Die Wiederentdeckung des Dinkels

Seit 2015 wächst das gesunde „Rotkorn“ auch auf den Feldern rund um Seesen – mit großem Erfolg

Noch ein eher ungewohntes Bild: Ausgedehntes Dinkelfeld direkt vor Seesens Haustür.

Seesen. „Es kommt alles wieder“ – dieser Satz fällt meistens dann, wenn etwas buchstäblich wieder „in Mode kommt“. Doch Wiederentdeckungen gibt es nicht nur mit Blick auf Schlaghosen, Rüschen-Blusen, Plateauschuhe & Co., sondern die gibt es durchaus auch auf den Feldern der Republik. Gerade in den vergangenen Jahren ist in Südniedersachsen, besonders auch am Harzrand, eine alte Kulturpflanze auf dem Vormarsch, bei deren Bestimmung sicher so mancher Spaziergänger seine liebe Müh’ und Not hat. Da ist es dann recht hilfreich, wenn ein Informationsschild für die Schließung der Wissenslücke sorgen kann, so wie beispielsweise auf einer üppig bemessenen Ackerfläche in nördlicher Verlängerung des Ahornweges, Blickrichtung Hahausen. „Hier wächst Ihr Dinkelbrot!“, heißt es da an die Adresse der Wanderer, Radler und Freizeitsportler gerichtet. Seit nunmehr fünf Jahren bauen heimische Landwirte vor Seesens Haustür regionalen Dinkel an – in Kooperation mit dem Landhandel Weiterer mit Hauptsitz in Algermissen.

Der Dinkel ist eine Urgetreide-Art. Seit vielen Tausend Jahren ist er im Anbau fast unverändert geblieben. Dinkel war im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert in Deutschland weit verbreitet. Erst Anfang des letzten Jahrhunderts wurde er immer mehr vom Weizen verdrängt und geriet in Vergessenheit. Nicht ohne Grund, denn für die menschliche Ernährung muss beim Dinkel erst der feste Spelz, eine natürliche Schutzhülle, vom Korn gelöst werden. Das ist allerdings nur mit zusätzlichen Arbeitsschritten möglich, und so war der Weizen ohne Spelz für die Gewinnung von Nahrung ohne großen Aufwand eine willkommene Weiterentwicklung, um höhere und sicherere Erträge zu erzielen.

Seit einigen Jahrzehnten erlebt Dinkel nun eine Wiederentdeckung, insbesondere ausgelöst durch seine große Bedeutung im Bio-Anbau. In den letzten Jahren wird Dinkel vermehrt in allen Nahrungsmittel-Bereichen angeboten. Er hat deutlich mehr Protein (Eiweiß) als Weizen, enthält mehr Aminosäuren, Vitamine und Mineralstoffe und ist durch sein spezielles Gluten für viele Menschen um einiges bekömmlicher als Weizen. Zudem ist es schmackhaft und gibt besonders Gebäck einen guten, leicht nussigen Geschmack.

Der Anbau des Dinkels rund um den Harz ist nach Auskunft des Landhandels Weiterer bisher eine echte Erfolgsgeschichte. Zunächst wurde er besonders in seiner süddeutschen Heimat durch Pioniere vorangetrieben. Da aber echte regionale Erzeugung immer wichtiger wird, und viele Menschen nicht nur gesunde, sondern auch nachhaltig erzeugte Lebensmittel essen wollen, habe sich im Jahr 2015 eine kleine Gruppe die Frage gestellt, warum Dinkel nicht auf den guten Böden in Südniedersachsen angebaut wird. Das Projekt „Norddeutscher Dinkel“ war geboren.

Diese kleine Gruppe, so heißt es weiter, habe aus einigen experimentierfreudigen Landwirten, dem Landhandel Weiterer und einer regionalen Mühle bestanden. Zusammen hatte man zunächst einen Probeanbau ins Leben gerufen, da keiner der Beteiligten Erfahrung mit Anbau, Lagerung und Verarbeitung von Dinkel hatte. Bereits im ersten Jahr zeigte sich dann, dass der Dinkel ganz hervorragend nach Südniedersachsen passte, die Qualitäten und Erträge übertrafen sogar die der süddeutschen Kollegen.

Auf dieser Basis wurde dann ein Vertragsanbau ins Leben gerufen. Der große Erfolg des Projektes war wohl für alle Beteiligten überraschend, so wuchs die Menge des angebauten Dinkels in den folgenden Jahren rasant an, da immer mehr Landwirte einsteigen und immer mehr Bäckereien den regionalen Dinkel in ihr Angebot aufnehmen wollten. So wächst der Norddeutsche Dinkel heute einmal „um den Harz herum“, auf Feldern in Südniedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Hessen.

Dinkel lässt sich natürlich auch gut ohne Info-Schild entdecken. Dinkel-Ähren sind viel länger und flexibler als Weizenähren. Jetzt, ab Juni, lässt sich daher der Dinkel gut vom Weizen unterscheiden, der insgesamt kleiner bleibt und dicke, feste und aufrechte Ähren hat. Zudem hat der Dinkel viel längere Blätter als der Weizen und sieht daher oft auch vorher schon „wuschelig“ aus. Der Weizen hat eher bürstenartige Blätter, die steil nach oben stehen.

Wenn das Getreide dann im Juli zu reifen beginnt, wird der Weizen goldgelb. Dinkel hingegen wird auch „Rotkorn“ genannt, denn Stroh und Ähren beginnen sich mit der Reife zunehmend Rot zu färben. Das sieht in der Abendsonne oftmals sehr eindrucksvoll und farbenfroh aus.kno