Rennrodel aus Bornhausen hatten seinerzeit Weltmeister-Qualitäten

Produkte der Harzer Skiwerkstätten Karl Rademacher waren begehrt und konkurrenzfähig / Sohn Jürgen erinnert sich – auch an Rodel-Weltmeister Dr. Ernst Helmut Berndt

Eine Aufnahme aus dem Jahr 1960: Karl Rademacher zeigt hier Tochter Ulrike in seiner Skifabrik einen Rennrodel. Mit einem solchen Gefährt wurde der Seesener Dr. Ernst Helmut Berndt Rennrodel-Weltmeister in Garmisch-Partenkirchen.

Seesen. Viele positive Rückmeldungen gab es zu dem „Beobachter“-Artikel über das einstige Seesener Sportmultitalent Dr. Ernst Helmut Berndt. Berndt war im Jahr 1960 Rodel-Weltmeister in Garmisch-Partenkirchen geworden und gewann ein Jahr später die Norddeutschen Rodelmeisterschaften auf der Naturbahn in Hahnenklee. Er verstarb am 30. April 1990 im Alter von 74 Jahren in der Vorharzstadt. Viele Seesener erinnern sich noch an ihn.

In dem Bericht wurde ebenfalls erwähnt, dass der WM-Schlitten seinerzeit wohl in der Skiwerkstatt Rademacher in Bornhausen gefertigt worden sein soll. Nun, aus dieser Vermutung ist mittlerweile Gewissheit geworden. Das Ganze ist ja schließlich „nur“ rund 60 Jahre her, sodass es natürlich noch genügend Zeitzeugen gibt. Einer von ihnen – und erinnerungsmäßig sicher am allernächsten dran – ist kein Geringerer als Jürgen Rademacher. Sein Vater Karl war es nämlich, der einst die „Harzer Skiwerkstätten Karl Rademacher Bornhausen am Harz“ begründete.

Noch heute wohnt Jürgen Rademacher übrigens genau an der Stelle in der Grabenstraße in Bornhausen, wo die Geburtsstunde der Werkstatt schlug und wo sie für einige Jahre ihren Platz hatte. „Mit der Werkstatt sind viele schöne Erinnerungen verbunden, aber durchaus auch einige schmerzliche“, sagt Rademacher im Gespräch mit dem „Beobachter“.

Sein Vater wurde 1922 in Bornhausen geboren, lernte den Beruf des Stellmachers (der Familienname ist also Programm) und kam zu Meisterehren. Dass er angesichts der historischen Entwicklung als junger Mann zum Kriegsdienst eingezogen wurde, dieses Schicksal teilte er mit Abertausenden anderer junger Menschen. Aber dass er ihn als Gebirgsjäger im heutigen Österreich, rund um den zweithöchsten Berg des Landes, die Wildspitze, absolvierte, das mag bleibenden Eindruck auf den jungen Karl hinterlassen haben. „Als er direkt nach Ende des Krieges wieder zu Hause war, da übernahm er nicht nur die väterliche Stellmacher-Werkstatt, sondern kehrte später noch einmal in die Alpenrepublik zurück“, so Jürgen Rademacher weiter. Dort wollte er bei dem noch heute existierenden renommierten österreichen Hersteller Kästle aus erster Hand lernen, wie Skier gemacht werden. Und um dieses Wissen reicher, wurde zu Hause in Bornhausen die Produktpalette von Handwagen, Wagenrädern, Leitern & Co. nun um Wintersportgeräte erweitert.

In der Winterzeit wurde in drei Schichten gearbeitet

Schon schnell wurden die Räumlichkeiten für diese Zwecke viel zu eng. Im Jahr 1954 wurde daher nur wenige Schritte weiter eine Scheune erworben und zur Skifabrik ausgebaut. Teure Maschinen wurden angeschafft, darunter eine Hochleistungspresse. Jürgen Rademacher hat noch lebhafte Erinnungen an diese Zeit. „Schon als 13-Jähriger musste ich fleißig mithelfen und habe schon Maschinen bedient“, sagt der heute 73-Jährige. An vielen Tagen wurde die Zeit nach den Schularbeiten denn auch nicht beim Spielen mit Freunden verbracht, sondern im Betrieb. Das habe ihm aber meistens durchaus Spaß gemacht. „Zwölf bis 14 Leute aus dem Dorf waren bei uns angestellt, und in der Winterzeit wurde sogar in drei Schichten gearbeitet“.

Die Skier von Rademacher aus Bornhausen waren in der Anfangszeit voll und ganz aus Eschenholz gefertigt und 48-fach verleimt, damit sie sich nicht verziehen konnten. Das Holz stammte aus dem nahen Wald. Die benötigten Stämme wurden bei Holzauktionen ver- beziehungsweise ersteigert. Im Sägewerk in Seesen wurde die Stämme dann aufgeschnitten und in Bornhausen weiter verarbeitet. „Zum Trocknen habe ich das Holz damals fünf Meter hoch aufgestapelt. Erst wurde es an der Luft getrocknet, dann per warmer Luft“, erzählt Jürgen Rademacher weiter. Die einzelnen Arbeitsschritte – dämpfen, biegen, fräsen, schleifen, Speziallack auftragen, wachsen, Kunststoffsohlen aufpressen, Stahlkanten (im Akkord) montieren – kennt der Bornhäuser noch in- und auswendig. „Ein paar Hundert Ski in allen möglichen Längen hatten wir immer auf Lager, daneben natürlich auch entsprechend Bindungen, Stöcke, Wachs und einiges mehr.“ Abnehmer für die Sportgeräte „made by Rademacher“ waren zum größten Teil Kaufhäuser und Geschäfte, aber natürlich auch der Skiverleih im Harz. Da hat sich dann Mutter Else auch schon mal mit der Lambretta bei meterhohem Schnee bis Torfhaus durchgekämpft und dort ausgeliefert.

Mit der gleichen Akribie wurden die Schlitten in Handarbeit produziert. Die gab es in der ganz „normalen“ starren Ausführung für jedermann, während sich die sportlich Ambitionierten der aufwändigen und „beweglichen“ Rennrodel-Variante bedienten. So wie Dr. Ernst Helmut Berndt. Wie dieser und Vater Karl im Betrieb fachsimpelten und an den Details des späteren Weltmeister-Rennrodels feilten, steht Jürgen Rademacher noch klar vor Augen: „Irgendwie hatte mein Vater genau im Gefühl, wie man die speziellen Kufen schleifen muss, damit sie den Rodel auf optimale Geschwindigkeit bringen.“ Das entsprach wohl auch den Wünschen Dr. Berndts. Der Erfolg gab den beiden Tüftlern recht.

Entwicklung zum reinen Kunststoff-Ski brachte das Aus

Jürgen Rademacher absolvierte nach der Volksschule übrigens eine Tischlerlehre bei Ski-Maass in Goslar. Das natürlich auch vor dem Hintergrund, einmal den väterlichen Betrieb zu übernehmen. „Das war meine Zukunft, mein Leben, wenn man so will“. Und dann kam der Schicksalsschlag. Jürgen Rademacher ist gerade 18 und frisch gebackener Geselle, da bekommt sein Vater eine Krebsdiagnose. Nur zwei Wochen später verstirbt er mit gerade einmal 44 Jahren. Zu allem Überfluss setzt Mitte der 60er Jahre eine rasante Entwicklung weg vom Werkstoff Holz über das leichte Aluminium bis hin zum reinen Kunststoff-Ski ein. „Wir haben den Betrieb noch ein gutes Jahr weitergeführt, mussten dann aber dicht machen. Es lief einfach nicht mehr. Für die Umstellung der Produktion hätten wir komplett neue Maschinen anschaffen müssen. Das konnten wir uns nicht leisten, und die Banken spielten nicht mit. Meine Mutter hat dann alles quasi fürn Appel und’n Ei verkauft“, so Jürgen Rademacher. An die Ski-Werkstatt erinnert er sich aber bis heute gern zurück, wenn auch mit ein wenig Wehmut.kno