oberschule dem GK. Impftermine für Lehrer seien noch lange nicht absehbar, und solange gehe der Schutz der Gesundheit vor. Schüler-entleerte Schulen werden also wohl noch eine Zeitlang der „Normalzustand“ bleiben.rah