Asklepios-Geschäftsführung wirft ver.di Patientengefährdung vor

Die verbale Auseinandersetzung im Seesener Tarifvertragsstreit erreicht eine neue Stufe

Am vergangenen Mittwoch zeigten die Beschäftigten auf dem Klinikgelände Flagge. An diesem Tag meldete sich eine Kollegin, die für den Notdienst eingeteilt war, krank. Wie damit umgegangen wurde, darüber gibt es nun eine verbale Auseinandersetzung.

Seesen. Der zweite längere Streik nach der coronabedingten Zwangspause ist seit vergangenen Mittwoch Geschichte. Nach Streikkonferenz im Steinway-Park und einer Aktion in der Seesener Innenstadt gaben die Asklepios-Beschäftigten, die dem ver.di-Aufruf gefolgt sind, am letzten Tag noch einmal alles. Gut 50 Personen zeigten am Mittwochmittag nochmal auf dem Krankenhausgelände Flagge. Erst wurde an der Klinikeinfahrt Streikposten bezogen, danach haben sie sich vor den Haupteingang positioniert.„Die Streikenden haben den notdienstleistenden Kollegen lautstark mit Applaus und Trillerpfeifen für ihren Dienst am Patienten gedankt“, heißt es dazu. Genau dieser Notdienst schürt aktuell das Feuer der Auseinandersetzung um den Start von Verhandlungen in Anlehnung an den öffentlichen Dienst massiv. Mehr noch, die Auseinandersetzung zwischen ver.di und der Asklepios-Geschäftsführung erreicht – neutral betrachtet – eine bisher noch nicht dagewesene Eskalationsstufe. Nicht nur der Ton wird hier noch schärfer, sondern jetzt steht sogar das Patientenwohl samt Gefährdung im Raum, die aber noch abgewendet werden konnte.

Der Schlagabtausch in puncto unterschiedlicher Sichtweisen auf die Anzahl der Beteiligten ist bekannt. Erneut spricht die Geschäftsführung von niedrigem Niveau. So sollen es am Mittwoch nur 98 gewesen sein. Ver.di lobt dagegen die hohe Beteiligung trotz Urlaub und der Sommerferien. Das erhitzt die Gemüter nicht zusätzlich, sondern ein Vorfall am Mittwoch, den Sebastian von der Haar, Geschäftsführer der Asklepios Kliniken in Seesen, wie folgt schildert. Dabei kritisiert er das Verhalten der Gewerkschaft ver.di scharf: „Wir hatten leider krankheitsbedingte Mitarbeiter-Ausfälle, die Gewerkschaft hat dies aber weder bemerkt noch ausgeglichen“. Und er wird konkreter; in dem betroffenen Bereich waren wir uns sogar mit ver.di über die Besetzung einig, hier gab es keinen Dissens, keine Meinungsverschiedenheit bei den Besetzungsplänen. Erst auf telefonischen Hinweis ist ver.di hier tätig geworden und hat dann sogar noch die organisatorische Verantwortung abgelehnt, entgegen ihrer vorher verteilten Flugblätter. Nur durch den Einsatz von Kollegen konnte die Versorgung sichergestellt werden, eine Patientengefährdung bestand glücklicherweise durch das schnelle Handeln der Führungskräfte zu keiner Zeit“. Daher hat die Leitung laut von der Haar die von ver.di kritisierte Notdienstverpflichtung ausgesprochen und umgesetzt.

Zur Einordnung: Während bei einem Streik im Betrieb auch die Produktion still gelegt werden kann, sieht es im Krankenhaus anders aus. Die Verantwortung für die Patienten bleibt, deshalb versuchen Gewerkschaft und die Geschäftsführung sich im Vorfeld auf eine Notdienstvereinbarung zu einigen. Diese regelt unter anderem wie die personelle Besetzung auf den einzelnen Stationen aussieht. Einmal mehr kamen beide Seiten in dem Punkt nicht zusammen. Solch eine Notdienstvereinbarung scheiterte laut dem ver.di-Generalsekretär Jens Havemann in Seesen aber an den absurden Bedingungen, die der Gesundheitskonzern für ein Zustandekommen aufstellt. Streikbruchprämie oder die Order, sich morgens zum Dienst zu melden und der Arbeitgeber entscheidet, wer streiken darf, mahnten sie in der Vergangenheit hier schon mehrfach an.

Wer dann für die Arbeitsorganisation zuständig ist, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten, die zum heftigen Schlagabtausch führen. Die Geschäftsführung sagt ver.di. „Rechtlich ist die Gewerkschaft, wie sie selbst immer sagt, für die Streikorganisation verantwortlich, allein die Verantwortung will sie dafür nicht tragen“, prangert Geschäftsführer Sebastian von der Haar an. Er sieht den aktuellen Fall als klaren Beleg dafür, „dass die Gewerkschaft weder Rücksicht auf das Wohl der Patienten nimmt, noch will sie irgendeine Verantwortung tragen. Nicht einmal die Umsetzung der Besetzung hat sie kontrolliert, das ist mehr als fahrlässig“, so von der Haar.

Die Gewerkschaft ist im Rahmen des notgedrungen von ihr einseitig erklärten Notdienstes selbstverständlich zur bestmöglichen Kooperation bereit. Genau so soll es laut Mitteilung auch am besagten Streiktag erfolgt sein, als eine zum Notdienst eingeteilte Kollegin erkrankte. „Wir haben sofort reagiert: Nachdem wir von der Geschäftsführung um 10.13 Uhr über den genauen Sachverhalt unterrichtet wurden, haben wir umgehend mit dem Verantwortlichen der betroffenen Abteilung Kontakt aufgenommen und der Geschäftsführung um 10.31 Uhr die Klärung der akuten Situation mitgeteilt“, schildert Jens Havemann.

Die Gewerkschaft sieht in puncto Arbeitsabläufe am Streiktag klar Asklepios in der Pflicht: „Die Verantwortung für die Arbeitsorganisation liegt auch im Streikfall beim Arbeitgeber, vor allem wenn keine Notdienstvereinbarung zu Stande kommt“, unterstreicht der ver.di-Generalsekretär Jens Havemann auf Anfrage. Bereits in der Zusammenstellung der Gewerkschaft zum Thema „Stichworte im Arbeitskampfrecht“ – im Internet abrufbar – ist das nachzulesen. „Bietet ver.di rechtzeitig den Abschluss erforderlicher Notdienstvereinbarungen an und weigert sich der Arbeitgeber grundsätzlich, entsprechende Vereinbarungen abzuschließen beziehungsweise hält er die Durchführung von Notdienstarbeiten nicht für erforderlich, trägt der Arbeitgeber das Risiko, wenn bei Streikbeginn die streikwilligen Arbeitnehmer den Betrieb verlassen ohne dass eine möglicherweise erforderliche Notdienstvorsorge getroffen werden konnte“.

Havemann schießt den Ball zurück, der ja seit dem vergangenen Montag weiter im Spiel ist, der „Beobachter“ berichtete. Mehr noch, auch er findet deutliche Worte. „Nun scheint die lokale Geschäftsführung in Seesen mächtig unter Druck zu geraten und wirft mit unhaltbaren und absurden Anschuldigungen um sich. Wir erkennen ein vollkommenes Scheitern der Geschäftsführung“, äußert sich Havemann. Zumal es Alltag in Kliniken sei, auf Krankheitsfälle der Mitarbeiter zu reagieren.

Ferner hat die Gewerkschaft erklärt, dass nicht der Arbeitgeber gegenüber den einzelnen Beschäftigten ihr Streikrecht einschränken und sie einseitig zum Notdienst zwingen kann, sondern dass dies nur nach vorheriger Abstimmung des Arbeitgebers mit der Gewerkschaft geschehen kann. Diese Klarstellung ist notwendig, weil Asklepios wiederholt Beschäftigte bei Ausübung ihres Streikrechtes mit Kündigung bedroht, obwohl sie gar nicht zum Notdienst eingeteilt waren. Insofern sind nicht die einzelnen Beschäftigten individualrechtlich für die Sicherstellung des Notdienstes verantwortlich, sondern immer der Arbeitgeber in Absprache mit der Streikleitung von ver.di.

Einen heißen Herbst hat ver.di bereits ankündigt, die hitzigen Gemüter wird das definitiv nicht abkühlen.syg