Am 1. Mai ist erstmals in Seesen der islamische Gebetsruf des Muezzins zu hören

Grund für den Antrag der Gemeinde ist die Corona-Krise / Diese bringt die Pläne des neuen 1. Vorsitzenden gehörig durcheinander

Mehmet Fatih Dalkilinc, 1. Vorsitzender des DITIB Türkisch Islamische Kultur Vereins, erklärt die elektronische Anzeigetafel, die im Gebetsram auf die Gebetszeiten hinweisen.

Seesen. Für alle Gläubigen ist es derzeit nicht einfach, aufgrund der Corona-Pandemie sind Gottesdienste und gemeinsames Beten untersagt. Konfessionsübergreifend. Für Mehmet Fatih Dalkilinc, 1. Vorsitzender des DITIB Türkisch Islamische Kultur Vereins, nunmehr ein Grund, einen in der Historie der Stadt Seesen ungewöhnlichen Schritt zu gehen. Er beantragte bei der Stadtverwaltung, dass der Gebetsruf des Muezzins ausgerufen werden darf. „Wir haben dies erlaubt und uns an die Vorgaben des Landkreises Goslars gehalten“, so Stadtsprecherin Beatrice-Arianne Dziuba. Die Premiere gibt es am kommenden Freitag, 1. Mai, um 14.30 Uhr.

Etwas unscheinbar in einem Fachwerkhaus liegt die Mevlana Camii Moschee in Seesen, zu finden in der Straße Sack unweit des Gerätehauses der Seesener Feuerwehr. Einige Männer sind vor Ort, an verschiedenen Ecken wird gewerkelt. „Wir nutzen die Zeit, um Ausbesserungsarbeiten vorzunehmen“, berichtet Mehmet Fatih Dalkilinc. So erhält unter anderem das seitliche Tor einen dunkelroten Farbanstrich. Seit November 2019 ist er der neue 1. Vorsitzende dieser islamischen Gemeinde in Seesen. Viel will er erreichen, vor allem anders als seine Vorgänger mehr in die Öffentlichkeit gehen. Mehmet Fatih Dalkilinc bedauert im Gespräch mehrfach, dass dieser Weg bisher nicht beschritten wurde, sich die Gemeinde in der Vergangenheit ein Stück weit abgekapselt hat. „Ein Dialog mit den anderen ist unheimlich wichtig“, betont er. So schweben ihm beispielsweise gemeinsame Aktionen mit der evangelischen Kirche vor, um etwaige Widerstände abzubauen.

Der 1. Vorsitzende lebt seit 1980 in der Sehusastadt, ist hier aufgewachsen, arbeitet als Obst- und Gemüsehändler auf dem Wochenmarkt. „Ich war bisher Gemeindemitglied, jetzt eben der neue 1. Vorsitzende, von den anderen gewählt“, berichtet er. Auch Verbindungen zur Stadt Seesen will er knüpfen. Starten wollte der 1. Vorsitzende im März, dann kam die Corona-Krise.

Die Gemeinde will erst einmal schauen, wie die Reaktionen in der Bevölkerung sind. Deshalb gilt die Genehmigung erst einmal für diesen (1. Mai) und den nächsten Freitag (8. Mai). Traditionell ruft der Muezzin fünfmal täglich zum gemeinschaftlichen Gebet, es stellt die fünf Säulen des Islam dar. Eine elektronische Anzeigentafel im  Seesener Gebetsraum, zu finden im Erdgeschoss, zeigt die einzelnen Zeiten an. 13.24 Uhr ist unter anderem darauf zu lesen. Für den besonderen Tag wird etwas abgewichen, berichtet Mehmet Fatih Dalkilinc. In Seesen darf der Gebetsruf ausschließlich am Freitag in der Zeit zwischen 14 und 15 Uhr für maximal fünf Minuten ausgerufen werden. Die Gemeinde hat sich aus gutem Grund für 14.30 Uhr entschieden, damit auch all jene, die Frühschicht haben, dabei sein können. „Der Ausruf dient den Gemeindemitgliedern als Glaubensbekenntnis und Manifestation der Religion und fällt somit in den Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit – ähnlich wie das Glockengeläut der Kirchen“, unterstreicht die Seesener Stadtsprecherin. Zugleich weist sie in diesem Zusammenhang auf die negative Religionsfreiheit, also das Recht eines jeden, nicht zur Teilnahme an religiösen Handlungen gezwungen zu werden, die dem ganzen gegenübersteht, hin. „In diesem speziellen Fall unter Berücksichtigung der Maßnahmen, zum Beispiel die Einhaltung einer maximalen Lautstärke von 50 Dezibel, steht die negative Religionsfreiheit hinter der Freiheit der Religionsausübung zurück“, heißt es in der Mitteilung aus dem Rathaus.
Damit der Ruf des Muezzins am kommenden Freitag von der Mevlana Camii Moschee auch nach draußen dringen kann, werden zwei Fenster des Gebetsraumes im Erdgeschoss geöffnet und dort ein Lautsprecher aufgestellt.

Gut 100 Mitglieder gehören dem hiesigen DITIB Türkisch Islamische Kultur Verein an, sie kommen nicht nur aus Seesen, sondern beispielsweise auch aus Bad Gandersheim und aus Lamspringe. „Selbstverständlich gehören auch Frauen dazu“, erzählt Mehmet Fatih Dalkilinc. Er ist gespannt, wie diese Neuerung ankommt.syg