Die satirischen Bitterstoffe der Finanz-Unterwelten

Claus von Wagner zu Gast beim Kulturforum / Die Vorstellung seiner Figur ist knapp und tagesaktuell

Claus von Wagners Kunst auf der Bühne des Seesener Kulturforums war mehr als nur Kabarett. Episch breit, komplex und tiefgründig. Seine Figur Claus Neumann ist die Nacht über im Tresor einer Filiale der Deutschen Bank gefangen, hier hat er Zeit zum Nachdenken.

Seesen. Die Krawatte ist standesgemäß, wenn auch schlampig gebunden. Darin zeigt sich Widerstand. Vor der Bühne, hinten im Saal, heißt er Claus von Wagner, auf der Bühne ist er Claus Neumann. Die Vorstellung beim Publikum des Seesener Kulturforums geschieht im vollbesetzten Saal, ist knapp und tagesaktuell als „Definition von Wahnsinn“.

Claus N. ist die Nacht über im Tresor einer Filiale der Deutschen Bank gefangen. Ein Uralt-Telefon ist die einzige Verbindung zur Außenwelt. Die erzwungene Einsamkeit verspricht ihm zwar die nötige Ruhe, die Laudatio über den verstorbenen Vater und dessen Arbeit für die WPG (Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) für den nächsten Tag endlich zu Papier zu bringen, bleibt aber ein vergebliches Unterfangen. Die gesuchte Wirtschaftsethik lässt sich nicht greifen, der geschlossene Tresorraum nimmt zunehmend die Luft zum Atmen und wird zum Synonym für die Fiktion Geld und für das geschlossene System.

Die „Theorie der feinen Menschen“ und der Sparer als Plankton im Meer der Finanzhaie passen nicht. Wenn Kapuzineraffen den Geldkreislauf begriffen haben, ist das nicht gleichbedeutend mit BWL. „Muss man erst Theologie studieren, um die CDU verstehen zu können?“ Die Glaubwürdigkeiten der Zukunfts-Prognosen der Mächtigen demonstrieren sich in den Exaktheit versprechenden Zahlen hinter dem Komma; die Finanzwelt erscheint wie ein Puzzle mit 5.000 Teilen eines blauen Himmels. Von Wagner-Neumann konstatiert bitterböse: „Banken zu retten, das schaffen wir, aber Flüchtlinge über den Winter zu bringen nicht!“

Derivate sind Wettscheine, die das Risiko strukturieren und versprechen, es zu begrenzen. Stillstand ist tödlich, Negativwachstum klingt optimistisch. Im Bruttoinlandsprodukt bleiben die sozialen und dienstleistenden Arbeiten unbemessen. Aldi, Lidl und Bangladesch, Ferrero und Kinderarbeit werden präsentiert als „Kinderschokolade“, Karl Marx sitzt an Ikea-Schreibtischen und Ackermann ist die Kleine Raupe Nimmersatt.
Claus von Wagner liefert in zwei langen und komplexen Lehrsequenzen die satirischen Bitterstoffe der Finanz-Unterwelten, bemäntelt von der Politik; Charon, der Fährmann zum Hades, lädt ein. Die Mächtigen der Rating-Agenturen übernehmen das Ruder.

Von Wagner sucht ein positives Vater-Bild, das auf gemeinsames Eis-Essen (Schlumpfeis) reduziert bleibt: „Als Kind habe ich geglaubt, da draußen gibt es ein paar Erwachsene, die wissen, wie man die Welt rettet!“ Fazit: „Man kann ja nix machen!“

Claus von Wagners Kunst auf der Bühne des Seesener Kulturforums war mehr als nur Kabarett. Episch breit, komplex und tiefgründig, Lehrstück in einem schauspielerischen Monolog, Aufarbeitung der Finanzkrise, bedrängend eng und unantastbar, weggeschlossen im Tresor, am Ende atemberaubend innerhalb von Panzerwänden. Beim „guten Menschen“ darf an Brecht gedacht werden, auch beim Finanz-Haifisch. Das Theaterstück des Komödianten Claus von Wagner bleibt tragisch und wahr, und der Rezensent denkt eventuell an die Absage des nächsten geplanten Banktermins. Lass ihn sausen, komm, wir gehen mal zusammen ein Eis essen, Schlumpfeis, blau, süß und mit Sahne.

Dr. Joachim Frasslred