Von Gerd Weigel

Alle Wetter, dieser Tretter!

Kulturforum Seesen: Bei diesem Paradekabarettisten blieb nichts ungesagt und kein Auge trocken

Hinterließ bleibenden Eindruck beim Kulturforum Seesen: Mathias Tretter.

Seesen. Am Freitagabend hatte das Kulturforum Seesen mit der Verpflichtung von Mathias Tretter wieder mal einen Volltreffer gelandet. Alle haben ihr Fett abgekriegt, wer es auch sei, natürlich auch er selbst. Es ist immer ein schlauer Zug, wenn man dem Publikum zeigt, dass man auch gerne über sich selbst lachen lässt, bevor alle andern drankommen.

Die Szene auf dem Spielplatz, wo Tretter ein fremdes Mädchen für seine eigene Tochter hielt, weil er bislang noch nicht gemerkt hatte, dass er eine Brille benötigt. Erst die Antwort des kleinen Mädchens auf sein Angebot, mit ihm ein Eis essen zu gehen – „Ich darf nicht mit fremden Opas gehen“ – führte ihm vor Augen, was er gerne vor aller Welt verheimlicht hätte: seine verminderte Sehfähigkeit, die ihn letztlich zum Brillenträger gemacht hatte und seiner Meinung nach auch seine Männlichkeit und Libido beeinträchtigt. Dann bekannte er sich durch eindrucksvolle Beschreibung seiner manuellen Ungeschicklichkeit, die sich bereits im Kindergarten dadurch manifestiert hatte, anstatt eines Sternes, wie es die andern Kinder brav gefaltet hatten, bei ihm ein Meteorit herausgekommen sei, zum beidseitigen Linkshänder, von dem man den Eindruck hat, alle 20 Finger seien Daumen. Durch die Darstellung einer gewissen Jammerlappigkeit und erheblichen Empfindlichkeit bezüglich seiner eingebildeten Krankheiten erfand seine Frau das Trettern als Steigerung für Wehleidigkeit.

Dieser Dialog ließ bereits die Dämme brechen und hat – völlig zu Recht – das Publikum davon überzeugt, an diesem Abend in Seesen das einzig Richtige für gute Laune auf konstant hohem Niveau und mit erheblicher Nachhaltigkeit getan zu haben. Selbst einige Tage danach werden beim Lesen dieser Zeilen (hoffentlich) wieder Erinnerungen wach an die gekonnten Formulierungen, treffende Wortschöpfungen und sehr lustig überzogenen Schilderungen unserer bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Die überragende Darstellung von Helikoptereltern hat sicher manchem in der Grund-, Aus- und Weiterbildung unserer Kinder und Jugendlichen Tätigen aus der Seele gesprochen und lässt sie das nächste Mal nachsichtig lächeln, wenn ein aufgeregtes Elternteil pädagogisch ausgebildete Regenschirmbegleitung für die fünf Meter fordert, die das Kind vom SUV zur Kindergartentür gehen muss.

Auf hohem Spaßniveau ging es Schlag auf Schlag weiter. Nach ausreichenden Selbstbezichtigungen wurde der Paardialog zum Sprungbrett in die Gesellschaftskritik: Frau sein ist biologisch eine Auszeichnung aber sozial ein Handycap, wir (Frauen) sind unterdrückte Übermenschen. Das Verlangen nach dem Lippenstift seiner Frau konterte diese mit der Bemerkung, rote Farbe mache aus einem Twingo noch lange keinen Porsche.

Es folgte ein wahrer Pointenrausch, der konsequent mit bis zur Absurdität und darüber hinaus teils in Dialogszenen mit seinem besten Freund Ansgar Schwarz-Reifenstein, über den noch zu berichten ist, teils in Monologen jedes nur erdenkliche Thema angegangen wurde. Sei es die ausschweifende Rasiersucht, der heutzutage viele verfallen sind und die speziell Brillenträger in der Sauna zu erheblich missverständlichem Verhalten verleiten kann, seien es die toleranten, elektromobilitätsinclusionswindkraftveganer, oder nur das Fehlen des deutschen Spießers, den man nur noch unter Ausländern findet, weil die sich noch aufregen könnten. Die Liste ist unvollständig, aber repräsentativ.

Ja, Freund Ansgar. Studierter, promovierter und habilitierter Philosoph, der seine Stelle als Hausmeister an der Universität als „Facility Manager“ wahrnimmt, gelegentlich wird auch Juniorprofessur daraus.

Beim gemeinsamen „windowing“, dieser schönen, alten Sitte, sich jegliches Treiben auf der Straße, so zum Beispiel auch die Love Parade, gemütlich im Fenster auf ein Daunenkissen gestützt anzusehen und zu kommentieren, werden in tiefstem Fränkisch Themen aller Art gewälzt und in bester Kabarettistenmanier beleuchtet. Urbaner Denunziationsbuddhismus! Nicht mehr www (worldwideweb) sondern DDD (Doppelripp, Daunenkissen und Dosenbier)! Jetzt wird auch das Geheimnis des Titels POP gelüftet, denn der tiefsinnige Professor-Hausmeister hat die Gründungsversammlung der Partei ohne Partei geplant und versucht seinen Freund Mathias als Referenten zu gewinnen.

Das frängische Idiom, das jedes p zum b werden lässt, bringt zwar kein Tempo, aber noch mehr Schwung in die Unterhaltung. So wird unter anderem der IS gehörig zurechtgestutzt, sei es durch die Aussicht auf eine kleidervorschriftskorrekte Modenschau, sei es durch Darstellung der Welt, nachdem alle Ungläubigen eliminiert wurden. Überhaupt stellt die POP jegliche Religion in Frage. Der Atheismus habe noch nie jemand umgebracht, auch keine Frau verbrannt und wird deshalb als Weltanschauung der Wahl gepriesen. Unter anderem wird gewettert, dass heutzutage der Bericht über jemanden, der übers Wasser gehen und auch ohne jegliche Hilfsmittel Brot vermehren könne, mit einer sofortigen Einweisung in die Psychiatrie sanktioniert werde. Wenn das aber sehr Viele seien, dann müsse man sogar noch dafür Steuer bezahlen.

Die abschließende „Bardeidagsrede“ war das letzte Highlight der an Höhepunkten reichen Veranstaltung und versicherte dem vergnügten Publikum, dass man aus Langenstadt (oder Laugenstadt? Immerhin gibt’s in Franken ja Brezeln) an der Durlach noch viel hören werde. Ich freue mich schon darauf, baldmöglichst wieder betrettert zu werden.

Allen Lesern, deren Neugierde durch die obigen Zeilen etwas geweckt werden konnte, ist zu empfehlen, ja keine Veranstaltung des Kulturforums mehr zu versäumen.red