Seesen hat ein Jacobson-Haus

Literarisches Konzert, Podiumsgespräch, feierliche Enthüllung: Umbennung des Bürgerhauses ist perfekt

Offizieller Akt der Umbenennung: Bürgermeister Erik Homann enthüllt die Tafel im Eingangsbereich des Jacobson-Hauses. Sie zeigt das Porträt Israel Jacobsons und das Datum der Umbenennung: 29.06.2018.

Seesen. Rund 200 Gäste wohnten dem offiziellen feierlichen Akt zur Umbenennung des Bürgerhauses in Jacobson-Haus bei; und wohl selten konnten Besucher des altehrwürdigen großen Saals die Anwesenheit eines Israel Jacobson so deutlich spüren wie an diesem Freitagabend. Das hatte mehrere Gründe. Es lag zum einen natürlich am Programm, das den Namensgeber ins Zentrum rückte; es lag zum anderen aber auch ganz simpel an seinem Porträt, das da – im Dämmerlicht blau angestrahlt – auf der Bühne stand. Wie er mit seinen großen, wachen Augen und visionärem Blick einen außerhalb der Betrachter liegenden Punkt fixiert, die Lippen von einem ganz leichten Lächeln umspielt, das kündet schon von zeitloser Tatkraft und Überzeugung.

Bürgermeister Erik Homann, der besonders auch Landrat Thomas Brych sowie die Teilnehmer des anschließenden Podiumsgesprächs begrüßte, bezeichnete Jacobson als zentrale Figur der jüdischen Aufklärung. Seesen sei Gründungsort des liberalen Judentums und habe damit Weltgeschichte geschrieben. Da habe er bisher aber leider nur eine Nebenrolle gespielt. „Wir wollen mit dem Jacobson-Haus dieses Schattendasein beenden“, so Homann. Erklärtes Ziel sei es, in Seesens Mitte ein Zentrum für Kultur, Bildung, Begegnungen, Menschlichkeit und ein gesellschaftliches Miteinander entstehen zu lassen. Das könne nur gelingen, wenn alle Bürgerinnen und Bürger mit einbezogen würden.

Im Anschluss wurde an das Leben und Wirken Israel Jacobsons erinnert. Wie hätte das besser umgesetzt werden können, als mit einem literarischen Konzert, ausgeführt im Wechsel von einem eingespielten Duo: Während Claudia Schaare am Klavier Stücke von Clara Schumann, Fanny Hensel, Beethoven und Mendelssohn-Bartholdy darbot, lieh Andrea Freistein-Schade einem aus seinem Leben erzählenden Israel Jacobson die Stimme.

Ausgangspunkt der biographischen Reise war der Frühling 1786. Jacobson, gerade 18 Jahre alt und von seinem Vater streng orthodox erzogen, merkt schon in seiner Heimatstadt Halberstadt, dass sich die Welt „im ganz ganz Großen“ zu wandeln beginnt.

Mit 19 geht er nach Braunschweig, gründet ein Bankgeschäft, heiratet Minna Samson.

Dann kommt der Umbruch, befördert durch die Französische Revolution. Bildung, Kultur, Aufklärung – auch bei Israel Jacobson ist das Feuer der Begeisterung entfacht. Er studiert aufklärerische Schriften, unter anderem die von Moses Mendelssohn, an dem er „einen Geist voller Klarheit und tiefer menschlicher Güte“ entdeckt.

Mit 27 Jahren wird Jacobson Kammeragent am Braunschweigischen Hof und wird in seiner Eigenschaft als Landrabbiner mit dem desolaten Zustand des jüdischen Schulwesens konfrontiert. Ärmeren jüdschen Kindern eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen und damit ihre Lebensverhältnisse verbessern, das ist sein Traum, sein Ziel.

Beharrlich und trotz Widerständen arbeitete er daran und gründet 1801 in Seesen die „Religions- und Industrieschule“ (Jacobsonschule). Schon vier Jahre später werden auch christliche Kinder aufgenommen, die bei freier Kost und Unterkunft gemeinsam mit den jüdischen unterrichtet und sozialisiert werden. Nach der Gründung verleiht der Seesener Magistrat Israel Jacobson als erstem Juden das Bürgerrecht. 1804 erhalten er und seine Nachkommen sogar die gleichen Rechte wie die christlichen Bürger des Herzogtums.

1805 wird im Innenhof des Schulgebäudes mit dem Bau einer Synagoge begonnen, der „Jacobstempel“. Ihre Einweihung findet am 17. Juli 1810 mit dem 1. jüdischen Reformationsgottesdienst im Beisein vieler Christen und von mehr als 40 Geistlichen beider Religionen statt. Dass allein ist schon besonders, noch bemerkenswerter aber ist, dass der Jacobstempel in Anlehnung an christliche Vorbilder über eine Orgel verfügt. Außerdem wurde hier nicht wie sonst üblich auf hebräisch, sondern auf Deutsch gepredigt und gebetet.

Die Überleitung zum nächsten Programmpunkt übernahm Thorsten Scheerer als Leiter des Transformationsprojektes „Jacobson-Haus“ vor Ort. „Wenn ich mir vorstelle, dass wir vor gerade einmal drei Jahren unser Konzept vorgetragen, am 1. Januar 2016 die Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes zugesagt bekommen haben und heute hier stehen, dann ist es eigentlich ein Wunder“, resümierte Scheerer, der sich bei allen Beteiligten ganz herzlich bedankte. Ein sich anschließendes Podiumsgespräch über „Kulturorte im ländlichen Raum“ wurde von Samo Darian, Leiter des Programms „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“, moderiert. Erik Homann sprach hier vom wichtigen Standortfaktor Kultur für die Stadt Seesen.

Das Jacobson-Haus solle kein Sammelsurium beherbergen, sondern sich zu einem einheitlichen kulturellen Ort entwickeln, an dem alle an einem Strang ziehen.

Antonia Lahmé von der Kulturstiftung des Bundes lobte das Konzept und das große Maß an Energie, das hier investiert werde. Seitens des Bundes sei man interessiert daran, auf welche unterschiedliche Weise sich Projekte realisieren lassen. Und auch Frauke Patzke vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur wollte den direkten Draht zu den Nutzern von Kultur gesucht wissen. Nur so könne letztlich die Frage beantwortet werden, was gebraucht werde, was funktioniere und was eben nicht.

Für Ratsfrau und 1. stellvertretende Bürgermeisterin Christiane Raczek hat Kultur in Seesen schon immer einen hohen Stellenwert gehabt. Für sie komme es künftig auch darauf an, die Stadtteile mitzunehmen. Mit dem Kino und dem Shuttle-Service sei da schon ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Last but not least war da noch Prof. Dr. Michael Koch als Leiter des MTV-Blasorchesters, der mit seinen etwa 4000 im Bürgerhaus verbrachten Stunden seit anno 1976 wohl am besten über Transformationsprozesse Auskunft geben konnte.

Sicher habe die Substanz des Hauses gelitten und es sei nun ein Wandel mit entsprechender Dynamik zu beobachten, „aber es ging uns vorher nicht so grundlegend schlecht“, meinte Koch. Die Nutzer des Hauses sollte man da abholen, wo sie stehen, ihnen keine Vorschriften machen und auch den Mainstream durchaus aufnehmen. Was die Wünsche der Runde für das Jacobson-Haus anging, so standen da Erfolg, Jugend, Musik, gute Laune „und 30 langfristig gesunde Bauarbeiter“ auf der Liste.

Mit der offiziellen Enthüllung einer Gedenktafel im Eingangsbereich des Jacobson-Hauses und einem Sektempfang klang der Festakt zur feierlichen Umbenennung aus.kno