Der Sinn von Kontaktsperren: „Wir haben es in der Hand, wohin der Weg geht“

Verschärfung der Niedersächsischen Verordnung macht viel Sinn – wenn man die Zusammenhänge erkennt

Seit Sonnabend wieder erlaubt: Blumenkauf oder der Besuch beim Gartenmarkt. Gebrauch gemacht werden sollte davon aber sehr zurückhaltend und umsichtig. Oft war das genaue Gegenteil davon der Fall. In Seesen beim Hagebaumarkt ging es am Sonnabendnachmittag weitestgehend geordnet zu. Der Parkplatz war restlos voll mit Autos.

Seesen. Für die einen Freude, für die anderen unverständlich: Die Wiederfreigabe der Öffnung von Blumenläden, Gartencentern und Baumärkten am Sonnabend ist bei den Menschen in Bad Gandersheim und Umgebung auf geteiltes Echo gestoßen. Während die einen die Lockerung begrüßten, gab es auf der anderen Seite breites Unverständnis gegenüber dieser Maßnahme, die nach ihrer Meinung nicht vereinbar sei mit den gleichzeitig weiter geltenden und teils noch verschärften Kontaktsperreregelungen.

In der Tat war das Signal vom Sonnabend zwiespältig. Zwar hatte Ministerpräsident Weil bei seiner Ankündigung am vergangenen Mittwoch, die Märkte wieder öffnen zu lassen, auch gleich die Begründung und eine Warnung mitgeliefert, die aber scheint nicht überall angekommen zu sein.

Die Begründung für die Lockerung liegt in unterschiedlichen Regelungen der Länder. In Nachbarländern Niedersachsens waren die Baumärkte und Blumenläden nicht geschlossen. Das führte insbesondere in den Grenzregionen zu einem erheblichen „Baumarkt-Tourismus“ als unerwünschtem Nebeneffekt der rigorosen Einschränkungen. Das wollte Weil mit der Neuregelung unterbinden.

Der Ministerpräsident hatte aber zeitgleich klar gemacht, dass dies keine Lockerung der übrigen Bestimmungen bedeute – im Gegenteil: Einige wurden mit der Verordnung vom letzten Freitag sogar noch schärfer gefasst. Wie geht das zusammen?

Kompliziertes ist nicht in einem Satz zu erklären

Vorweg: Eine kurze Antwort darauf gibt es nicht. Das musste auch die durch ihre besonders allgemeinverständlichen Youtube-Video bekannt gewordene deutsche Wissenschaftsjournalistin und Fernsehmoderatorin (Quarks & Co) Mai Thi Nguyen-Kim erkennen, denn ihr jüngstes Video zur Corona-Pandemie (Link am Ende des Artikels) ist fast 23 Minuten lang. Was es allerdings vermag, ist in einer überaus verständlichen und zugleich nachvollziehbaren Form zu erklären, was gerade passiert und was geschehen wird. Nicht umsonst ist das Video vom 1. April jetzt bereits 2,5 Millionen mal gesehen worden.
Ihre Schlussfolgerungen kurz zusammengefasst, so das überhaupt angemessen geht: Es gibt zur Zeit gegen das Virus keinen Impfstoff und damit eben noch keine medizinische Möglichkeit, die Epidemie zu stoppen. Eine Pandemie würde – wie in China erlebt und in den USA gerade in der Aufblüte – die medizinischen Kapazitäten bei weitem überfordern. Daher wurde vor Wochen bereits die Devise der „Abflachung der Infektionskurve“ ausgegeben.

Das ist in Deutschland mit den dafür besten Maßnahmen auch bislang gut gelungen: Feststellung von Infektionen durch Tests und sofortige Quarantäne Erkrankter sowie der Kontaktpersonen. Das ist auch derzeit noch Grundlage der aktuellen Handlungsstrategie, wie auch das Robert-Koch-Institut immer wieder unterstreicht.

Die Frage nach der Zeitschiene

Neu aufgekommen ist aber gerade in den letzten Tagen nach dem Kurvenverlauf die Frage, wie lange das Deutschland noch so fortführen müsse; nicht zuletzt, weil absehbar ist, dass weder die Menschen noch die Wirtschaft dies allzu lange durchhalten werden. Vor dem Hintergrund, dass ohne Impfstoff eine Pandemie erst dann von selbst zum Erliegen kommt, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung infiziert waren (das sind in Deutschland 48 bis 56 Millionen Menschen!) ist leicht einsehbar, dass eine solche „Durchseuchung“ beim derzeitigen Infektionstempo bis zu zwei Jahre dauern würde.
Eine schnellere Infektionsrate ist aber deshalb unerwünscht, weil die mit ihr einhergehende Zahl an schweren Fällen die Kapazitäten an Intensivbetten und Beatmungsgeräten bei Weitem übersteigen würden. Viele Tote wären die Folge.

Ausweg aus diesem Dilemma: Zurück in Phase 2, wie das Video erklärt. Diese Phase einer Epidemie beschreibt den Versuch, das Virus „einzufangen“. Konkret dadurch, dass man jeden Ausbruchspunkt umgrenzt und es so gar nicht erst zu einer Weiterverbreitung kommen lässt. Um in die Phase zwei zurückzukommen, muss aber die Reproduktionsrate (R0) des Virus – ungeregelt liegt sie bei etwa 2,5 – auf unter 1 zurückdrängen. Dann sänke die Zahl der Infizierten und es wäre ab einer bestimmten Zahl möglich, die Infektionsherde einzugrenzen und das Virus an der Weiterverbreitung zu hindern.

Die Handlungskonsequenz

Daraus folgt, was das für das aktuelle Handeln bedeutet: Kontaktsperren, und zwar vielleicht noch eine Weile deutlich schärfer als bislang schon durchgeführt. In eben dieser Richtung geht nun auch die „Niedersächsische Verordnung über die Beschränkung sozialer Kontakte zur Eindämmung der Corona-Pandemie“ vom vergangenen Freitag (und mit Gültigkeit bis einschließlich erst einmal 19. April). Es steht weit mehr darin, als die wieder zugelassene Öffnung von Gartencentern, Blumenläden und Baumärkten oder umgekehrt die Schließungsanordnung unter anderem für Autowaschanlagen.

Kein Kontakt – keine Ansteckung

Die wichtigste Aussage bleibt in Paragraph 1 der Verordnung: „Jede Person hat physische Kontakte zu anderen Menschen, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstandes gehören, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren.“ Und weiter: „Kontakte innerhalb der eigenen Wohnung und auf dem eigenen Grundstück sind auf die Angehörigen des eigenen Hausstandes beschränkt...“, soweit nicht Ausnahmeumstände bestehen, die später in der Verordnung geregelt werden. (Erläuterung: Zum engsten Familienkreis zählen laut Verordnung nur Ehegatten, LebenpartnerInnen und Verwandte in gerade Linie).
In der Öffentlichkeit außerhalb des eigenen Grundstückes gelten die bislang auch schon vorgeschriebenen Mindestabstände und keine Ansammlungen von mehr als zwei Personen – Familien ausgenommen.

Paragraph 3 der Verordnung regelt, was noch erlaubt ist. Dazu gehören: körperlich-sportliche Betätigung im Freien, Berufstätigkeit, Arztbesuche und Heilbehandlungen (soweit medizinisch notwendig), Blutspenden, Besuch in Einrichtungen des Gesundheitswesens wie Apotheken, Drogerien, Sanitätshäusern oder Optikern zum Beispiel, Einkäufe zur Lebenshaltung, Betankung, Geldversorgung, Postwege. Ebenso von Kfz-Werkstätten, Reinigungen, Zeitungsverkaufstellen, Fahrkartenverkaufsstellen des ÖPNV, Waschsalons und Blumenläden.

Während Freunde nach der Regelung sich nicht daheim treffen dürfen (und im Freien auch nur bei maximal zwei Personen auf Abstand!), steht Lebenspartnern dies weiter zu. Hochzeiten und Trauerfeiern dürfen noch im engsten Familienkreis begangen werden. Betreuung Hilfsbedürftiger und seelsorgerische Leistungen sind eingeschränkt möglich. Natürlich auch das Bringen und Abholen von Kindern aus Notbetreuungen, Behördenbesuche, so unabweisbar nötig.

Weiter gelten Betretungsverbote für Personen, die sich im Ausland aufgehalten haben, in einem Zeitraum von 14 Tagen nach Rückkehr. Hierunter fallen zum Beispiel Kindertageseinrichtungen, Krankenhäuser, Pflege- und Seniorenheime sowie Schulen.

Lieferdienste und Außer-Haus-Leistungen von Gaststätten sind unter Einhaltung der bereits geltenden Vorschriften weiter möglich.

Dienstleistungen am Menschen, bei denen der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann, sind nur erlaubt, wenn unbedingt notwendig oder medizinisch veranlasst und unaufschiebbar. Berufliche Zusammenkünfte sind auch bei mehr als zwei Personen zulässig, wenn die Mindestabstände eingehalten werden. Das gilt gleichermaßen für die Arbeit von Erntehelfern und Saisonkräften.

Das klare Fazit

Kurz zusammengefasst, was das für uns alle bedeutet: Im knappsten aller Sätze: „Zuhause bleiben und sich von anderen fernhalten“. An sich schon die Devise der letzten zwei Wochen, aber von vielen noch nicht recht verstanden oder lax bis gar nicht beherzigt. In der Folge dessen, was Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem Video erklärt, ist aber die strengste Einhaltung der Kontaktsperren der einzige Weg, um auf absehbare Sicht – wobei von einem Mindestzeitraum von zwei bis drei Monaten bei Zugrundelegung der aktuellen Zahlen zu rechnen ist – auch wieder in Phase zwei zurückzukommen. Und damit die Möglichkeit, das Virus dort einzugrenzen, wo es noch nachgewiesen ist.

Erst dann, also mit unser aller Hilfe vielleicht Ende Juni oder im Juli, wäre es denkbar, in Bereichen ohne Infektionsauftreten Regelungen wieder zu lockern. Diese Geduld und Disziplin wird uns allen abverlangt. Halten wir das nicht durch, wird alles nur noch sehr viel länger dauern, wenn es durch Nachlässigkeit immer wieder zum Aufflackern und Ausbrüchen von Infektionsherden kommt.

Für eine Rückkehr zu einem „normalen Leben“, wie wir es bis Februar dieses Jahres noch kannten, werde noch deutlich mehr Zeit vergehen müssen, legt das Video nahe. Frühestens 2021, wenn es dann hoffentlich vielleicht auch einen Impfstoff gibt, dürfe man damit rechnen, warnt die Wissenschaftsjournalistin vor zu viel Optimismus.

Im Moment aber haben wir alle es selbst in der Hand, durch unser Handeln zu entscheiden, welchen Weg die Entwicklung, unsere Gesellschaft und unser künftiges Leben einschlagen wird. Die Handlungsanweisungen dafür liegen auf dem Tisch – und jeder sollte sie nun verstanden haben.

Das beschriebene Video von Mai Thi Nguyen-Kim ist hier zu finden, wer ihn nicht eintippen möchte, es reicht bei Youtube unter „MaiLab“ zu suchen, dann wird es unter den Suchergebnissen sofort angezeigt.rah