Seesen bald ohne Kinderarzt im Stadtgebiet?

Diplom-Mediziner Detlef Langer geht am 1. Januar 2020 in Ruhestand / Eine Versorgungslücke bahnt sich an

Aktuell gibt es mit der Praxis von Kinderarzt Detlef Langer nur noch eine solche Fachpraxis in Seesen, doch er hört am 1. Januar 2020 auf. Wohin dann zur Untersuchung? Das fragen sich viele Familien.

Seesen. Es ist derzeit wohl einer der am meisten beachtesten Informationszettel im Seesener Stadtgebiet. Zu finden ist er im Wartezimmer in der Praxis von Diplom-Mediziner Detlef Langer, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. Hier heißt es: „Nach 25-jähriger Praxistätigkeit werde ich ab dem 1. Januar 2020 in den Ruhestand treten“. Für die betroffenen Eltern ein Schock, denn findet sich kein Nachfolger, steht die Sehusastadt Seesen ab dem kommenden Jahr ganz ohne Kinderarzt da.

Bewerbungsfrist endet am Freitag

Seesen gehört zur Bezirksstelle Göttingen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Wie Geschäftsführer Harald Jeschonnek auf Anfrage des „Beobachter“ mitteilt, läuft derzeit bereits die zweite Ausschreibung für die Praxisübernahme in Seesen. Die erste Runde im Frühjahr diesen Jahres war bereits erfolglos. „Es hatte sich niemand beworben“, so der Geschäftsführer. Mitte Oktober wurde eine erneute Ausschreibung gestartet, die Frist endet am morgigen Freitag, 15. November. Bis zum gestrigen Mittwoch sind laut dem Geschäftsführer noch keine Bewerbungen für die Seesener Kinderarztpraxis eingegangen. Jedoch gab es ein paar Interessenten, die vom Berater auf die freie Praxis hingewiesen wurden. Sie wollten sich die Sache einmal anschauen.

Die Hoffnung hat die KVN Göttingen noch nicht aufgegeben, das Team will sich intern verständigen, wie reagiert werden kann, falls sich niemand findet. Im Gespräch skizziert Harald Jeschonnek eine Möglichkeit, so könnte beispielsweise die Patientenkapazität in den anderen Praxen erhöht werden. Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung bei den Kinderärzten im Landkreis Goslar nicht einfach. Fest steht, dass sich die Kinderarzt-Situation weiter verschärft, denn Kinderärztin Dr. Petra-Lucia Haumann hört in Clausthal-Zellerfeld im Dezember auf. Am 13. Dezember ist die letzte Sprechstunde. Zudem wird wahrscheinlich auch Dr. Monika Berg-Garbrecht aus gesundheitlichen Gründen ihre Praxis in Goslar aufgeben. Schon jetzt ist diese wegen Krankheit mehrfach geschlossen. Somit sind es gleich drei Fachärzte auf einen Schlag, die aufhören.

Zurück bleiben die Eltern, die sich kümmern müssen. Laut „Beobachter“-Information hat der Seesener Arzt es persönlich so gut wie nicht kommuniziert, einzig der besagte Zettel im Wartezimmer weist auf den Wechsel hin. Viele haben es durch Freunde oder Bekannte gehört und reagierten geschockt. Und nun? Das fragen sich viele. Auf dem Informationszettel heißt es dazu: „Trotz intensiver Bemühungen ist es mir beziehungsweise der KVN Göttingen nicht gelungen, einen Nachfolger zu finden“. Doch für die betroffenen Eltern ist das unbefriedigend. Die Ildehäuserin Lena-Theres Ruhe suchte bis zum gestrigen Mittwoch auch noch nach einem neuen Kinderarzt. „In Northeim, Einbeck und Osterode wurde ich abgewiesen, hier wurde mir gesagt, dass sie Aufnahmestopp haben“, sagt sie im Gespräch mit dem „Beobachter“. Bei ihrem Hausarzt hat sie bereits angefragt, doch der nimmt solch kleine Kinder nicht auf. Dann hatte sie doch noch Glück: Dr. Susanne Wollenweber-Breme praktiziert im Krankenhaus in Bad Gandersheim. „Sie haben uns aufgenommen und auch noch ein paar wenige Plätze frei“, teilt die Ildehäuserin am Mittwoch mit und hofft, vielleicht auch anderen Familien damit eine Hilfe zu geben. Diese sollten aber nicht zu lange zögern.

Weite Fahrtwege zum Kinderarzt keine Ausnahme

Wie es weiter gehen soll, wissen Markus Franke und Britta Schumann aus Bilderlahe dagegen noch nicht. „Geschätzt haben wir immer, dass wir auch vor der Arbeit oder vor der Schule mit den Kindern zum Seesener Kinderarzt konnten“, schildert die Bilderläherin. Wenn beide Eltern berufstätig sind, ist dieses Zeitmanagement nicht zu verachten. Beide gehen davon aus, dass es ab jetzt ein deutlich weiterer Weg und vor allem deutlich mehr Fahrzeit zum Kinderarzt werden wird. „Ich habe im Umkreis von 30 Kilometer jede Kinderarztpraxis angerufen und keiner nimmt mehr neue Patienten an“, schildert eine betroffene Mutter das Dilemma. Weite Wege zum Kinderarzt, dieses Schicksal teilen viele Familien im Landkreis Goslar. In Hahausen fahren sie beispielsweise nach Salzgitter oder Goslar. „An einen Arztwechsel braucht man überhaupt nicht zu denken, das ist ein Ding der Unmöglichkeit“, schildert ein betroffener Vater aus Hahausen. Auch einige Seesener fahren bereits bis nach Einbeck zum Kinderarzt.

Im Landkreis Goslar liegen Zahlenwerk und Praxis offenbar sehr weit auseinander, denn laut Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit Stand vom 31. Dezember 2017 liegt der Landkreis Goslar in Bezug auf die Kinderarztversorgung auf die Bevölkerung gerechnet bei 165,1 Prozent. Heißt konkret, zu viele Kinderärzte praktizieren im Landkreis. Mehr noch: Grundsätzlich wird ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent die Zulassung von neuen Kinderärzten in der Region gesperrt, ist auf der Internetseite der KBV zu finden. Zudem können sich in einem gesperrten Planungsbereich Ärzte und Psychotherapeuten grundsätzlich nur dann neu nieder- oder anstellen lassen, wenn ein anderer Arzt seine Zulassung zurückgibt und damit ein Arztsitz in der Fachgruppe frei wird.

CDU-/FDP-Gruppe bringt Runden Tisch ins Spiel

Nicht nur die Eltern sondern auch die Politik bewegt das Thema. So hatte vor Kurzem Rudolf Götz für die CDU/FDP-Gruppe einen Runden Tisch zu dem Thema ins Spiel gebracht. „Die Stadt Seesen ist ein Mittelzentrum, dazu gehört es, dass für die Region ein ausreichendes Ärzteangebot vorgehalten werden sollte“, so Götz. Wie auch in vielen anderen Berufsgruppen werden in den nächsten Jahren altersbedingt Arztpraxen frei. „Um sich rechtzeitig darauf einstellen zu können, sollte überlegt werden, wie die Stadt Seesen hierbei helfen kann. Zu überlegen ist, ob nicht andere Organisationsstrukturen helfen könnten, junge Ärztinnen und Ärzte für den Standort Seesen zu begeistern. Es ist daran gedacht, die betroffenen Mediziner einzuladen und anzuhören, um gemeinsam neue Möglichkeiten für die Nachfolgefrage zu erörtern“, heißt es in der Mitteilung. Die Politik sieht der Christdemokrat hier in unterstützender Funktion. Vielleicht müssen die Vorzüge des Standortes stärker betont werden.

Die Idee mit dem Runden Tisch findet Patrick Kiener, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins, sehr gut. Gemeinsam kann etwas bewegt werden, hofft er. Für die betroffenen Seesener. „Wenn Familien bei der Suche nach einem neuen Arzt – begründet mit einem Aufnahmestopp – abgewiesen werden, kann man nicht von einer ausreichenden Versorgung sprechen“, betont er. Die SPD hat ihrerseits auch reagiert, Kriener hat die kinderärztliche Versorgung in Seesen und der Region Niedersachsens Sozialministerin Dr. Carola Reimann und dem SPD-Gesundheitsexperten und Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Karl Lauterbach geschildert, eine Antwort steht noch aus.syg