Gut 80 Prozent der Reha-Beschäftigten wollen gehen

Schließung bedeutet das Ende eines einmaligen Konstruktes / Patient schildert Aufenthalt

Seesen. Fassungslos sind dieser Tage nicht nur die Seesener, nachdem Asklepios das Aus der Reha-Klinik bereits zum 31. Dezember diesen Jahres verkündet hat. „Unfassbar, dass einst die beste Reha-Klinik Deutschlands schließt“, „Was hatte die Klinik mit ihrem herausragenden Gesamtkonzept für einen excellenten Ruf“, das ist zu hören. „Katastrophe“, fasst es Oliver Kmiec, Vorsitzender des Betriebsrates, zusammen. Vor allem hat ihn und das Gremium überrascht, wie groß die Bereitschaft der Reha-Beschäftigten ist, den Standort zu verlassen. Gut 80 Prozent von ihnen wollen die Abfindung nehmen und sich woanders bewerben. „Die Kollegen zieht es dann beispielsweise nach Moringen“, berichtet Oliver Kmiec. Er geht davon aus, dass die Kündigungen bald verschickt werden.

Elf Ärzte unter den 83 Reha-Beschäftigten

Der Betriebsrat hat einen Interessensausgleich und einen Sozialplan für jene 83 Beschäftigte verhandelt, für die er das Mandat hat. Dieses umfasst Pflegekräfte, Pflegehelfer, Medizinische Fachangestellte, Neuropsychologen, Sozialarbeiter und elf Ärzte. „Asklepios hat sich hier großzügig gezeigt und gut 90 Prozent unserer Forderungen akzeptiert“, resümiert der Betriebsratsvorsitzende das Verhandlungergebnis, das am 30. November erzielt wurde. Heißt beispielsweise, dass die individuelle Kündigungsfrist, abhängig von den Berufsjahren, greift. Bei wem diese beispielsweise bis zum 30. Juni 2021 gilt, erhält bis dahin die Lohnfortzahlung. Verlässt der Mitarbeiter das Unternehmen, kommt eine Abfindung obendrauf. Wer stattdessen eine Weiterbeschäftigung im Akut-Haus oder an einem anderen Asklepios-Standort wählt, bekommt die Abfindung nicht. Unter dem Strich geht es darum, die Auswirkung der Kündigung finanziell abzufedern. Viele Beschäftigte, die länger als zwei Jahre da sind, haben laut Oliver Kmiec eine Kündigungsfrist zum Quartalsende, also Ende Dezember. Der Betriebsrat will in puncto Bewerbung eine Chancengleichheit erzielen. Alle verfügbaren Stellen am Standort Seesen sollen ausgeschrieben werden, sodass jeder, der will, die Möglichkeit hat, sich zu bewerben. Der Betriebsrat wird bei Neueinstellungen mit eingeschaltet.

Während Asklepios von 100 Arbeitsplätzen spricht, die wegfallen, könnten es durchaus mehr sein. Denn vom Reha-Aus sind unter anderem auch die Küche, die Reinigungskräfte und die Therapeuten betroffen. Die Zahl von 140, die es sein könnten, hatte der Betriebsrat in diesem Zusammenhang einmal gegenüber unserer Zeitung überschlagen. Die Auswirkungen für Seesen sind noch gar nicht abschätzbar. Beispielsweise, wenn die Reha-Patienten keine Taxifahrt buchen oder nicht mehr in die Stadt zum Kaffee trinken gehen.

Bei einer durchschnittlichen Belegdauer von drei Wochen und hochgerechnet auf eine Belegung von 130 der 140 verfügbaren Betten, sind das pro Jahr 2.249 Reha-Patienten, die künftig nicht mehr in Seesen, sondern woanders behandelt werden. Einer von den bisherigen war der Seesener Eckhard Pfeil. „Fachlich und für mich als Patient ist es richtig schade, dass die Verbindung zur weiterführenden Therapie gekappt wird“, berichtet er. Er meint hier Symbiose zwischen Akut-Haus und der Reha-Klinik. Im Akut-Haus folgte die Operation, in der Reha-Klinik dann die Anschlussheilbehandlung. Kommt es zu Komplikationen, wurden die Kollegen des Akut-Hauses mit konsultiert, beschreibt Oliver Kmiec. „Asklepios nimmt sich ja die eigenen Kunden weg, denn sie können ja auch steuern, wie viele in der Reha aufgenommen werden“, äußert sich Eckhard Pfeil. Inwieweit unternehmerische Zwänge dazu führten, dass Asklepios die Reha-Klinik schließen muss, vermag er nicht zu beurteilen.

Adelheid May, Asklepios Regionalgeschäftsführerin Harz, nannte in puncto Reha-Aus in dieser Woche noch einmal die „schlechte wirtschaftliche Gesamtsituation der Klinik“. Diese hat sich im laufenden Jahr, neben den scharfen wirtschaftlichen Einschnitten infolge der Corona-Pandemie, durch einen schweren Wasserschaden und die unerbittlichen Streikmaßnahmen, zu denen die Gewerkschaft ver.di in voller Kenntnis der schwierigen wirtschaftlichen Verfassung des Unternehmens ohne Unterlass aufgerufen hat, in einer Weise zusätzlich verschärft. Mit der Folge, dass es keine andere Wahl als die Schließung gab.

Reha-Patient beeindrucken die vier Wochen vor Ort

Gegenüber dem „Beobachter“ schildert Eckhard Pfeil seine Reha-Behandlung in Seesen. „Seit einigen Monaten plagen mich Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, besonders im rechten Bein. Nach umfangreichen Untersuchungen und Abstimmung mit Hausarzt und Ärzten des Neurochirurgicums Seesen habe ich mich zu einer Operation an der Bandscheibe entschieden. Ziel, die zum Bein führenden Nerven zu befreien, Reduzierung der Bewegungseinschränkung und Schmerzen“, äußert er sich. Die OP wurde Ende September im Akut-Haus durchgeführt, nach drei Tagen erfolgte die Entlassung. Die Anschlussheilbehandlung (AHB) verzögerte sich aufgrund der Corona-Situation etwas, am 20. November startete er diese nicht in Seesen sondern in einer Klinik in Bad Gandersheim. Aus den geplanten vier Wochen wurden allerdings nur vier Tage, bedingt durch Corona-Fälle in der Klinik.

Durch die gute Unterstützung des Behandlungsträgers und der verantwortlichen Mitarbeiterin der Asklepios Kliniken Seesen konnte Eckhard Pfeil ab 30. Oktober in den Asklepios Kliniken Seesen, Bereich Reha 2, fortsetzen. „Das war schon alles etwas hektisch, letztlich war ich aber sehr froh, dass es so gekommen ist“, fasst er zusammen. In den vier Wochen in Seesen konnte er erfahren, auf welch hohem Niveau dort in allen Bereichen gearbeitet wird. Dabei nennt er in seiner Schilderung den organisatorischen Rahmen (transparent und professionell), die gute Zuwendung durch das Ärzte- und Pflegeteam auf der Reha-Station (regelmäßige geplante Visiten, das gesamte Team steht aber auch immer bei Bedarf und Nachfrage kurzfristig zur Verfügung), die sehr gute Infrastruktur (vielfältige Therapieräume, umfangreiche Ausstattung Therapiegeräte), die gute Zuwendung durch das Therapie-Team in allen Bereichen sowie die gute und individuelle Verpflegung zu allen Mahlzeiten. „Eine hervorragende Arbeit in der Asklepios Reha-Klinik“, so Eckhard Pfeil zusammenfassend. Nach 25 Jahren ist damit Schluss, Asklepios ist seit 1995 in Seesen.

Sozialministerium sind keine Ausbaupläne bekannt

In einer gemeinsamen Videokonferenz mit der Niedersächsischen Sozialministerin Dr. Carola Reimann am 29. November hatten sich Vertreter des Betriebsrates, Kommunalpolitiker mehrerer Parteien, der Seesener Bürgermeister, die beiden Landtagsabgeordneten aus dem Landkreis Goslar und Vertreter von ver.di sowie ein Vertreter des Bürgerbündnisses „Wir für Seesen“ über die aktuelle Situation ausgetauscht. Dass das Aus zum Jahresende kommen wird, wusste da niemand. Sozialministerin Reimann erklärte bei dem Treffen, „dass es sachlich und fachlich schwer nachvollziehbar ist, was gerade am Krankenhausstandort in Seesen passiert“.

Gerüchten, nach denen Asklepios möglicherweise den Akut-Bereich ausbauen wollte, trat Reimann entgegen: „Es gibt keinerlei Beantragungen durch Asklepios und auch keinerlei Hinweis darauf, dass der Konzern so etwas plane“. Die Hoffnung gibt Bürgermeister Erik Homann nicht auf. Er wünscht sich „im Interesse der Stadt und der Bürgerinnen und Bürger natürlich, dass eine solche Ausbauidee des Akut-Bereiches durch die Asklepios- Geschäftsführung forciert würde“.syg