Zu viele Kinderärzte praktizieren im Landkreis Goslar

Aussagen der Kassenärztlichen Vereinigung sorgen für Entsetzen / Eltern beklagen schwierige Situation

Liegt der Versorgungsgrad bei über 110 Prozent, wird der Bereich gesperrt. Im Landkreis Goslar lag die Quote im Jahr 2016 bei 165,1 Prozent. Heißt, kein neuer Kinderarzt kann sich hier niederlassen.

Region. Für die Eltern klingt es wie der blanke Hohn. Der Landkreis Goslar ist, was die Kinderärzte betrifft, überversorgt. Diese Aussage traf Dr. Thorsten Kleinschmidt, Vorsitzender des Bezirksausschusses der KVN-Bezirksstelle Braunschweig und niedergelassener Hausarzt in Braunschweig in Goslar im Rahmen der Podiumsdiskussion über den kindernotärztlichen Bereitschaftsdienst. Theorie und Praxis liegen hier ganz weit auseinander.

Acht Kinderärzte praktizieren im Landkreis Goslar. „Schon jetzt kümmern wir uns um weitaus mehr Patienten, als wir müssten“, schilderte der Bad Harzburger Kinderarzt Dr. Carsten Queißer bei der Diskussionsrunde seine Erfahrung. Mit Blick auf die Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit Stand vom 31. Dezember 2016 liegt der Landkreis Goslar bei 165,1 Prozent. Dr. Thorsten Kleinschmidt von der Braunschweiger Bezirksstelle Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) sprach Ende 2017 in Goslar von einer 156-prozentigen Versorgung bei den Kinderärzten. Heißt, zu viele Kinderärzte praktizieren im Landkreis Goslar. Mehr noch: Grundsätzlich wird ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent die Zulassung von neuen Kinderärzten in der Region gesperrt, ist auf der Internetseite der KBV zu finden. Zudem können sich in einem gesperrten Planungsbereich Ärzte und Psychotherapeuten grundsätzlich nur dann neu nieder- oder anstellen lassen, wenn ein anderer Arzt seine Zulassung zurückgibt und damit ein Arztsitz in der Fachgruppe frei wird. Ein Hohn für alle Eltern, denn die Realität sieht anders aus.

Weite Wege müssen sie in Kauf nehmen. In Hahausen fahren viele Eltern nach Salzgitter oder Goslar. „An einen Arztwechsel braucht man überhaupt nicht zu denken, das ist ein Ding der Unmöglichkeit“, schildert ein betroffener Vater aus Hahausen. Auch in Seesen nehmen viele weite Wege in Kauf, sogar bis nach Einbeck. Unzumutbar ist die Suche nach einem Kinderarzt auch für diejenigen, die neu in den Landkreis Goslar kommen. Mit Engelszungen musste zum Beispiel ein betroffener Goslarer Vater reden, mehrfach in der Praxis vorstellig werden. Bei den anderen überlastete Ärzten wurde er reihenweise abgewiesen. Schließlich klappte es doch mit dem Kinderarzt.

Unzumutbar sind die weiten Wege auch für diejenigen Eltern, die nicht mobil sind. Was beim kinderärztlichen Bereitschaftsdienst angeprangert wurde, hier müssen die Eltern im Landkreis Goslar ab sofort bis nach Braunschweig, Wolfsburg oder Salzgitter fahren, trifft bei der kinderärztlichen Versorgung auch zu.

„Die Berechnungen der KV mögen zwar rein statistisch gesehen korrekt sein, doch steht diesen Zahlen die subjektive Wahrnehmung der Patienten gegenüber“, mahnt Goslars Landrat Thomas Brych an. Auch er hört immer wieder von Klagen betroffener Eltern, dass es immer schwieriger wird, Termine bei Kinderärzten zu bekommen. „Dieser Umstand sei zwar in keinem Fall den praktizierenden Kinder- und Jugendmedizinern im Landkreis anzulasten, die einen hervorragenden Job machten, aber diese Wahrnehmung mache schon deutlich, dass es offenbar Lücken in der praktischen Versorgung gäbe“, mahnte Thomas Brych bei der 3. Gesundheitskonferenz des Landkreises Goslar an.

Fakt ist, an der derzeitigen Situation wird sich vermutlich so schnell nichts ändern. Nur wenn der Bedarfsplan, der die ärztliche Versorgung regelt, angepasst wird, besteht überhaupt eine Aussicht auf einen weiteren Kinderarzt. Doch wie bei solchen Plänen üblich, spielen hier verschiedene Faktoren mit hinein.

„Der Bedarfsplan ist das zentrale Instrument der Bedarfsplanung in den KV-Regionen. Er dokumentiert und analysiert den aktuellen Stand der Versorgung und leitet daraus – falls erforderlich – konkrete Maßnahmen ab“, heißt es dazu auf der Internetseite der KBV. Regionale Besonderheiten werden berücksichtigt. Diese ist unter anderem die Entwicklung der Bevölkerungszahlen. An diesem Plan arbeiten die Kassenärztlichen Vereinigungen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen mit. Darüber hinaus kann auf Landesebene ein sogenanntes 90a Gremium beziehungsweise ein Gemeinsames Landesgremium eingerichtet werden, das Stellung zum regionalen Bedarfsplan nehmen kann. Seit 2012 ist das möglich.

Eine Hoffnung gibt es vielleicht. „Der Bedarfsplan ist das Hauptinstrument, um regionale Versorgungsziele festzulegen und zu überprüfen. Er wird der Entwicklung regelmäßig angepasst“, heißt es bei der KBV. Schließlich vermelden die Asklepios Harzkliniken Goslar steigende Tendenzen bei den Geburtenzahlen. Im vergangenen Jahr wurden in Goslar 537 Kinder geboren. Zum Vergleich: 2016 waren es am Jahresende 513 Babys, 2015 betrug die Zahl 486. Auch all diese Eltern brauchen einen Kinderarzt. Angesichts der Schilderungen zahlreicher betroffener Eltern wird es vermutlich keine leichte Aufgabe, jemanden in der Nähe zu finden.syg