Von Heike Hammer-Geries

Lachnacht in Seesen! War das schön!

Kulturevent bringt was sie verspricht: Jede Menge Spaß und sehr gut aufgelegte Comedians

Ole Lehmann ist außer sich vor Freude. Echte Menschen in einem Theater. 18 Monate ist er nicht aufgetreten, hat aus Verzweiflung wie andere auch zu Hause renoviert.

Seesen. Endlich wieder ein Stück Normalität, endlich wieder was zu lachen. Ole Lehmann ist außer sich vor Freude. Echte Menschen in einem Theater. 18 Monate ist er nicht aufgetreten, hat aus Verzweiflung wie andere auch zu Hause renoviert. Hat Stunden vor dem Baumarkt angestanden, nur weil er eine Latte wollte. Ist spazieren gegangen, hat sein Viertel „Prenzlauer Berg“ unter die Lupe genommen und nicht wiedererkannt. Damals nur herrlicher Berliner Dialekt, heute nur Ausländer: Schwaben! „Mir hädde gern 2 Weckle – Schrippen, Du Flitzpiepe – na gut: 2 Schribble“. Und Wilde überall: Ökokrautscheuchen, die Merlot nur aus Fair Trade Trauben aus Papua-Neuguinea trinken. Helikoptereltern mit Kindern an Leinen gegen Verlieren gesichert. Das ist alles nicht seins.

Er kündigt Vera Deckers an. Kölner Dialekt in Person. Der Applaus tut ihr sooo gut. Ursprünglich Psychologin, hat sie grad noch den Absprung in die Comedy geschafft, analysiert jetzt das Leben der anderen. Teenies, von Corona total überfordert und nur noch digital unterwegs. Bibis Beauty Palace hat zehntausend Follower. Hat Vera Follower? Nein, sie hat Abitur. Als sie Teenie war, gab es für Follower Pfefferspray. Und überhaupt: Die Uschi hat schon geinfluenced, da hieß das noch Propaganda. Als Influencer in Sachen Figur geht nach Corona sowieso nichts. Sind das Muskeln oder ist das nur Fett?

Fällt diese Frage bei Frauen, ist eine von beiden danach hinüber. Sollen wir paar Würstchen grillen? Nein, lieber einen Salat pürieren. Wir sind nicht mehr die Jüngsten, Schönsten, Schlausten, nicht mehr das schärfste Messer in der Schublade. Aber grad deshalb brauchen wir Frauen im Alltag mehr Komplimente! Liebe Männer, wir wissen, dass das ist wie Topfschlagen im Minenfeld. Es muss von Herzen kommen, dann nehmen wir alles. Viel warmer Applaus für Vera, man versteht sich.

Auftritt Götz Frittrang. Er analysiert erst mal das Publikum. Wie immer mehr Frauen als Männer. Kein Mann kommt von allein auf die Idee, abends noch mal die Hose anzuziehen und raus zu gehen. Schon gar nicht im Harz. Obwohl Seesen ja nur das Fenster zum Selbigen ist, noch nicht so brutal Harz. Frittrang ist von Haus aus Schwabe. Warum die Leute Schwaben hassen, versteht er nicht. So viel Gutes haben sie der Welt gebracht: Fischerdübel, Ritter Sport, Mercedes, Porsche.

Nur Seitenbacher war keine so gute Idee, da hat das Innenministerium seinen Einsatz verpasst. Wenn einer in Hamburg im Büro achtmal am Tag im Radio die Müslideppen anhören muss, ist es kein Wunder, wenn er mit der Kofferbombe nach Schwäbisch Hall fährt. Wer kauft das Zeug überhaupt? Schwaben nicht – viel zu teuer. Ein Kilo Haferflocken für 28 Cent tut es auch. Natürlich ohne Milch verzehrt, dann halten die ewig und auch Laktoseintoleranz ist kein Problem. Das Publikum ist begeistert, zumindest diesen Schwaben hier mag es.

Nach der Pause Oles Stilblüten aus Kinderaufsätzen: Der Papst wohnt im Vakuum. Bei uns dürfen Männer nur eine Frau heiraten, das nennt man Monotonie. Eigentlich ist Adoptieren besser, da können sich die Eltern dann die Kinder aussuchen und müssen nicht nehmen, was sie kriegen.

Die Seesener kriegen jetzt Roger Stein, haben sie sich ausgesucht. Er sorgt für die musikalische Seite der Lachnacht. Der Klavierkabarettist glänzt direkt auf dem Steinway-Flügel mit verführerischen Klängen, um Coralie zu bezirzen. Auch für Hochzeitsbeiträge wird er gern angefragt. Er liebt diese speziellen Auftritte nicht und spielt das schrägste Hochzeitslied aller Zeiten: „Überlegt Euch doch einmal, bevor ihr euch traut, ob der heutige Tag nicht das Leben versaut. Klar, es gibt Braten und danach noch Dessert, aber so ein Aufwand für das bisschen Verkehr …“

Die Geräusche von geschüttelter Salz- und Pfeffermühle, das knarrzende Geräusch der Salzmühle und diverse verbal geformte Laute bilden übereinandergelegt die rhythmische Untermalung des teils gesprochenen und teils gesungenen Liedes über Salz, welches auch zum Anbändeln taugt: „Donnez-moi le sel …“. Mit einem kleinen politischen Lied, welches die Jonglage mit politischen Inhalten thematisiert und bei dem ihm Herr Seibert nicht aus dem Kopf geht, beendet er seinen Beitrag unter viel Applaus.

Ole Lehmann leitet mit „Verkehrsnachrichten“ über die unterschiedlichen verbalen Gepflogenheiten von Bernern, Hessen und Sachsen beim Sex über zu Patrizia Moresco. Es ist, als ob ein warmer, mediterraner Wirbelsturm über die Bühne fegt. Sie knöpft sich der Reihe nach die ganzen pandemiebedingten Einflüsse auf Körper und Seele vor. Früher haben sie noch richtig gesoffen und alles geraucht, was trocken war. Heute nur noch Schorle aus Volvic und Perrier, Rotwein ist böse.

Aber alkoholfreies Bier ist wie Boxershorts auf der Leine: Das Beste ist raus. Patrizia performt mit dem ganzen Körper, redet mit Händen und Füßen. Bewegung ist alles, die Jogginghose klemmt. Für die Zumba-App kauft sie nachhaltige Fitnessklamotten. Die sind so teuer, da kann man sich kein Essen mehr leisten. Ein wilder verbaler Ritt in atemberaubendem Tempo über Corona-bedingte Moppel-Prinzessinnen, durchgeschmorte Frontallappen und Daumen-Tourettesyndrom nach übermäßigem Smartphone-Gebrauch, Autokorrektur, das Leben auf Instagram, Selfies beim Bügeln mit #fleißigesbienchen oder besser #dummehummel bis hin zum eigenen, von der netten Freundin auf dem Handy aufgenommenen Schnarchen nach durchzechter Nacht, welches nur der Applaus beenden kann. Der brandet dann auch dementsprechend auf.

Ole Lehmann beendet die Lachnacht und kündigt direkt die nächste an. Am 17. Februar 2023 kommt sie nach Seesen, dann ausschließlich mit Comediennes. Nur Ole, der kommt als Mann. Ein grandioser Abend und gelungener Neustart in die Saison. Am 16. Oktober geht es weiter mit Pawel Popolski. Auch hier gibts ordentlich was zu lachen.red