Sprühende Intelligenzien

Martin Zingsheim & Band beim Seesener Kulturforum

Martin Zingsheim ist studierter Musikpädagoge, promovierter Musikwissenschaftler (im Parallelleben), großer Kleinkünstler, Kabarettpreisträger, Pianist, Liedermacher, Wortakrobat, Kabarettist und Philosoph, zeitgemäß trotz Aristoteles, tiefgründig trotz Schlager-Zitaten, die dialogisch-dialektisch nach höherem Sinn suchen oder einfach nur Zufalls-Collagen sind.

Seesen. Das Seesener Kulturforum begann das neue Jahr 2018 musik-kabarettistisch mit Martin Zingsheim & Band. Die Künstler zelebrieren ihr musikalisches Programm auf den Bühnen nur ein halbes Dutzend Mal pro Jahr und Seesen gehörte diesmal ausgesucht dazu, denn Zingsheim tourt hauptsächlich als Solokabarettist durch die Lande.

Der Kabarettist stellt zu Beginn in einer ziemlichen Kurzversion die Bandmitglieder vor: „Das ist Nils, hier Martin. Das da sind Claus und der Schlagzeuger dahinten“. Dass der Abend dem Publikum ausnehmend gut gefallen hat, sollte hier auch schon kurz erwähnt werden, denn „heute ist morgen schon retro“, soweit zu Titel, Thema und Wirklichkeit. Aber das Retro wird in Erinnerung bleiben.

Zingsheims Plaudereien zwischendurch führen im Fazit jeweils zu weisen Robert-Lembke-Zitaten als Einleitungen zu den Songs. Der Liedermacher begleitet seine Lieder vorsichtig minimalistisch am Steinway, ebenso dezent sind die harmonischen Unterstreichungen durch Nils Wittmann (Klarinette), Martin Weber (Geige) und schließlich etwas schärfer durch das Schlagzeug von Claus Schulte, dem Mann mit dem spanischen Namen.

Es ist ein „Kulturabend“, auch mit chançon, mit verve, culture, französisch und schließlich tangomäßig, „ich vermisse Sarkozy und find´ die Marsaillaise“. Angenehm retro ist das neu komponierte „Auf der Straße nach Dijon“ in Erinnerung an die unvergessene Lore Lorentz aus dem Jahr 1947: „Klein Madelainchen ging spazieren und sie pflückte roten Mohn“. Wie klingen deutsch gemeinte Texte auf Teneriffa, wie dialektisch verfärbt beim Bestellen von „un Biera“

Kultur und Religion und Retro gehören zusammen. Was bekommst du auf dem Weihnachtsmarkt, wenn du „Christal Mett“ bestellst „Esoerika“ handelt von beidem: von Bachblütentherapie, Erika und Bäume-Umarmen, von Globus und Globuli und von Monogamem in Monotonie.

Die heißen 60er Jahre werden vor der Pause heftig laut im Rock´n´Roll lebendig. Zingsheim hätte damals gern gelebt:„Tolle Zeit die 60er. Studenten auf der Straße. Nun, das sind sie heute auch noch, aber unter Heizpilzen!“

Martin Zingsheim schafft es, einen Dialog zu kreieren aus der dominoverketteten Abfolge von Schlagertexten, er träumt davon, einmal „ein Lied zu schreiben, das ganz leise ist“, letztendlich: „... leise bis Metallica!“

Zingsheim ist studierter Musikpädagoge, promovierter Musikwissenschaftler (im Parallelleben), großer Kleinkünstler, Kabarettpreisträger, Pianist, Liedermacher, Wortakrobat, Kabarettist und Philosoph, zeitgemäß trotz Aristoteles, tiefgründig trotz Schlager-Zitaten, die dialogisch-dialektisch nach höherem Sinn suchen oder einfach nur Zufalls-Collagen sind. Längst verflossene Sprachformen erleben eine Wiederauferstehung im „Egal was du sprachtest, ich verstund dir einfach.“ Chuzpe ist angesagt. Zingsheim fordert, sich „stark zu machen für bedrohte Wörter“ und verbalisiert sofort beispielhaft, er werde „stante pede zu meinem Oheim entfleuchen.“ „Jeder ist seines Schmiedes Glück!“

Die langjährigen Mitstreiter an Klarinette, Geige und Schlagzeug bewegen sich auf hohem Niveau zwischen Rock und Tango, zwischen Hip-Hop und Pop, Folklore, Klezmer und zwischen Bach und Blüten. Es war beim Seesener Kulturforum ein äußerst unterhaltsamer Kabarett-Musikabend, mit vielen sprühenden Intelligenzien, Wortakrobatik mit Querverweisen, ein lustvolles Genre-Hopping bei Musik, Lied und Wort. Das begeisterte Publikum erklatscht sich am Ende mehrfach Zugaben.

Dr. Joachim Frasslred