Der Fall Wendt erhitzt trotz Urteil aktuell wieder ganz stark die Gemüter

SPD fordert Aufklärung über den entstandenen Schaden für die Stadt Seesen / Bürgermeister Erik Homann sieht die haltlosen Vorwürfe als schädlich an / Rudolf Götz weist Anschuldigung der Sozialdemokraten zurück

Seesen/Münchehof. Zehn Wochen sind seit dem Urteilsspruch am Landgericht Braunschweig vergangen. Zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft wurde Sabine Wendt, die ehemalige Leiterin des DRK-Kindergartens in Münchehof, wegen Untreue in 333 Fällen und in zehn Betrugsfällen verurteilt. Rechtskräftig ist es noch nicht, sie strebt eine Revision an. Nicht dieser Fakt, sondern eine andere Sache im Zusammenhang mit dem Fall erhitzt derzeit die Gemüter. Dabei geht es um weitere Aufklärung, speziell um die Frage:  Wie hoch ist der entstandene Schaden für die Stadt Seesen?

Stadt Seesen zahlt an den Einrichtungsträger

Die 57-Jährige hatte von Mai 2014 bis September 2019 insgesamt 370.000 Euro vom Kindergartenkonto für private Zwecke abgezweigt. Bekanntlich ist die Finanzierung eines Kindergartens dreigeteilt: Die Kosten tragen das Land Niedersachsen, die Stadt Seesen und die Eltern (seit dem Kindergartenjahr 2018/2019 nur noch für die Krippenkinder). Die Stadt Seesen hat mit dem Träger, in diesem Fall der DRK-Ortsverein Münchehof, eine sogenannte Rahmenvereinbarung, die die Grundlage für die Zahlung bildet, geschlossen. Die Kommune überweist pro betreutem Kind einen gewissen Betrag. Sollte darüber hinaus der Fall eintreten, dass die Kosten über das vereinbarte Limit gehen, zahlt die Stadt Seesen den Differenzbetrag. Heißt, sollten durch Sabine Wendts Handeln höhere Kosten entstanden sein, dann hätte die Stadt diese beglichten. Und hier wollen die Sozialdemokraten Aufklärung.

Bereits vor über sechs Wochen, nach Vorlage des Urteils, hat die SPD-Fraktion eine Anfrage an den Bürgermeister gestellt. „Mit dieser wollten wir unter anderem klären, welche Schäden der Stadt Seesen durch die Taten von Frau Wendt tatsächlich entstanden sind“, äußert sich die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Melone. In der Mitteilung der SPD heißt es dazu weiter:  Es muss doch aufgezeigt werden, welche Steuergelder – und damit Gelder der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Seesen – dem DRK Münchehof unrechtmäßig zugeflossen sind. „Hier wird es wohl nicht zu vermeiden sein, schon wegen der Schadenshöhe anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um auch alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen“, so SPD-Fraktionsmitglied Bernd Dittmann.

Verwaltung sieht haltlose Vorwürfe als schädlich an

Keine Transparenz für die Öffentlichkeit und keine Nachricht – auch an die Bevölkerung – zum Stand der Dinge, das prangern die Sozialdemokraten an. Diese Äußerungen seitens der SPD-Stadtratsfraktion sorgte am gestrigen Freitag für eine Reaktion aus dem Seesener Rathaus, in Form einer Pressemitteilung unter der Überschrift: „Verwaltung: Haltlose Vorwürfe sind schädlich“. Verwiesen wird darin auf die vergangenen Sitzungen des Verwaltungsausschusses, zu denen alle Ratsmitglieder dürfen, auch wenn sie nicht dem Ausschusses angehören. Zur Einordnung: Diese sind alle nicht öffentlich.

„Neben Bürgermeister Erik Homann, der in der Sitzung bereits eine Drucksache zur Beauftragung der Rechtsanwälte von der Kanzlei Armedis vorlegte, informierte auch Anwalt Stephan Barz über verschiedene Möglichkeiten der Schadensersatzforderung gegenüber dem DRK-Ortsverein Münchehof und beantwortete Fragen der Politiker. Aufgrund der umfangreichen Informationen baten die Politiker um eine gesonderte Sitzung des Verwaltungsausschusses, in der sich ausschließlich mit diesem Thema befasst wird. Selbstverständlich kommt Bürgermeister Homann dem Wunsch nach und beruft zur detaillierteren Vertiefung der Angelegenheit einen weiteren Termin ein“, hieß es am Freitag.

Darüber hinaus informierte, laut Mitteilung, das Verwaltungsoberhaupt die Mitglieder des Verwaltungsausschusses regelmäßig über den aktuellen Verfahrensstand – zum Beispiel in den Sitzungen am 10. März und am 14. April diesen Jahres – und darüber, dass es erst im Anschluss an das Urteil um die finanzielle Wiedergutmachung seitens des DRK Ortsvereins gegenüber der Stadt Seesen gehen kann. Auch dass die Ermittlung des entstandenen Schadens aufgrund noch nicht freigegebener Akten durch das Gericht noch nicht beendet ist, ist allen Politikern hinlänglich bekannt. „Vor diesem Hintergrund sind diese Vorwürfe gegenüber unseren Verwaltungsmitarbeitern unbegründet und absolut schädlich für das gesamte Klima. Natürlich befinden wir uns im Wahlkampf, dieser sollte jedoch nicht aus haltlosen Vorwürfen bestehen“, macht Bürgermeister Erik Homann deutlich.

SPD fordert unabhängige Kanzlei von außerhalb

Fakt ist, für die Sozialdemokraten hat die Handlungsweise der Verwaltung ein Geschmäckle. „Die SPD-Fraktion vertritt die Ansicht, dass schon aus Gründen der Unabhängigkeit und Neutralität aber auch der Sensibilität der Angelegenheit mit der Geltendmachung der Forderungen in diesem Fall eine auswärtige Anwaltskanzlei beauftragt werden sollte“, heißt es. Bekanntlich ist in der Kanzlei Armedis Homanns Ehefrau Christiane als Anwältin tätig.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte ein Ermittlungsverfahren gegen Bürgermeister Erik Homann bezüglich der im Raum stehenden versuchten Strafvereitelung im Fall Wendt geführt. Dieses wurde im April 2020 „vollumfänglich eingestellt“. Darüber hinaus war Anwalt Stephan Barz, der laut Homann in der nicht-öffentlichen Sitzung informiert hat, bis 2018 Präsident des Goslarer DRK-Kreisverbandes. Er trat vor drei Jahren aus persönlichen  Gründen zurück, seitdem ist der Posten beim DRK-Kreisverband vakant. Träger des Münchehöfer Kindergartens ist der DRK-Ortsverein Münchehof, der zum Goslarer Verband gehört.

In Richtung der CDU/FDP-Gruppe äußert sich die SPD, dass diese „ihrerseits augenscheinlich nur geringes Interesse an der Aufarbeitung und öffentlichen Aufklärung im Fall Wendt zeigt. „Das empfinde ich als äußerst bedauerlich, denn als noch stärkste Gruppe im Rat hätte sie viel größere Transparenz und entschlossene Aufklärung herbeiführen können und müssen“, so Andrea Melone. Auch sie sollten sich laut Melone für eine unabhängige und neutrale Aufarbeitung einsetzen.

CDU/FDP-Gruppe sieht Aufgabe bei der Verwaltung

Die Vorwürfe kann Rudolf Götz, Vorsitzender der CDU/FDP-Gruppe im Stadtrat, auf Anfrage nicht nachvollziehen. „Wir sind Mitglieder des Stadtrates und nicht der Verwaltung, dieser obliegt die Aufklärung. Ich fühle mich umfassend über den Stand der Dinge durch die Verwaltungsausschusssitzungen informiert“, so der Sprecher der Gruppe. Zumal auch er betont, wie komplex diese Sache ist. Jedoch betont auch er, dass eine vollumfängliche Aufarbeitung und Schadensermittlung erfolgen muss.

Fakt ist, die von Bürgermeister Erik Homann anberaumte, zusätzliche Ausschusssitzung zum DRK-Kindergarten ist für Dienstag, 15. Juni, um 16 Uhr in der Aula terminiert. Nicht öffentlich.syg