„Hat der Kindergarten Münchehof jetzt ein Auto?”

In der Affäre um den DRK-Kindergarten Münchehof wird am zweiten Prozesstag deutlich: Ex-CDU-Chefin Sabine Wendt konnte ungeniert in die Kassen greifen, weil sich die zwei Prüfer auf den jeweils anderen verlassen hatten

Sabine Wendt gestern vor dem Landgericht Braunschweig. Sie hatte sich bereits beim Prozessauftakt ausführlich geäußert und alle Taten eingeräumt. Gestern wurden Zeugen befragt.

Wie kann man mehrere Hunderttausend Euro aus einem Kindergarten herauswirtschaften, ohne dass es irgendjemandem auffällt? Das war zentrale Frage, die gestern am zweiten Prozesstag bei der Verhandlung im Zuge der DRK-Kita-Affäre vor dem Landgericht Braunschweig anhand von Zeugenaussagen beantwortet werden sollte. Im Fokus standen dabei die Zeugenbefragungen.

Münchehof/Braunschweig. Das Urteil wird nunmehr für den 17. März erwartet Ex-CDU-Chefin Sabine Wendt, frühere Leiterin des DRK-Kindergartens in Münchehof, muss sich seit dem 18. Februar bekanntlich vor dem Landgericht Braunschweig verantworten. Der ehemaligen Kindergartenleiterin wird Betrug und Untreue in mehr als 500 Fällen vorgeworfen. Die Angeklagte hatte sich am ersten Prozesstag im Februar bereits selbst zu den Vorwürfen geäußert und alles vollständig eingeräumt. Sabine Wendt droht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Das Urteil wird nunmehr am 17. März erwartet.

Am Mittwoch sagten vor dem Landgericht der ehemalige Leiter des Seesener Rechnungsprüfungsamtes Burkhard Schulz und der Kassenwart des DRK Kindergartens Münchehof, Dieter Kolle, aus. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich hier wohl jeder mehr oder weniger auf den anderen verlassen hatte. Schulz erklärte, dass die Stadt Seesen die Kindergärten einer Plausibilitätskontrolle unterzogen habe.

Das bedeutet, dass er keine Revision im eigentlichen Sinne durchgeführt habe und es daher keine Buchprüfung gab, wie man sich das wohl vorstelle. „Nicht überall wo ein Rechnungsprüfer draufsteht, ist auch ein Rechnungsprüfer drin”, so Schulz, der den Kiga Münchehof im Jahr 2018 prüfte und dem da auch Ungereimtheiten auffielen, nämlich unter anderem ein Betrag für eine Kfz-Versicherung, die Sabine Wendt vom Konto des DRK Münchehof überwiesen hatte. Man holte Kassenwart Dieter Kolle hinzu, der im Rathaus mit der Frage begrüßt wurde, ob man jetzt im Kindergarten ein Auto habe. So kam der Stein ins Rollen.

Es gab aber auch noch eine Menge weiterer Ungereimtheiten, beispielsweise eine Kücheneinrichtung oder Möbel, die auf Rechnung der Kita gekauft und nach Kassel (der Studienort des Sohnes der Angeklagten) geliefert wurden. So stellten Schulz und Kolle die damalige Kita-Chefin Sabine Wendt zur Rede. Die sprach von Fehlern und Versehen, es habe auch nicht so gewirkt, als sei sie ertappt worden, so Schulz. Andere Rechnungen musste sie indes gar nicht erklären, denn die fielen in all den Jahren überhaupt nicht auf. Beispielsweise wenn einmal 400 Euro für ein Puppenspieltheater vom Konto abflossen. Sie schrieb selbst eine Rechnung, das Geld ging auf ihr eigenes Konto. Dass es ein solches Puppentheater nie gegeben hat? Wer sollte das denn wissen?

Das DRK, so erklärte Dieter Kolle, habe sich auf das Rechnungsprüfungsamt als Kontrollinstanz verlassen. Er war davon ausgegangen, dass hier jedes Jahr eine ordnungsgemäße Kassenprüfung stattfindet. Dem war aber höchstens in den Anfangsjahren so. Zirka ab dem Jahr 2013 sollen die Prüfungen nur noch unregelmäßig stattgefunden haben, für die Jahre 2014 bis 2017 in Summe erst im Jahr 2018. Und eben auch nicht so, wie es hätte sein müssen.
Ob Sabine Wendt wusste, dass ihr durch diese nicht funktionierenden Kontrollmechanismen Tür und Tor für Hunderte von Straftaten möglich waren? Vielleicht wird sie diese Frage ja noch am letzten Prozesstag beantworten. Der soll bereits am 17. März stattfinden.

Auf die besondere Brisanz des ganzen Betrugsfalls machte Kriminalhauptkommissar Lutz Lucht aufmerksam, dem seinerzeit heimlich die Unterlagen aus dem Rathaus zugespielt wurden. Aufgeploppt war dann alles kurz vor der Seesener Bürgermeisterwahl im Mai 2019, in der die Angeklagte als CDU-Chefin natürlich zumindest indirekt eingebunden war. Auch wurde seinerzeit durchleuchtet, ob sich die Verwaltungsspitze eventuell strafbar gemacht hatte.

Dieses Verfahren gegen Bürgermeister Erik Homann wurde eingestellt. Was die mangelhafte Prüfung anging, so erklärte Lucht, dass jeder dem anderen die Schuld zuschiebe. Da sei zuviel routinemäßig durchgewunken worden, und anhand der dilettantischen Fälschungen und anhand weiterer Versäumnisse hätte man früher etwas merken müssen. Dem stimmte sogar Burkhard Schulz zu, der gestern erklärte, dass es ihn im Nachhinein betroffen mache, dass er es nicht eher gesehen habe. „Ich hatte einfach keinen Argwohn!”

Derweil erklärten Sabine Wendt und ihr Anwalt, dass der Verkauf ihres Hauses in Münchehof so gut wie in trockenen Tüchern sei. Mit dem Erlös soll zumindest ein Teil der Forderungen des DRK Münchehof beglichen werden. Dieser fordert von seiner ehemaligen Kindergartenleitung 692.000 Euro zurück.
Laut Anklage hat Wendt insgesamt 366.424,91 Euro durch die Taten erlangt. Warum die DRK-Forderungen um mehr als 300.000 Euro darüber liegen, ist der Verteidigung bislang ein Rätsel.uk