Prüfungsvorbereitung unter erschwerten Bedingungen

Für die Physiotherapeuten der Medischulen Seesen hat sich der Alltag durch die Corona-Pandemie verändert

So sieht der Unterricht aktuell für den Abschlusskurs Ph 23 im Fach Bobath aus. Das ist eine Technik unter anderem für Schlaganfallpatienten.

Seesen. Kontaktverbot, Mund-Nasen-Schutz tragen, Hände waschen und Abstand halten. Diese Dinge bestimmen aktuell den Alltag. Doch was ist, wenn der Ausbildungsberuf und speziell die Examensprüfung etwas ganz anderes vorsehen, nämlich den engen Kontakt mit dem Patienten und speziell seine Behandlung? Beispielsweise bei der Manuellen Therapie, bei der der Bewegungsapparat des Patienten durch bestimmte Griffe vom Physiotherapeuten mobilisiert wird. Genau vor dieser Herausforderung stehen aktuell 23 angehende Physiotherapeuten des Abschlussjahrganges Ph 21 der Medischulen Seesen. Schon jetzt ist klar, der Kurs wird in die Schulgeschichte eingehen, denn nichts ist aufgrund der Corona-Krise mehr so, wie es bisher war.

Schulleiterin wartet auf Entscheidung aus Hannover

Durch die aktuelle Corona-Pandemie wurden die kompletten Pläne über den Haufen geworfen. Klar ist nur, am 6. Juli beginnen die Prüfungen für die angehenden Physiotherapeuten. Wie diese aussehen werden, kann auch Schulleiterin Andrea Birkner im Gespräch mit dem „Beobachter“ noch nicht sagen. „Es wird eine Alternativprüfung geben, denn wie bisher funktioniert es aufgrund der aktuellen Bestimmungen nicht“, sagt die Schulleiterin. Vor allem meint sie hier den praktischen Teil, der direkt am Patienten geprüft wird. Verschiedenen Klinken in der Region machen das möglich. Bisher war das gesetzt. Andrea Birkner wartet derzeit auf Post aus Hannover, einmal vom Niedersächsischen Kulturministerium und dann noch von der Landesschulbehörde. Denn sie müssen letztendlich festlegen, wie die Examensprüfung für den Kurs Ph 21 aussehen wird. Einen theoretischen, mündlichen und praktischen Teil gab es bisher, doch wie es 2020 sein wird, wird den Schülern voraussichtlich am kommenden Mittwoch, 13. Mai, mitgeteilt werden können.

Nicht nur die Prüfung selbst, wird sich stark verändern. Die Auflagen bestimmen bereits den kompletten Schulalltag. Bekanntlich werden in der Medischule Seesen drei Jahrgänge unterrichtet, aktuell sind es die Kurse Ph 21 (Abschlussjahrgang), Ph 22 (2. Lehrjahr) und der Kurs Ph 23 (1. Lehrjahr). Letzterer ist ein besonderer, denn die Schüler mussten erstmals kein Schulgeld bezahlen. Die Kapazitäten vor Ort lassen keine großen Spielräume zu: Vier Räume für den Unterricht gibt es, sie sehen aus wie immer, es sind halt nur weniger Möbel drin. Der Abschlussjahrgang wurde geteilt, die eine Gruppe mit 13 Schülern lernt im großen Praxisraum, die andere hat zehn Schüler, so kann die vorgeschriebene Abstandsregelung eingehalten werden. „Hygieneregeln kennen die Schüler zu Genüge, da sie ja ein extra Unterrichtsfach zu dem Thema hatten“, berichtet Andrea Birkner.

Puppen vom Partybedarf müssen jetzt helfen

Seit Ende April ist der Abschlussjahrgang wieder vor Ort. Zum Teil haben sie auch Online-Unterricht von zuhause aus. Zum Kern des praktischen Unterrichts gehörte bisher, dass die Schüler die Handgriffe und Techniken untereinander üben. Doch mit Kontaktbeschränkung ist das schwer umsetzbar. Theorieunterricht klappt mit Masken noch ganz gut, aber der praktische Part weicht jetzt natürlich vollkommen ab. Schulleiterin Andrea Birkner musste sich erst einmal eine Lösung für das Problem einfallen lassen, glücklicherweise stieß sie bei einem Partybedarf auf 1,80 Meter große Puppen, die eigentlich für Junggesellenabschiede gedacht sind. In Seesen dienen sie nun als Übungspartner für die Schüler. Praktischer Unterricht mit den Puppen geht schon irgendwie.

„Aber an jemanden, der weder Haut noch Knochen hat, zu üben, ist schon komisch“, berichtet die künftige Physiotherapeutin Annalena Kuhr im Gespräch.

Dem nicht genug, sie können derzeit auch keinen Wiederholungsunterricht in den benachbarten Asklepios Kliniken Schildautal absolvieren. Auch das war bisher Teil der Seesener Ausbildung, dabei geht es um die physikalische Therapie, dazu gehört unter anderem Ultraschall.

Bis zum 22. Mai ist der Kurs Ph 23 noch in Seesen, dann bereiten sich die 23 Schüler zu Hause auf ihre Examensprüfung vor. Für den 30. Juli ist die traditionelle Abschlussfeier samt Verleihung der Examen und der Bekanntgabe der Jahrgangsbesten geplant. Auch die Feier wird nicht sein, wie immer.

Teilweise sorgenvoller Blick in die berufliche Zukunft

Neben den Herausforderungen hat Annalena Kuhr auch ein Stück weit Sorge, was die berufliche Zukunft betrifft. „Eigentlich hätten wir auch gerade unser letztes Praktikum, wo viele die Chance genutzt hätten, in ihren Betrieb zu arbeiten, in dem sie ab September oder Oktober fest anfangen hätten“, schildert sie im Gespräch. Sie hat trotz Corona bisher eine feste Zusage, nach dem erfolgreichen Abschluss übernommen zu werden. Doch was ist, wenn es dann im September plötzlich heißt: „Wir können nicht mehr eingestellt werden, weil die Patienten nicht kommen oder ausbleiben“, gibt sie zu bedenken.

Dann können vielleicht viele angestellte Therapeuten nicht mehr beschäftigt werden, für die frisch ausgelernten wird es dann noch schwerer in den Arbeitsmarkt reinzukommen. Keine einfache Situation. Für niemanden. In keiner Branche. Vermutlich auch ein Umstand, der so manchem schlaflose Nächte bereitet.syg