Im Extremfall geht es beim Aus der Reha-Klinik um 140 Arbeitsplätze

Plötzlich sind Interessenausgleich und Sozialplan die Themen für die Gespräche mit dem Betriebsrat am Montag

Seesen. Die Gerüchteküche brodelt heftig in der Sehusastadt. Steht die Reha-Klinik der Asklepios Kliniken Seesen vor dem endgültigen Aus? Eine Frage, die dieser Tage nicht nur auftaucht, sondern die Anzeichen verdichten sich, dass es so kommen könnte. Ein weiteres Indiz gibt es: Plötzlich ist nicht mehr das Angebot für die Reha-Beschäftigten Gegenstand der Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und dem Betriebsrat am kommenden Montag, 16. November, sondern Interessenausgleich und Sozialplan. Das bestätigt der Betriebsratsvorsitzende Oliver Kmiec auf Anfrage des „Beobachter. Scheinbar ist es bereits fünf vor zwölf.

Zur Erklärung: Im Interessenausgleich wird festgelegt, welche Änderungen der Arbeitgeber anstrebt. Der Sozialplan regelt im zweiten Schritt, wie die negativen Folgen dieser geplanten Änderungen für die Belegschaft beispielsweise durch Abfindungen oder andere Jobangebote abgemildert werden können. Wie Jens Havemann von ver.di im Gespräch einordnet, liegt die letztendliche Entscheidungskompetenz beim Arbeitgeber. Heißt, wie plausibel die vorgebrachten, wirtschaftlichen Gründe für eine mögliche Schließung sind, wird nicht überprüft. „Es zeigt eindeutig, wie unberechenbar Asklepios ist, das ist finsterer Kapitalismus“, äußert sich Jens Havemann zu den aktuellen Entwicklungen.

Fakt ist: Wohin die Reise gehen wird, weiß – bis auf die Asklepiosverantwortlichen – keiner. Klar ist aber bereits: Wird die Reha-Klinik geschlossen, fallen im Extremfall 140 Arbeitsplätze auf einen Schlag weg. Asklepios ist bekanntlich der größte Arbeitgeber der Stadt Seesen. Die Zahl ergibt sich aus den 80 Beschäftigten der Reha-Klinik, hinzu kommen gut 40 Therapeuten der Therapie GmbH und gut 20 weitere Beschäftigte wie etwa Reinigungskräfte oder das Küchenpersonal. Doch nur für die eigentlichen 80 Reha-Beschäftigten könnte der Betriebsrat verhandeln. Für die anderen hat er kein Mandat, dies müsste deren Vertretung übernehmen. „Es wäre eine schlimme Nachricht für unsere Stadt, falls die Reha-Klinik geschlossen wird”, äußert sich Seesens Bürgermeister Erik Homann am Freitag.

Inwieweit bereits ein möglichen Reha-Aus droht, vermag der Betriebsratsvorsitzende Oliver Kmiec nicht einzuschätzen. „Es ist für uns aktuell auch eher ein Stochern im Nebel, was das am Montag werden soll“, äußert er sich dazu. Offenbar hat der Arbeitgeber doch keine Zeit mehr, das Ruder herumzureißen. Am 4. November antwortete Pressesprecher Ralf Nehmzow auf die Frage, inwieweit eine mögliche Schließung der Reha-Klinik aktuell sei: „Wir erwarten dringend eine Rückmeldung zu unserem Angebot, da die wirtschaftliche Situation der Reha-Klinik äußerst angespannt ist und nicht mehr viel Zeit bleibt, das Ruder rumzureißen“. Offenbar muss in der einen Woche viel passiert sein. Warum es nun zur Änderung der Tagesordnung kam, dazu wollte sich Ralf Nehmzow am Freitag nicht äußern. Er bittet um Verständnis, „dass wir vor dem internen Termin, gerade bei noch laufenden internen Vorgängen, derzeit nichts sagen. Das gebietet auch die Fürsorgepflicht“, heißt es dazu. Jedoch verweist er auf eine Pressemitteilung vom 20. Oktober, darin heißt es unter anderem zur Reha: Würden die unrealistischen Gewerkschaftsforderungen umgesetzt, wäre die Rehaklinik in hohem Maße defizitär und ein nachhaltiger Betrieb nicht mehr möglich. Dabei ist der Streik aufgrund der Corona-Lage ausgesetzt. Zudem sollte es ja am Montag ursprünglich ums Angebot des Arbeitgebers gehen...
Jens Havemann von ver.di überrascht es nicht, dass Asklepios an Seesen ein Exempel statuieren will. Getreu dem Motto: Wer sich mit ver.di einlässt, zahlt diesen Preis. Dabei hat laut dem ver.di.-Verhandlungsführer das eine mit dem anderen nichts zu tun, die Ursachen liegen nach seiner Meinung „in dem jahrelangen Kostensenkungsprogramm, damit haben sie sich selbst in die Situation manövriert und die Beschäftigten zahlen nun den hohen Preis“, unterstreicht Havemann. Genau so sieht es auch Marcus Golis, stellvertretender Betriebsrat der Firma Crown, sie kämpften an der Seite der Asklepios-Beschäftigten. Er betont, dass sie immer sagten, dass es um die Zukunft der Klinik geht. Golis selbst hatte die Seesener zur Solidarität aufgerufen. „Was noch keiner sieht, die 140 Beschäftigten sind das eine, aber es hängen Hunderte weitere dran“, so Golis. Auch er hofft, dass es noch nicht zu spät ist. Am Ende ist dann das Geschrei immer groß.

Vielen fällt es dieser Tage schwer, für die aktuelle Entwicklung Verständnis aufzubringen. „Was für eine verrannte und festgefahrene Situation tut sich hier auf. So sehr hatte ich gehofft, dass durch die Tarifeinigung im Akut-Haus der Klinik die Schließung der Reha-Klinik abgewendet werden kann. Nun gibt es keine Arbeitgeberangebote, sondern offenbar Verhandlungen über einen Interessenausgleich, ich bin traurig und enttäuscht“, äußert sich die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Melone gegenüber unserer Zeitung. Zugleich erinnert sie aber auch daran, dass hinter all diesen Maßnahmen und Entscheidungen Menschen stehen. „Meine Nachbarn, Freunde, Bekannte, Menschen, die hier in Seesen leben, sie allein kriegen mit voller Wucht den Wind der Geschäftsebene zu spüren. Ihnen drohen offenbar Entlassung, sie müssen gehen. Aber auch Menschen, die diese ganze Situation verantworten müssen. Diesen scheint der Standort und die Beschäftigten nicht so wichtig, wie das Ziel: Konzernstatuten zu befolgen“, betont Andrea Melone.

Fassungslos reagiert auch Rudolf Götz, Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion. Über Dritte habe auch er von der prekären Lage erfahren. „ Ich bin entsetzt darüber, dass es nicht mehr um die Bezahlung geht, sondern jetzt plötzlich Interessenausgleich und Sozialplan die Themen sind“, äußert er sich. Offenbar seien nach Götz’ Meinung auch Managementfehler gemacht worden, indem nicht frühzeitig mit den Kostenträgern gesprochen und verhandelt wurde, um die Seesener Reha-Klinik dauerhaft zu erhalten. Zugleich zeigt sich für den CDU-Fraktionsvorsitzenden einmal mehr, wie macht- und hilflos die Politik vor Ort ist. Vor allem wird dem Krankenhaus laut Götz ein Element genommen, das dem Seesener Standort mit seinem ganzheitlichen Ansatz mit diesen hervorragenden Ruf eingebracht hat. Eine Aussage, die in der Stadt öfter zu hören ist.

Die beiden SPD-Landtagsabgeordneten Petra Emmerich-Kopatsch und Dr. Alexander Saipa weisen auf Anfrage noch einmal auf die Bedeutung der Neurologischen Rehabilitation hin. Sie ist eine wichtige Säule des Gesundheitswesens in und vor allem nach der Corona-Pandemie. In einer Studie aus Italien weisen 87 Prozent der Erkrankten im Nachgang noch neurologische Symptome auf. Mehr als jeder zweite Betroffene klagt über Erschöpfungssymptome. Weitere Beschwerden sind Beeinträchtigungen des Geruchssinns, Geschmacksstörungen, Kopfschmerzen und Schwindel. Diese klaren Fakten zeigen, dass insbesondere die Kompetenzen in der neurologischen Rehabilitation in der Zukunft unerlässlich sein werden. Die Reha-Struktur deutschlandweit ist gut.

„Wenn aber nun Asklepios seine Rehabilitationseinrichtung mit neurologischer Fachkompetenz in Seesen aufgeben sollte, würde es klar zeigen, dass es tatsächlich eher um Gewinnmaximierung geht und nicht mehr darum, in einer für die Rehabilitation perfekten Region mit den gut ausgebildeten Fachkräften eine optimale Versorgung für die Menschen anzubieten“, so die beiden Sozialdemokraten. Dieses Verhalten hat ihrer Ansicht nach nichts mit Verantwortung für erkrankte Menschen zu tun. Offenbar geht die Einsicht verloren, dass es sich in erster Linie um öffentliche Mittel handelt, die verantwortungsvoll für Patienten eingesetzt werden sollen, die diese ja auch schließlich in die Kassen eingezahlt haben. Durch manches Handeln des Konzerns könnte das Vertrauen der Bevölkerung vollends verloren gehen und sogar der Standort insgesamt gefährdet werden.syg