Landtagswahlkreis Seesen wird demnächst aufgelöst

Beschluss im Landtag sorgt nicht nur in der Sehusastadt für Entsetzen / Nicht nur die Region abgehängt

Dieses Bild verdeutlicht die gegenwärtige Situation im Wahlkreis 13. Die bisherige Direktkandidatin Petra Emmerich-Kopatsch ist Bürgermeisterin von Clausthal-Zellerfeld. Der Wahlkreis 13 ist nunmehr verwaist, ein Stimme, die aufbegehrt, fehlt dadurch. FOTO: Screenshot Gebauer

Seesen. Die Region muss einen weiteren Rückschlag verkraften. Bekanntlich ist das Ergebnis der jüngsten Kommunalwahl am 12. September mit Blick auf die aktuelle Landtagszusammensetzung für den Landkreis Goslar kein gutes. Denn die beiden Direktverteter im Wahlkreis 13 Seesen, Petra Emmerich-Kopatsch, und im Wahlkreis 14-Goslar, Dr. Alexander Saipa, entschieden sich für einen Perspektivwechsel. Die Sozialdemokratin ist nunmehr Bürgermeisterin in Clausthal-Zellerfeld, der Sozialdemokrat Goslarer Landrat. Sprich, die Region ist verwaist. „Keiner setzt sich mehr für die hiesigen Belange in Hannover ein“, ist mehrfach dieser Tage zu vermehmen.

Nun der nächste Hammer, diesmal direkt aus dem Landtag: Der Koalitionsausschuss von SPD und CDU votierte für eine Wahlkreisgebietsreform mit immensen Folgen für Seesen: Der bisherige Landkreiswahlkreis 13 mit Seesen, Bad Harzburg, Clausthal-Zellerfeld, Braunlage und der Samtgemeinde Lutter wird aufgelöst. Das sorgt im hiesigen Gebiet parteiübergreifend für Entsetzen. Unterm Strich wurde es für die Region die denkbar schlechteste Lösung.

Klar war allen, es muss eine Wahlgebietsreform für die kommende Landtagswahl am 9. Oktober 2022 her. Grund dafür ist die unterschiedliche Größe der Wahlkreise. Nach der Wahl hätte dies erfolgsversprechende Klagen vor Gericht zur Folge gehabt, denn es darf nicht sein, dass eine Stimme mehr zählt als eine andere. Während im Norden Niedersachsens immer mehr Menschen wohnen, läuft das Ganze im Süden in die komplette Gegenrichtung. Problem: Alle wahlberechtigten niedersächsischen Einwohner müssen relativ gleichmäßig auf die 87 Wahlgebiete verteilt werden. Grundlage sind hier die Daten vom 31. Dezember 2017. Heißt, gut sechs Millionen Wahlberechtigte ergeben einen Durchschnittswert von rund 70.000 Wählern pro Wahlkreis. Minimal 52.000 und maximal 87.000 Wahlberechtigte dürften es in einem Wahlkreis sein. Laut Gesetz sind Abweichungen von mehr als 25 Prozent in beide Richtungen von diesem Durchschnittswert unzulässig. Mit Blick auf den Wahlkreis Seesen sieht es wie folgt aus: Schon Ende 2017 lag die Abweichung vom Mittelwert bei
-24,32 Prozent. Doch gegenwärtig ist diese noch größer, denn bekanntlich fusionierten die Samtgemeinde Lutter und die Stadt Langelsheim am
1. November diesen Jahres. Heißt, das Gebiet der ehemaligen Samtgemeinde Lutter gehört ab sofort zum Landtagswahlkreis 14 Goslar mit den Städten Goslar und Langelsheim und der Gemeinde Liebenburg.

In der Vergangenheit gab es mehrere Gedankenspiele, wie sich das lösen lässt, so war unter anderem zu hören, dass Bockenem dazu kommt oder die zusätzliche Aufnahme von Gandersheim, dem Alten Amt und Kalefeld vorgesehen sei. Seit einigen Wochen tauchte immer wieder die Lösung auf, die es nun sehr sicher wird: Auflösug des Wahlkreises Seesen. Jetzt beginnt ein großer Verschiebebahnhof: Die Stadt Seesen dockt an den Wahlkreis 19 Einbeck an, der von Gemeinden des Kreises Northeim dominiert wird. Auch der Flecken Adelebsen (Kreis Göttingen) kommt noch dazu. Dies ist auch Zweck der Übung gewesen, weil der Wahlkreis 19 (Einbeck) bisher zu wenige Einwohner hatte, berichtet das Politikjounal „Rundblick“. Braunlage und Clausthal-Zellerfeld, die beide zum Landkreis Goslar gehören und bisher zum Wahlkreis Seesen zählten, sind künftig Bestandteile des Wahlkreises 12 (Göttingen-Harz), der wiederum schwerpunktmäßig zum Landkreis Göttingen gehört. Bad Harzburg wechselt zum Wahlkreis 14 (Goslar).

Entsetzt und wütend ist vor allem die bisherige Direktkandidatin des Wahlkreises 13, Petra Emmerich-Kopatsch (SPD). Auch als Bürgermeisterin von Clausthal-Zellerfeld verfolgt sie das Geschehen rund um ihren Wahlkreis. Es zeigt sich deutlich, dass man erst abgewartet hat, wer bei anderen Wahlen gewinnt und den Landtag verlässt. Es ist sehr enttäuschend, dass man alle anderen vorhandenen Lösungen, auch die der Landeswahlleiterin, danach schlagartig verworfen hat und den Weg des geringsten Widerstands gegangen ist. Für den Landkreis Goslar ist es eine sehr schlechte Entscheidung, da eine schlagkräftige Vertretung in dieser Konstellation nur schwer möglich ist“, macht sie ihrem Ärger auf Anfrage deutlich Luft. Auch Dr. Alexander Saipa sieht die Position des Landkreises Goslar in der Landespolitik ganz klar schlechter als zuvor. „Ich halte die Streichung des Wahlkreises 13 für sehr schlecht. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr gute Erfahrungen gemacht, die Belange unserer Heimat gemeinsam zu zweit in Hannover durchzusetzen“, äußert sich der ehemalige Direktvertreter für den Wahlkreis 14 und der heutige Goslarer Landrat auf Anfrage.

Jan Warnecke, Vorsitzender des CDU Stadtverbandes Seesen, erinnert im Gespräch noch einmal daran, wie wichtig solch ein Vertreter aus der Region in Hannover ist. „Wir alle wissen, wie sehr sich zum Beispiel unserer Seesener Rudolf Götz in seiner Zeit als Landtagsabgeordneter für unsere Heimatstadt eingesetzt hat. Von der von ihm angeschobenen Stadtsanierung profitieren wir noch heute. Ohne diese Fördergelder wäre eine Innenstadtsanierung nur schwer möglich gewesen“, so Jan Warnecke. Der CDU-Stadtverband spricht sich klar und eindeutig gegen die Auflösung des Wahlkreises 13 Seesen aus. Vollkommen überrascht wurden auch sie von dem Votum. Vor zwei Wochen wurde es immer mehr spruchreif. „Daher habe ich mich als Stadtverbandsvorsitzender in der CDU Kreisvorstandssitzung am 4. November unmissverständlich gegen ein solches Gedankenspiel ausgesprochen. Auch meine betroffenen Kollegen aus Clausthal-Zellerfeld, Braunlage sowie Bad Harzburg unterstützten mein Ansinnen“, berichtet Jan Warnecke auf Anfrage.

Wie heißt es so schön: Man kennt sich und weiß, wie der andere tickt. Wie es in den Orten aussieht und welche Bedürfnisse die Orte und die Bezirke haben. Über Jahrzehnte ist dies gewachsen. Bei allen Parteien. „Wenn wir als Seesener künftig zum Wahlkreis Einbeck gehören, werden wir aus unseren Strukturen herausgerissen“, unterstreicht Jan Warnecke. Bekanntlich gehört der CDU-Stadtverband Seesen mit zum CDU-Landesverband Braunschweig. Das restliche Gebiet des Einbecker Wahlkreises zum Bezirksverband Hildesheim. Daher wäre es in Zukunft für eine oder einen Seesener Bewerber schwer, überhaupt im Vorfeld als Landtagskandidat nomiert zu werden. Die meisten Mitglieder bei einer Nominierungsversammlung kommen dann zwangsläufig aus dem Landkreis Northeim. „Auch mit der hiesigen SPD habe ich zu diesem Thema bereits parteiübergreifend Gespräche geführt. Ich weiß, dass wir hier einer Meinung sind und weiter gemeinsam versuchen werden, die Auflösung des Wahlkreises zu verhindern. Allerdings muss man auch realistisch sein. Da wir als CDU und SPD im Landkreis Goslar derzeit keine Abgeordneten im Landtag mehr haben, ist ein klarer Nachteil gegenüber anderen Wahlkreisen erkennbar“, unterstreicht der CDU-Stadtverbandsvorsitzende.

Gleiches ist auch bei den Sozialdemokraten zu hören. Patrick Kriener, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Seesen, bringt es im Gespräch auf einen Punkt: „Der Wahlkreis 13 wird zum Fraß vorgeworfen“.  Aus den bisherigen Strukturen werden sie herausgerissen: „Auch gehören wir nach Beschluss nicht mehr dem bisherigen Bezirk Braunschweig, sondern dem Bezirk Hannover an“, so Patrick Kriener.  Er hat bereits Kontakt zu den Ortsvereinen Einbeck und Bad Gandersheim hergestellt. „Bisher kann mir noch niemand sagen, wie die Stimmverteilung und die Anzahl der Delegierten aussieht“, nennt er ein weiteres Problem. Zumal ist auch bei den Sozialdemokraten überhaupt nicht klar, ob ein Seesener Bewerber überhaupt die Nominierungsversammlung schaffen würde. Zur Einordnung: Mit Uwe Schwarz aus Bad Gandersheim verfügen die Sozialdemokraten über einen langjährigen und erfahrenen Landtagsabgeordneten im – für die Seesener neuen – Wahlkreis 19 Einbeck. Seit 1986 – also seit mittlerweile 35 Jahren – sitzt er fest im Sattel des Wahlkreises. Der neue Wahlkreis 19 Einbeck umfasste bisher die im Landkreis Northeim befindlichen Städte Bad Gandersheim, Dassel, Einbeck (mit Kreiensen) und Uslar sowie das gemeindefreie Gebiet Solling. Künftig dann auch Seesen. „Der Bezug zur Region ist völlig zerrissen. Schade, dass Seesen im Landtag so wenig Lobby hat und als Lückenfüller herhalten muss“, äußert sich die Seesener Sozialdemokratin Andrea Melone.

Der SPD-Bezirk Braunschweig hat bereits im Jahr 2017 den Wahlkreis Osterode an den Bezirk Hannover abgeben müssen. Jetzt sollen wir einen weiteren Landtagswahlkreis verlieren. Es ist politisch schwierig zu kommunizieren, wenn ein kleiner Bezirk weiter geschwächt und der größte Bezirk im Gefüge des Landesverbands gestärkt wird, heißt es im Schreiben an den SPD-Landesvorsitzenden Stephan Weil, das unter anderem der Hubertus Heil, Vorsitzender des SPD-Bezirks Braunschweig unterzeichnet hat.

Das finale Votum des Landtages soll Mitte Dezember erfolgen. SPD und CDU haben ihr Modell dem Innenministerium bereits zur Prüfung weitergeleitet.syg