Ein unvergesslicher Abend im Museum

Märchenstunde mit Punsch beim Freundeskreis

Wolfgang Kohrt bei seiner Lesung.

Seesen. Unter dem Titel: „Märchen für Erwachsene“ gestaltete Wolfgang Kohrt, der bereits zum sechsten Mal beim Freundeskreis zu Gast war, eine Lesung im Steinway-Raum des Museums. Schon die von Marianne Wadsack wieder liebevoll arrangierte Dekoration sowie eine Auswahl von Märchenbüchern stimmten auf den Abend ein und schufen so eine Atmosphäre, die es den Besuchern leicht machte, den Alltag für einige Stunden vergessen zu lassen.

Marianne Wadsack hatte noch auf ausdrücklichen Wunsch der ersten Vorsitzenden des Freundeskreises die Begrüßung der Gäste übernommen. „Ich habe vor einem Monat gern zugesagt“, so Marianne Wadsack, „heute aber ist es mir ein schweres und trauriges Amt. Frau Renata Jahns ist Ende Januar für immer von uns gegangen. Sie war es, die 1988 den Freundeskreis ins Leben gerufen und dann mehr als drei Jahrzehnte lang geleitet und mitgeformt hat. Sie hinterlässt mit ihrem unermüdlichen Engagement eine nur schwer zu schließende Lücke. Wir gedenken der Verstorbenen in Dankbarkeit und Anerkennung“.

Wolfgang Kohrt hatte sechs Märchen aus allen Teilen der Welt ausgesucht. Ein russisches Märchen trug den Titel: „Sonja und der König Dezember“. In dieser Geschichte geht es um die junge Sonja, die von ihrer Stiefmutter und deren Tochter drangsaliert wird. So soll sie im tiefen Winter erst Veilchen und dann frische Erdbeeren für ihre Stiefschwester besorgen. Auf ihrer Suche danach kommt sie zu den Königen der 12 Monate. Einmal ist es der März, der ihr die Veilchen beschert und später dann der Juni, der die frischen Erdbeeren liefert. Die erstaunte Schwester macht sich daraufhin ebenfalls auf den Weg, wird aber vom König Dezember mit seiner Kälte und seinem Schnee bedeckt. Die Stiefmutter versucht ihre Tochter zu suchen, kehrt aber auch nicht wieder zurück. Sonja lebt fortan mit ihrem Vater glücklich in dem Haus und zu ihrer Hochzeit in einem Dezember gibt es frische Erdbeeren und die Tafel ist mit Veilchen dekoriert.

Es folgte das erste orientalische Märchen aus dem Irak: „Die Pantoffeln des Abu Kasem“. Er ist der reichste Kaufmann in Bagdad, aber auch der geizigste. Seine Pantoffeln sind alt und schäbig. Sein Geiz ist so groß, dass er sich einfach nicht von seinem Schuhwerk trennen kann. Dann fangen die Pantoffeln plötzlich an, ihrem Träger Unglück zu bringen. So sehr sich der Kaufmann auch bemüht, die Schuhe loszuwerden, stets kehren sie zu ihm zurück. Mehrmals kommt er wegen der Pantoffeln vor den Kadi und jedes Mal kostet es viel Geld. Abu Kasem, der als reicher Mann geizig war, ist am Ende arm und erlebt nun statt Mitleid nur noch Schadenfreude.

In der Pause wurde den Besuchern Punsch kredenzt und von Marianne Wadsack gebackene Kekse gereicht.

„Der Schatz des weisen Schäfers“ ist ein persisches Märchen, das von einem armen Schafhirten handelt, dessen wertvollster Besitz ein herrliches Schaffell ist. Bei vielen Menschen in Stadt und Land gilt der Schäfer als weise, sodass sie seinen Rat suchen. Dies erfährt auch der Schah, der als armer Mann verkleidet den Schäfer aufsucht. Der König ist von dem Hirten so angetan, dass er ihn zum Statthalter des Gebiets macht, in dem der Schäfer bisher seine Herde hütete. Anfänglich sind die Menschen froh, den Hirten als Statthalter zu haben, aber dann wächst das Misstrauen, weil er stets einen verschlossen Kasten auf seinen Reisen mitführt. Man vermutet, dass darin Schätze aufbewahrt werden, die der ehemalige Hirte den Untertanen abgenommen, sie also betrogen hat. Als der Schah davon erfährt, lässt er im Beisein der Richter die Truhe öffnen. Aber statt Juwelen oder anderer Schätze befindet sich darin nur der alte Schafpelz. Der Statthalter wollte seinen größten Schatz immer bei sich haben, der ihn an seine Zeit als Schäfer erinnerte. Der Schah war so gerührt, dass er ihn als obersten Statthalter einsetzte.

Es folgte ein Märchen mit dem Titel: „Ein Körbchen für José“ aus Mexiko und eine Geschichte aus der Südsee, in der ein junges Mädchen die Frau des Mondes wird.

Zum Schluss las Wolfgang Kohrt eine griechische Sage aus den Metamorphosen des Ovid vor: „Philemon und Baucis“. Ein altes Ehepaar nimmt trotz seiner Armut die in Gestalt von Menschen wandernden Götter Zeus und Hermes auf und bewirtet sie. Beim Mahl erkennen sie die Götter daran, dass der Wein im Krug nicht versiegt. Zum Dank für die Gastfreundschaft, die von den anderen Bewohnern nicht gewährt wurde, verwandeln die Götter die Hütte des Paares in einen Tempel, während die übrigen Häuser in einer Flut untergehen. In diesem Tempel werden Philemon und Baucis Priester. Auf ihre Bitte sterben sie gemeinsam im hohen Alter, Philemon wird in eine Eiche und Baucis in eine Linde verwandelt.

Wolfgang Kohrt hatte es wieder geschafft, das Publikum für ein paar Stunden den Alltag vergessen zu lassen und es in die Welt des Geheimnisvollen und Mystischen zu entführen. Eine leise Wehmut erfasste die Besucher, als Wolfgang Kohrt bei der Verabschiedung erklärte, dass er das letzte Mal eine solche Lesung abgehalten habe.WDT