Asklepios Kliniken Schildautal: In der Krise wenig Kommunikation

Prof. Jan Ortlepp und Prof. Ralf Becker verlassen Seesen / Klinikführung schweigt / Mitarbeiter besorgt

Seesen. Wie ist es aktuell um die Asklepios Kliniken Schildautal in Seesen bestellt? Diese Frage stellt sich spätestens nach dem überraschenden Rückzug des Ärztlichen Direktors der Kliniken Schildautal, Prof. Dr. Jan R. Ortlepp, der am Montag mit sofortiger Wirkung von seinem Posten zurückgetreten war. Bekannt ist mittlerweile auch, dass Ortlepp Seesen den Rücken kehren will und damit Asklepios mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verlässt. Diese Information bestätigten gestern zunächst unabhängig voneinander mehrere Mitarbeiter aus dem engeren Umfeld gegenüber dem „Beobachter”. Auch hatte Ortlepp eine interne E-Mail an seine Mitarbeiter gesendet.

In einem ersten Gespräch hatte am Montagnachmittag der Geschäftsführer der Kliniken in Seesen, Joachim Kröger, die Nachricht des Rückzuges des Ärztlichen Direktors bestätigt. Weitere Details sollten dann am Dienstag nach Absprache zwischen Kröger und Prof. Dr. Ortlepp erfolgen. Dazu kam es dann jedoch nicht. Mehrmalige Versuche, Informationen aus erster Hand zu erhalten, blieben zumindestens bis Redaktionsschluss nicht von Erfolg gekrönt. Auch Prof. Dr. Ortlepp selbst war nicht für eine Stellungnahme bereit. Er ließ über sein Sekretariat lediglich mitteilen, dass er in dieser Angelegenheit keinerlei  Statement abgeben möchte.

Kontaktiert hat der „Beobachter” am Dienstag auch den Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie, Prof. Dr. Ralf Becker, und Prof. Dr. Mark Obermann als Direktor des Zentrums für Neurologie. Allen voran, weil es Andeutungen gibt, dass weitere Ärzte in exponierter Stellung dem Klinikstandort Seesen den Rücken kehren werden. Darauf angesprochen, erklärte Prof. Becker, dass er sich allenfalls zu gegebener Zeit äußern werde. Ein Dementi klingt anders. Am späten Nachmittag dann erfolgte bereits die Nachricht des Pressesprechers von Asklepios in Hamburg, „dass Prof. Ralf Becker und Prof. Dr. Ortlepp unsere Klinik verlassen wollen und Prof. Ortlepp seine Funktion als Ärztlicher Direktor niedergelegt hat.”

Überrascht von den jüngsten Entwicklungen zeigte sich indes Prof. Dr. Mark Obermann, der gegenüber dem „Beobachter” erklärte, dass es für ihn grundsätzlich keinen Plan gebe, Seesen den Rücken zu kehren.

Was ist überhaupt vorgefallen, dass seit geraumer Zeit immer mehr Fingerzeige in Richtung Asklepios in Seesen gehen, mit der Botschaft, dass es um die Versorgung der Patienten nicht mehr zum Besten steht? Von Überlastung des Personals ist die Rede, zu wenig Pflegekräfte für zu viele Patienten. An der Stelle hört man das immer nur inoffiziell und aus dem Bereich des Pflegepersonals. Offizielle Auskünfte gab und gibt es von der Klinikleitung bislang nicht.
Derlei Krisenkommunikation öffnet den Raum für Spekulationen. Um überhaupt verwertbare Informationen zu erhalten, hat der „Beobachter” mit mehreren Beschäftigen aus der Klinik gesprochen, die allesamt den Wunsch äußerten, anonym zu bleiben.

„Wir sind aktuell sehr verunsichert, es hat den Anschein, als wenn die oberste Führung die Klinik an die Wand fährt”, sagte ein langjähriger Mitarbeiter im Gespräch mit unserer Zeitung. Den Satz „An die Wand fahren” hat der „Beobachter” gestern gleich in mehreren Gesprächen vernommen.
Gemeint ist damit offenkundig die neue Leitung der Kliniken in Seesen. Zum Hinterund: Stefan Menzel, seit dem Jahr 2010 Geschäftsführer der Asklepios Kliniken Schildautal Seesen, hatte Anfang des Jahres nach vielen Jahren um eine vorzeitige Aufhebung seines Vertrages gebeten, um sich anderen Aufgaben zu widmen.

Die Konzerngeschäftsführung hatte seinerzeit seinem Wunsch entsprochen. In diesem Zuge wurde Adelheid May zusätzlich zu ihren Aufgaben als Geschäftsführerin der Asklepios Harzkliniken GmbH mit den Standorten Goslar, Clausthal-Zellerfeld und Bad Harzburg auch Regionalgeschäftsführerin in der Harzregion in Niedersachsen und ist seither auch für Seesen zuständig.

„Professor Dr. Jan Ortlepp wird die Kliniken auf eigenen Wunsch verlassen.”

Adelheid May selbst wollte sich auf Anfrage des „Beobachter” zu den Geschehnissen in Seesen gestern ebenfalls nicht äußern. Sie verwies wiederum auf Asklepios-Pressesprecher Rune Hoffmann in Hamburg. Auch an Hoffmann hatte sich der „Beobachter” gewandt, und um eine Stellungnahme gebeten. Dieser hatte nach eigener Aussage erst am Dienstagmorgen von den „Geschehnissen” in Seesen erfahren. „Professor Dr. Jan Ortlepp wird das Krankenhaus auf eigenen Wunsch verlassen”, so Hoffmann im ersten Telefongespräch. Zu den Gründen werde sich das Unternehmen, da es eine personelle Angelegenheit ist, grundsätzlich nicht äußern. Darauf wies Rune Hoffmann noch einmal explizit hin.

Von den aktuellen Entwicklungen in den Seesener Kliniken hatte gestern auch Goslars Landrat Thomas Brych erfahren. „Persönlich empfinde ich es als höchst bedauerlich, dass eine anerkannte Persönlichkeit wie Professor Dr. Jan Ortlepp die Position des Ärztlichen Direktors in den Asklepios Kliniken Schildautal künftig nicht mehr bekleiden wird. In Ermangelung ausreichender Kenntnisse zu den genauen Umständen, bitte ich jedoch um Verständnis, dass ich mich mit einer Bewertung zurückhalte“, äußerte sich Thomas Brych auf Anfrage am Vormittag.

Offen ist noch, ob das Thema in der Kreisausschusssitzung in der kommenden Woche behandelt wird. „Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass dies im Zusammenhang mit den von der Politik gestellten Anträgen zumindest zur Sprache kommt”, fügte der Landrat an.

Wie der „Beobachter” bereits berichtete, hatten die Entwicklungen in den Asklepios Harzkliniken auch die Politik erfasst. Seitens der Fraktionen wurden im Kreistag vier Dringlichkeitsanträge gestellt, die nun genauer behandelt werden sollen. Getagt wird am kommenden Montag, 27. November, um 16 Uhr. Die Sitzung ist nicht-öffentlich.

Zurück nach Seesen. Schon seit geraumer Zeit hatten Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand mehr und mehr über immer größere Probleme im Bereich der Pflege berichtet. Zwischenzeitlich war nach „Beobachter”-Informationen auch eine Station komplett geschlossen, weil kein Pflegepersonal mehr zur Verfügung stand. Patienten hätten entweder umverlegt werden müssen oder wurden entlassen. Hiebei handelte es sich um die Station 42, eine interdisziplinäre Station für Neurologie, Gefäßchirurgie und Neurochirurgie und Allgemeinchirurgie.

Seesener Kliniken haben seit Jahren einen hervorragenden Ruf in ganz Deutschland

Dass die Seesener Kliniken, die über Jahre als eine der besten Rehakliniken Deutschlands galten, nun plötzlich um ihren guten Ruf bangen müssen, ist eine Entwicklung, die für Seesen höchst unerfreulich ist. Ein langjähriger Mitarbeiter der Klinik wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass seit geraumer Zeit keine oder nur wenige neue Mitarbeiter eingestellt werden, obwohl sie doch dringen benötigt werden.
Tief besorgt ob der neuen Entwicklung zeigten sich gestern zumindest der ehemalige Landtagsabgeordnete Rudolf Götz (CDU) und die wiedergewählte SPD-Abgeordnete Petra Emmerich-Kopatsch. Sie wollten sich indes noch nicht äußern, eben auch, weil relativ wenig nach außen dringt. Rudolf Götz hatte in seinem Umfeld davon gehört, dass weitere Ärzte aufgrund der aktuellen Entwicklungen Seesen verlassen werden. Wie hoch die Zahl ist, sei an der Stelle zweitrangig.

Ergänzend zu der Information, dass die beiden Professoren Ortlepp und Becker das Haus verlassen wollen, hieß es aus Hamburg gestern Nachmittag: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu den persönlichen Motiven der Herren nicht äußern können. Wir werden die Funktionen entsprechend nachbesetzen und eine geordnete Übergabe der Aufgaben organisieren. Einen genauen Zeitpunkt zu dem die Herren unser Haus verlassen wollen, gibt es aktuell noch nicht. Beide werden ihre Funktionen als Chefärzte bis auf weiteres wahrnehmen und stehen bis auf weiteres uneingeschränkt für ihre Patienten zur Verfügung.” Soweit die offizielle Verlautbarung.

Wenn inzwischen sogar die Rede davon ist, dass in absehbarer Zeit fast ein Dutzend Ärzte den Standort Seesen verlassen werden, dann dürften die Alarmglocken aber mehr als schrillen. Aktuell gilt es erst einmal, weiter Licht ins Dunkel zu bringen. Hintergründe sind bislang kaum bekannt. Der „Beobachter” wird weiter über die aktuelle Entwicklung bei Asklepios am Standort Seesen berichten.uk/sg